Nicht alle sehen gleich aus. Monica Maier

Nicht alle sehen gleich aus - Monica Maier


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denn er sagte nichts, sondern nickte nur zustimmend.

      Da betrat Fatima den Raum aus der Küche kommend, hatte Tee für alle zubereitet und servierte Obst und auch ein als Slilo bezeichnetes Gebäck aus Mandelmehl mit viel Honig und Erdnüssen auf dem Tisch vor ihnen. Karim stand auf und ging ihr zur Hand. Yassine und Fatima waren für ihn wie seine leiblichen Eltern. Als Achtjähriger war er damals mit seinen beiden Geschwistern zu ihnen gezogen, nachdem seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Annika blieb trotz ihrer Müdigkeit nichts anderes übrig, als noch kurz dazubleiben und den angebotenen Minztee zu sich zu nehmen. Er tat ihr sehr gut.

      „Fatima, ich muss mich ausruhen und schlafen, das war heute alles zu viel für mich!“, verabschiedete sie sich, als der Anstand es endlich zuließ.

      Ihre Schwiegermutter lächelte sie an: „Natürlich, Liebes, mach das nur, wir sehen uns später!“

      Ihr Schlafzimmer hatte sie in einer der beiden durch eine Treppe verbundenen Wohnungen der Familie im Stadtzentrum Tangers schon am gestrigen Abend bezogen. Auch Karim entschied sich einige Minuten später, sich nach all der Aufregung für eine Siesta zu verabschieden. Als er ins Zimmer eintrat und Annika gerade die Fensterläden zum Platz schloss, herrschte draußen auf dem Markt ein geschäftiges Gewusel von Menschen.

      „Wollen wir später noch einen Spaziergang machen und für morgen ein paar Sachen einkaufen?“, fragte er und nahm sie endlich in den Arm. Annika willigte müde lächelnd sofort ein. Sie konnte Yassines kleines Restaurant auf der anderen Seite des Marktplatzes mit dem Namen Grand Socco sehen. Dort hatten sie beide sich vor vier Jahren kennengelernt, als sie für einige Monate Deutschlehrkraft in Tanger war und dort oft zu Mittag aß. Inscha‘ Allah arbeitete Karim als Kellner dort. Es gab keine Zufälle.

      Als die beiden später bei Händlern vorbei spazierten um ein paar Früchte einzukaufen, war es schon dunkel. Da Annika inzwischen natürlich Land und Preise kennengelernt hatte, wählte sie Dinge danach aus, wie viel sie dafür bezahlen sollte. Außerdem war Karim bei ihr, als Einheimischen haute ihn sowieso keiner so leicht übers Ohr. Für Touristen galten gerne teurere Beträge, weil man davon ausging, dass Reisende Geld haben müssten. Und Tourismus war mit das beste Business sowie oft der einzige Verdienst der Leute. Vor allem bei Kunst- oder Handwerksgegenständen durfte man auf dem Markt draufschlagen, so viel man wollte. Das dachten sie und handelten ihre Käufer hoch und runter.

      Nos-nos war die genau richtige Mischung aus Kaffee und Milch, die sich Annika und Karim im Café am liebsten bestellten. So auch jetzt. Ein ganz normales Getränk kostete für Einheimische oft ein paar Dirham in der lokalen Währung weniger.

      „Überübermorgen ist es endlich so weit, Eid ul-Adha steht an. Möchtest du am Sonntag mitfahren, um das Schaf zu kaufen oder soll ich das allein mit Yassine und Fatima machen?“, fragte Karim seine Frau.

      „Ich würde schon gerne dabei sein. Das ist das erste Mal, dass ich mir euer Opferfest anschaue. Ist doch interessant, oder?“, erwiderte sie.

      Er freute sich: „Okay, komm mit!“ Beide tranken aus. Danach wartete schon die Großfamilie auf sie und es wurde palavert und gelacht, bis sich die dunklen Holzbalken an der Decke bogen.

      Das Opferfest Eid ul-Adha

      Am Sonntagmorgen war die Vorfreude auf das Opferfest schon deutlich zu spüren, denn es handelte sich ja um das wichtigste Fest des Islams und fand zeitgleich zur großen Wallfahrt nach Mekka in Saudi-Arabien statt. Jeder Muslim, ob strenggläubig oder liberal, feierte es gerne in den Kreisen der eigenen Familie, vor allem deswegen waren sie zu Besuch. Beim Eid ul-Adha wurde ein Opfertier geschlachtet, in diesen Breitengraden bevorzugt ein Schaf, manchmal auch eine Ziege.

      Die Frauen schnippelten schon in der Küche Zutaten für Salat und Gemüse und die Beilagen, als das Ehepaar zum Frühstück runterkam. „Bonjour!“, sagte Annika beim Eintreten und „bonjour“ tönte es zurück. Die Berberinnen schnatterten durcheinander und baten ihnen einen Platz am Tisch an. Fatima reichte Tee und stellte selbstgebackenes Weizenbrot, Argan- und Olivenöl zum Eintunken sowie Butter darauf.

      „Kaffee oder Tee?“, fragte sie im Vorbeigehen.

      „Beides“, antwortete Karim, der ihr einen Kuss auf den Kopf und die Stirn gab und mit seinen 1,80 Metern lächelnd auf sie hinunterblickte. Er nahm Platz. Annika folgte Fatima in die Küche, um ihr mit den Getränken und dem Geschirr zu helfen.

      Nach dem leckeren Frühstück nahm Yassine sie zum Kauf von zwei Schafen mit, die vor dem eigenen Haus geschlachtet werden sollten. Jeder, der es sich finanziell leisten konnte, hatte hier die religiöse Pflicht, dies an diesem Feiertag zu tun und von dem Fleisch nicht nur in der eigenen Familie und mit Freunden, Nachbarn und Bekannten tagelang davon zu essen, sondern es auch an Arme zu verteilen. Die Tiere wurden schon länger für diesen besonderen Anlass gemästet und jetzt für einen möglichst guten Preis verkauft. Das Opferfest begann nach muslimischer Zeitrechnung jedes Mal am Zehnten des Monats Dhu l-Hiddscha. Es sollte an den Stammvater Abraham erinnern, den Christen aus dem Alten Testament kennen und der seinen Sohn Gott opfern wollte, weil er das von ihm verlangte. In Deutschland wäre das private Schlachten, das nach dieser Tradition im Islam an diesem Tag stattfand, nicht erlaubt. In hauptsächlich muslimischen Ländern wie Marokko gehörte es einfach dazu. Das Opfertier sollte die schlechten Taten der Menschen auf sich nehmen wie ein Sündenbock.

      Yassine, Fatima, Annika und Karim saßen eine Stunde später gemeinsam im Pickup der Familie und fuhren zu dem befreundeten Bauern. Sie war als Kind mit ihren Eltern schon viel gereist und hatte eine Neugierde für andere Länder entwickelt, denn Neues versprach immer Kurzweil und bewusstseinserweiternde Erkenntnisse. Rein ins Auto und alle Erlebnisse gleich mit, die in den Kulturbeutel der Gemeinsamkeiten des Morgen- und Abendlandes gehörten und die ihr dabei halfen, ihre Beziehung zu Karim und sich selbst in der Begegnung damit besser zu verstehen.

      Annika meinte: „Wisst ihr, was Christen glauben? Abraham ist der Vater der drei Buchreligionen Islam, Judentum und Christentum. Er soll als erster Mensch in der Geschichte einen Bund mit Gott geschlossen haben. Auf diesen geht auch zurück, dass Christen Monotheisten sind. Das haben sie mit den anderen Buchreligionen wie der euren gemeinsam, damit sind damals dann wohl die Naturreligionen zu Ende gegangen. Gott verlangte im Alten Testament als Vertrauenstest und Liebesbeweis, dass er seinen Sohn Isaak opfert, also ihn tötet. Das Opfer sollte zeigen, man liebt Gott mehr als die eigenen Kinder, ist das bei euch auch der Grund? Ist ja wirklich hart!“

      Karim zuckte mit den Schultern und antwortete: „Keine Ahnung. Genau weiß ich das ehrlich gesagt nicht. Aber Gott hat Abraham dann doch noch rechtzeitig gestoppt, oder?“

      „Ja“, sagte sie. „Im Christentum haben wir dafür aber keinen Feiertag.“

      „Wir Muslime zelebrieren diese Begebenheit, um die Barmherzigkeit zu feiern, jedes Jahr mit der Schlachtung, es ist unser größtes religiöses Fest“, antwortete Yassine. Fatima meldete sich in ihrem gebrochenen Schulfranzösisch zu Wort: „Wir sagen, Abraham wollte Ismael opfern, den Sohn, den er mit seiner Sklavin Hagar hatte, weil seine Frau Sara kinderlos blieb und ihm erlaubt hatte, einen Nachfolger seines Stammes mit dieser Frau zu zeugen.“

      Annika hatte ihren katholischen Glauben aus der bayerischen Kindheit vor der Begegnung mit Karim schon abgehakt und verstand sich als spirituellen Menschen ohne Dogmen und Glaubenssätze mit Hang zum Buddhismus. Religion konnte Menschen helfen, wenn es ihnen richtig schlecht ging und manchmal holte sie das Thema wie jetzt einfach ein. „Nach dem Alten Testament galten die Kinder, die der Ehemann mit Einverständnis seiner Frau mit einer Sklavin zeugte, als seine oder sogar ihre Kinder“, fuhr sie fort, weil sie mal darüber gelesen hatte.

      Fatima meinte: „Mein Gott, ist das kompliziert. Aber dass du das alles weißt! So ein liberaler Umgang miteinander, dass eine Frau einer anderen Frau so etwas erlaubt! Hört sich eher nach dominierender Stellung des Mannes an. Ich wäre da als Ehefrau total eifersüchtig.“ Sie sah Yassine von der Seite an, der sofort beteuerte, dass er nie eine andere Frau als sie in seinem Leben haben würde.

      Annika schätzte die einfache, liberal eingestellte und offene 60-jährige


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