Heidesilber. Herbert Weyand

Heidesilber - Herbert Weyand


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Paul sah noch einmal zurück. Die Straße wies eine leichte Biegung auf. Der Parkplatz verschwand hinter einem Maisfeld. Links stand ein einsames Haus. Durch die Panzerstraße vom Dorf abgeschnitten. Sollte er dort nach Hilfe fragen? Aber nein … keine fremde Hilfe!

      In weniger als einer Viertelstunde fuhr er mit dem alten Mazda 6 auf den Parkplatz. Na ja, er war gerade mal sechs Jahre alt. Sie saß nicht mehr auf der Bank. Suchend ließ er den Blick kreisen und entdeckte die zusammengesackte Gestalt an der Rückseite der Grillhütte. Sie stand mühsam auf und kam gebückt auf ihn zu. Das Shirt, das sie gegen die Wunde presste, war durchgeblutet. Schnell half er ihr ins Auto.

      »Und jetzt? Wo wollen sie hin?«

      »Ich weiß nicht.«

      Na dann. Jetzt hatte er den Prassel hängen. Er fuhr vom Parkplatz auf die Kreuzung zu, die links zum alten Heideeingang und rechts in die Waldstraße ins Dorf hineinführte. Während er in die Straße, die zum Ortskern führte, einbog, tauchte der schwarze PKW im Rückspiegel auf. Wo kam der denn her? Auf dem Parkplatz hatte er niemanden bemerkt. Wahrscheinlich ein Pärchen, das unbefugt in der Heide seinem Vergnügen nachging. Das Auto kam rasend schnell näher. Schon wieder so ein Raser, dachte er. Die Straße wurde mehr und mehr zur Rennstrecke. Er fuhr hart rechts, um ihn vorbeizulassen. Der Fahrer machte jedoch keine Anstalten den Lenker einzuschlagen. Er fuhr mit voller Wucht hinten auf. Die Holländerin stieß einen spitzen Schrei aus und hielt ihre verwundete Seite.

      »Scheiße. Der rammt uns.« Paul beobachtete das Fahrzeug. Der Jogger von vorhin saß hinter dem Steuer. Sein Fuß drückte zwangsläufig das Gaspedal durch und setzte damit den Kickstart des Automatikgetriebes ein. Der Mazda schoss wie eine Rakete nach vorn. Paul bot alle Fahrkünste auf, um den Dorfplatz zu umrunden, ohne in die Kübel der Verkehrsberuhigung, zu fahren. Er raste in die Scherpenseeler Straße. Das Grenzhaus wischte vorüber und schon bog er in Scherpenseel auf die Heerlener Straße ein. Ohne den Spiegel oder gar die Dreißiger Zone zu beachten, fuhr er in Richtung Grenze. Am Viehweg riss er den Wagen nach rechts und machte das Gleiche am Scheleberg. Auf Höhe des Sportplatzes hielt er an und wartete ab. Ihr Verfolger tauchte nicht auf.

      »Er ist weg. Ich habe deinen Kollegen erkannt ... der, der dir das Messer in die Seite gesetzt hat«, sagte er vorwurfsvoll.

      Sie antwortete nicht. Die Holländerin kauerte in der Ecke und hielt mit schmerzverzerrtem Gesicht die Seite.

      »Das Auto gehört mir«, stellte sie fest.

      Paul ging nicht auf die Bemerkung ein und schwieg verstockt die wenigen Minuten bis zu seinem Haus und fuhr durch den hinteren Weg zum Hof. Seine Ruhe war ihm heilig. Schon jetzt machte er sie für die Störung verantwortlich. Vor einem großen schmiedeeisernen Tor stoppte er das Fahrzeug und wartete ungeduldig, dass das Tor aufschwang. Verwinkelt ging es an den leer stehenden Stallungen vorbei bis ans Haus.

      »Komm.« Er führte sie in die Küche und wies auf einen Stuhl. »Soll ich zuerst einen Kaffee machen oder nach der Wunde sehen? Blöde Frage«, sagte er mehr zu sich selbst.

      »Erst Kaffee«, forderte sie jedoch und löste den behelfsmäßigen, schmierigen Verband. Die Wunde blutete nicht mehr. Aber wie sah es drinnen aus?

      Die Kaffeemaschine lief. Paul holte den Verbandskasten und tastete mit spitzen Fingern die Einstichstelle ab. Er mochte nicht mit Blut in Berührung kommen und empfand leichten Ekel. Aber hier musste er ran. Ein glatter Stich. Circa drei Zentimeter breit. Er bot alles an Überwindung auf, was ihm zur Verfügung stand und säuberte vorsichtig den verletzten Bereich.

      »Du musst zu einem Arzt. Möglicherweise ist ein inneres Organ verletzt.«

      »Nein. Kein Doktor. Noch nicht.«

      »Weshalb? Du kannst doch nicht mit einer Stichverletzung umgehen, als wenn du dir in den Finger geschnitten hast.« Paul geriet in Rage.

      »Ich kann nicht.«

      »Wirst du von der Polizei gesucht?«

      »Noch nicht. Aber bald.« Sie sah ihn unergründlich an.

      »Was hast du angestellt?«

      »Ich habe etwas gefunden.«

      »Jetzt lass dir nicht die Würmer aus der Nase ziehen.« Paul brauste auf und hätte fast seine Tasse fallen lassen, die er zum Tisch balancierte. Diese blöde Kuh. Retten durfte er sie, aber … »Erzähl mir, was los ist.«

      »Ich bin Anthropologin in Den Haag. Wir haben ein Projekt hier im Limburgischen und suchen Artefakte der Kelten. In dieser Gegend haben Kelten gelebt, die landläufig unter Aduatuker und später als Eburonen bekannt wurden. Sie lebten circa 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung in diesem Gebiet bis nach Tongeren hinunter. Dort suchten wir bisher. Bis ich auf den Gedanken kam, etwas weiter östlich, also hier zu suchen. Meine jetzigen Schwerpunkte sind die Brunssumer Heide und hier, die Teverener Heide. Bei Kiesabgrabungen wurden in diesem Gebiet häufiger Gegenstände aus der Steinzeit und später gefunden. Ich habe die Geländeformationen studiert und einen Hügel gefunden, aus dem ich schloss, dass hier möglicherweise ein Keltengrab lag.

      Maar, wat voor verhaal vertel ik u. Ik heb een schijf gevonden. Ongeveer zo groot. (Aber, was erzähle ich einen Roman. Ich habe eine Scheibe gefunden. Ungefähr so groß.)« Sie zeigte mit den Händen einen Durchmesser von ungefähr fünfzehn Zentimetern an. »Mein Mitarbeiter Huub wollte jedoch das große Geld machen. Ich versteckte die Scheibe. Beim Joggen heute Morgen versuchte er, von mir zu erfahren, wo der Fundort liegt. Die heb ik hem ook niet verteld (den habe ich ihm nicht verraten) – und auch nicht, wo die Scheibe ist. Das Artefakt ist aus reinem Silber und es sind, mir unbekannte Zeichen darauf, die ich nicht entschlüsseln kann. Falls ich jetzt dadurch nachweise, dass die Kelten eine Schrift besaßen, wäre es ein großer Sprung für meine Karriere.« Sie arbeitete sich während des Vortrages immer besser in die deutsche Sprache, bis nur ein leichter Akzent zurückblieb.

      »Das ist kein Grund, dich mit dem Messer abzustechen. Und, warum keinen Arzt und keine Polizei?« Er funkelte sie misstrauisch mit den blauen Augen an.

      »Ich meldete den Fund nicht, weil ich sehen wollte, was dort noch ist. Da bekomme ich Schwierigkeiten.« Sie saß zusammengesackt auf einem Stuhl. Immer noch, nur mit dem BH bekleidet. Er konnte nicht verhindern, dass sein Blick häufiger zu den Brüsten glitt. Sie war eine gut aussehende Frau. Jetzt, das Gesicht arbeitete voller Leben, strahlte es Intelligenz und Humor aus. Asiatischer Einschlag, Eurasierin, ging ihm durch den Kopf.

      »Hier.« Paul warf ihr ein Shirt zu. Mit einer eleganten flüssigen Bewegung zog sie es über. »Was machen wir jetzt? Kann ich dich irgendwo hinbringen?«

      »Ich bin zurzeit auf einem Campingplatz. Dort steht mein Wohnwagen. Nichts Großes. Nur so ein kleines Ei.« Sie zeigte vage mit den Händen eine imaginäre Größe. »Ich musste ja irgendwo ungestört arbeiten können. Immer noch besser, als ein Hotel.«

      »Dann bleibst du besser ein paar Tage hier. Ich habe Platz genug.« Er wies mit der Hand die Treppe hoch.

      »Danke. Das nehme ich gerne an. Ich bin Griet.« Sie reichte ihm die Hand.

      »Paul.« Er schlug ein.

      *

      »Paul.« Die Hand auf der Schulter holte ihn aus tiefstem Schlaf. »Ich habe Schmerzen.«

      Er schlug die Augen auf und sah im Dämmerlicht die nackten Beine der Frau, die er gestern in der Heide aufgelesen hatte. Tatsächlich so sehnig wie in seiner Vorstellung. Der Blick glitt nach oben. Sein Shirt. »Zieh dir was über. Wir fahren zum Krankenhaus.«

      »Nein. Kein Krankenhaus. Eine Tablette.«

      »Verdammt. Zieh dich an. In fünf Minuten fahren wir.« Er wurde wütend bei so viel Unvernunft.

      Eine Viertelstunde später wurde sie im Krankenhaus behandelt. Wie sollte es anders sein, hatte sie keine Papiere. Paul hinterlegte seine Daten und nach endlosen Fragen wurde die Behandlung nach etwa zwei Stunden abgeschlossen.

      *

      »Hast du dein Mailkonto abgefragt?« Oberkommissarin Maria Roemer blickte auf den Monitor.


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