Heidesilber. Herbert Weyand

Heidesilber - Herbert Weyand


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Griet van Houten, geholfen. Ich muss deine Aussage aufnehmen.« Er sah ihn fast entschuldigend an.

      »Macht nichts. Ich habe, nach dem Krankenhausbesuch, damit gerechnet. Aber deine uniformierten Kollegen haben den Vorgang schon aufgenommen. Weshalb Kripo? Was willst du wissen?« Sie saßen im Esszimmer.

      »Messerstecherei. Da sind wir auch zuständig. Also wie war es?« Heinz stellte sein altes Diktiergerät, das noch mit Kassetten arbeitet, auf den Tisch und schaltete es ein. Von dem neuen digitalen Kram hielt er nichts. Während Paul erzählte, nahm er die Atmosphäre der Wohnung auf. Weil das Haus von außen im alten Stil restauriert war, rechnete er an und für sich damit, dass das Innere antik aussah. Doch die typischen kleinen Zimmer, für diese Art Haus, gab es nicht mehr. Zumindest Parterre bildete einen großen Raum, von etwas mehr, als hundert Quadratmetern, aus dem eine freischwingende Treppe nach oben führte. Die Möblierung war eher karg und keiner Stilrichtung zuzuordnen. Heinz saß mit Blickrichtung zur Außenanlage, in die man über eine großzügige Terrasse gelangte. Kurz dahinter sah er den Saum der Heide.

      »Ein Mann sagst du? Hast du den Namen?« Heinz hatte von der Krankheit Grebners gehört. Die Strapazen lagen immer noch auf seinem Gesicht. Ja … so eine Chemo ging nicht spurlos vorbei.

      »Huub. Mehr weiß ich nicht.« Er hielt die Augen aufmerksam auf Heinz gerichtet. »Aber warum fragst du sie nicht selbst?«

      »Werde ich noch tun. Oder meine niederländischen Kollegen, sobald wir eine Adresse haben.«

      »Sie ist hier. Wusstest du das nicht?« Paul wirkte erstaunt. »Ich hab es deinen Kollegen gesagt.«

      Heinz schüttelte lediglich den Kopf und stöhnte innerlich. Solch kleine Pannen passierten immer wieder, doch jedes Mal wurde sein Pulsschlag schneller.

      »Huub Smeets«, sagte Griet van Houten wenig später. Sie hielt den Oberkörper ein wenig steif, ansonsten fiel ihre Verletzung nicht auf.

      »Ein Kollege von Ihnen?« Heinz nahm ihre Gesamterscheinung auf. Eine große Frau, mit fast athletischem Körperbau und doch sinnlicher Ausstrahlung. Eine Figur, der fast jeder Mann einen zweiten Blick schenkte. Das sympathische Gesicht wies ungewöhnliche Merkmale auf. Nicht klassisch schön, jedoch ungemein anziehend. Nicht geschminkt, stellte er fest. Das dunkelbraune naturgelockte Haar reichte bis auf die Schultern.

      »Ja. Wir arbeiten schon drei Jahre zusammen. Ich weiß nicht, weshalb er mich angegriffen hat.« Sie sprach fast akzentfreies Deutsch.

      »Junge Frau. Niemand sticht jemanden einfach nieder. Zu einer solchen Tat gehören in der Regel zwei.« Sie versuchten es immer wieder, wenn sie befragt wurden. Dabei war klar, dass alles irgendwann auf den Tisch musste. »Hatten Sie Streit?«

      »Wir haben gestritten. Ich weiß jedoch nicht weshalb.«

      Heinz verdrehte die Augen. »Falls Sie nicht kooperieren, muss ich die niederländischen Kollegen einschalten. War es privat? Sind Sie mit Smeets liiert?«

      »Ich? Mit Huub? Nein.« Sie schüttelte vehement den Kopf. »Wir haben ein Keltengrab entdeckt und unbefugt gegraben. Es gab Streit darüber, was wir mit den Grabbeigaben machen. Huub wollte verkaufen. Ich nicht.« Sie hatte mal gehört, dass man am besten ziemlich nah bei der Wahrheit blieb, wenn man etwas verschleiern wollte.

      Das war möglich, wusste Heinz. In einem Streifen von Holland bis zum Niederrhein wurden immer wieder Keltengräber entdeckt. Seit seiner Kindheit verfolgten ihn die Geschichten um geheimnisvolle Druiden. Früher wurden sie ihm von seinen Eltern erzählt, heute gab er sie an seine Enkelkinder weiter. Doch anderseits wurde die Heide nach einigen Bränden, der letzte 1975, aufgeforstet, dort wäre ein solches Grab sicherlich entdeckt worden. Aber das wollte er zunächst beiseitelassen. »Welcher Art sind die Grabbeilagen?«

      »Das Übliche. Krüge, also Geschirr und Münzen. Auf dem Schwarzmarkt gibt es dafür gutes Geld.« Sie verschwieg die künstlerisch gestaltete Scheibe.

      »Melden Sie den Fund«, meinte er väterlich und schaltete das Diktiergerät aus. »Ich will nicht päpstlicher als der Papst sein. Wir werden Huub Smeets zur Fahndung ausschreiben.«

      *

       fünf

      »Mein Zuhause.« Griet umfasste mit einer Handbewegung das geschmackvoll eingerichtete Zimmer. Hier gab es kein überflüssiges Möbelstück.

      Vor wenigen Minuten stand er staunend vor dem alten Haus in der Paviljoensgracht. Griet schien kein Kind, armer Eltern zu sein. In der Nähe musste auch das Spinozahaus liegen, in dem der Philosoph bis zu seinem Tod gelebt hatte. Die Fassade war typisch holländisch. Schmal gebaut, mit kleinen Fenstern. Am Giebel ragte ein Balken heraus. Hier wurden die Möbel, die nicht durch das schmale Treppenhaus passten, hochgezogen und durch die Fenster ins Haus verbracht.

      »Dort ist das Bad«, sie wies nach links. »Und dort oben kannst du dich einrichten«, sie zeigte nach rechts auf die Treppe. »Meine Schlafkammer ist unten und hier nach hinten heraus die Küche. Solch ein Haus ist neu für dich?«, lächelte sie. »Ich sehe es. Alles, was bei dir auf einer Ebene ist, verteilt sich hier über das ganze Haus. Aber ich liebe es. Komm, ich mache uns schnell einen Kaffee.«

      »Was hast du als Nächstes vor?«, fragte Paul, der in einem Sessel lümmelte.

      »Ich weiß noch nicht so genau. Aber warte mal.« Sie ging zur Wand und schob einen gerahmten Kunstdruck zur Seite, hinter dem ein Tresor zum Vorschein kam. Sie drehte an den beiden Rädchen, öffnete die Tür und griff zwischen einen Stapel Papiere.

      »Hier.« Sie hielt ihm einen, in ein Tuch, gewickelten Gegenstand hin. »Guck dir das mal an. Ich werde mich eben umziehen. Ich habe keine Lust mehr, in deinen Klamotten rumzulaufen.« Sie trug immer noch Jeans und Shirt von ihm. Die Hose hatte sie umgeschlagen, denn, trotz ihrer Größe, passten die Sachen nicht.

      Schon mehr als eine Woche war vergangen, seit er sie in der Heide aufgegabelt hatte. Es kam ihm wie gestern vor. Die Stichverletzung verheilte sehr gut. Sie hatte keine Bewegungseinschränkungen mehr, wie er feststellte.

      Paul entfernte das Tuch von dem Päckchen und hielt eine ungefähr fünfzehn Zentimeter im Durchmesser messende, matt glänzende, Scheibe in den Händen. Ein Meisterwerk von unschätzbarem Wert. Wenn er nicht vorher von Griet gehört hätte, dass der Gegenstand mindestens zweitausenddreihundert Jahre alt war, hätte er ihn für eine industrielle Fertigung der Gegenwart gehalten. Nicht ein Hammerschlag verunstaltete die Oberfläche. Makellos und deutlich reihten sich Zeichen aneinander. Ehrfürchtig drehte er die Scheibe in den Händen.

      »Was sind das für Zeichen?«, rief er in Raum.

      »Ich weiß es nicht.« Sie kam von unten hoch und kämmte das schulterlange Haar. »Wir haben schon darüber gesprochen. Die Wissenschaft geht davon aus, dass die Kelten keine Schrift besaßen. Bisher gibt es zumindest nichts, was darauf schließen ließe. Sie benutzten hauptsächlich die lateinische Sprache, aber auch Griechisch. Es scheint fast unwahrscheinlich, dass sie eine eigene Schreibweise besaßen. Das passte nicht in ihre Lebensphilosophie. Sie glaubten, später, in einer anderen Person, weiterzuleben. Die wichtigen Dinge wurden von Druiden bewahrt und mündlich in den Generationen weitergegeben. Hinzu kam die sogenannte Anderwelt. Wie wir heute vermuten, der physikalische Bereich, also die Welt mit all ihren Planeten und Sonnensystemen sowie weiteren Geheimnissen. Ich verliere mich wieder …, wenn ich einmal anfange, höre ich nicht mehr auf«, sie hob entschuldigend die Schultern und grinste leicht.

      »Mach nur weiter.« Er drehte die Platte in den Händen. »Ich finde es sehr interessant. Wer bekommt schon die Möglichkeit, von einer solch reizenden Dozentin, eine Vorlesung zu erhalten.«

      »Mach mir später keinen Vorwurf. Ich will einfach nicht glauben, dass die Kelten keine eigene Schrift besaßen. Das und nichts anderes möchte ich beweisen. Ich bin wie besessen davon.« Sie umfasste seine Hände, die, die Scheibe hielten. Die grauen Augen blitzten und hypnotisierten ihn. »Dieses Teil hier wird mich weiterbringen. Das spüre ich genau. Immer wenn ich es in die Hände nehme, habe ich das Gefühl, mich zu erinnern. Ja, und das ist blöd, ich


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