Tara. Nancy Omreg
Bett, sie konnte sich kaum noch mit mir unterhalten. Während sie bereits ins Land der Träume entschlum-merte, lag ich hellwach da und grübelte über diesen Unbekannten. Sollte ich zweimal an einem Abend solche Hirngespinste haben? Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen. Und gestern in der Bar hatte Fine ihn ja auch gesehen. Konnte ich meiner Wahrnehmung nun trauen oder nicht? Über diesen Überlegungen fiel ich ohne eine Antwort zu finden in einen tiefen Schlaf.
10 Nachfeier im Viertel
Ein Wasserfall überflutete mich am nächsten Mor-gen in meinem Bett. Das Zimmer über mir schien einen Rohrbruch zu haben. Bei dem Versuch aus dem Bett zu springen rutschte ich auf dem nassen Boden aus und fiel hin… und wachte auf.
Ich lag im Bett. Der vermeintliche Wasserfall war lediglich ein Traum gewesen, hervorgerufen durch das Duschgeräusch von Fine. Ich streckte meine Beine unter der Decke heraus um mir ein wenig Abkühlung zu verschaffen und rieb mein Gesicht. Ein böser Fehler wie ich beim Anblick meiner nun geschwärzten Hände feststellte.
Ich setzte mich im Bett auf, streckte mich und ließ meinen Kopf kreisen um den Nacken zu entspannen. Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Ich griff nach meiner Uhr, welche mir anzeigte, dass es bereits um elf Uhr war. Fine schien richtig fertig gewesen zu sein, so lange wie sie geschlafen hatte, wo sie sonst so eine Frühaufsteherin war.
Als ich herzhaft gähnte und mich zurück in die Kissen fallen ließ, kam Fine gerade aus dem Bad.
„Oh guten Morgen. Na hattest du schön geträumt? Du redetest im Schlaf von irgendeinem Typen.“ Fine grinste.
Ich dachte nach. Langsam fiel mir ein, dass ich von dem fremden Mann aus der Bar geträumt hatte. Jedoch hatte ich keine weitere Erinnerung mehr an diesen Traum, außer das ich sein Gesicht deutlich vor meinem geistigen Auge betrachtete. Als Antwort zuckte ich nur die Schultern. Fine wusste ja, dass ich ohne Kaffee morgens nicht ansprechbar war.
Ich beschloss erst einmal ausgiebig zu duschen. Ich hoffte in ein paar Tagen auch die seltsame Begegnung mit dem Fremden vergessen zu haben. Ich brauchte jetzt keine weitere Aufregung nach der Trennung von Max und schon gar nicht, das meine Gedanken sich nur noch um einen Mann drehten, den ich nicht kannte und wo ich noch nicht einmal wusste, ob ich ihn nun gestern erneut zweimal gesehen hatte oder nicht. Als ich merkte, dass meine Gedanken bereits wieder zu ihm wanderten, schüttelte ich heftig den Kopf, als ob ich sie abschütteln könnte. Fine klopfte an die Tür.
„Tara? Es tut mir leid, aber du musst dich ein bisschen beeilen. Wir müssen um Punkt zwölf Uhr draußen sein, sonst berechnet uns Hilde noch eine Nacht. Ich weiß, es ist meine Schuld, ich habe zu lange geschlafen. Aber ich war so fertig. Naja, aber beeil dich.“
Da ich nicht wusste, wie lange ich bereits unter der Dusche stand und keine Lust hatte ungeschminkt die Pension zu verlassen, trocknete ich mich schnell ab und stürmte aus dem Bad.
Fix sammelten Fine und ich unsere Klamotten ein, schminkten uns etwas und verließen fünf vor zwölf überpünktlich das Zimmer.
Der Mann von gestern saß wieder auf einem Stuhl neben der Rezeption und las eine Zeitung.
Wahrscheinlich war er hier Stammgast. Von Hilde war jedoch nichts zu sehen. Wir drückten auf die Pen-sionsklingel. Niemand kam. Gebannt verfolgten wir den Minutenzeiger der Uhr, welche hinter der Rezeption an der Wand hing.
Sechs Minuten nach um zwölf tauchte Hilde auf. Mit einem raschen Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass es bereits nach zwölf Uhr war.
„Da werd’ ihr wohl noch ne Nacht blechen müssen“, meinte sie.
Ich wollte gerade schon protestieren, als der Mann hinter der Zeitung bereits sich wieder einmischte.
„Die Mädels steh’n bereits seit fünf vor zwölfe hier. Die könn nich dafür, wenn du dich ewich nich aus-mährst. Die ham schon jeklingelt jehabt.“
Mit zusammengebissenen Lippen erledigte Hilde die letzten Formalien zum Ausbuchen.
„Juuten Tach noch“, sprach sie und verschwand gleich wieder in der Küche.
„Hat ja nix mit euch zu tun. Wir ham uns imma in de Wolle wenn ich mich in ihr Jeschäft einmische. Aba ich kann nich zuseh’n, wenn se Leute unjerecht behan-deln tut", murmelte der Mann hinter der Zeitung. Wir meinten, dass es schon in Ordnung wäre, bedankten uns und wünschten ihm einen schönen Tag. Er murmelte dies ebenfalls zurück.
„Es war richtig schön gewesen. Ich bin froh, dass du mich zu diesem Wochenende überredet hast und ich bin jederzeit bereit wieder hierher zu fahren“, meinte ich zu Fine als wir draußen waren. Freudestrahlend schaute sie mich an.
„Siehst du, ich habe doch gesagt, dass dir das gut tun wird. Aber Vorsicht, ich könnte dich jedes Wochenende nach Berlin schleppen“, neckte mich Fine.
„Kein Problem“, meinte ich. Fine machte große Augen und fing schelmisch an zu grinsen. „Na, nicht dass da doch der Tobi hinter deiner Berlinbe-geisterung steckt?!“
„Ne ne, keine Angst…“, ich senkte den Blick‚
,…der nicht’, fügte ich im Stillen noch hinzu und gab mir innerlich eine Ohrfeige für diesen Gedanken.
Während der Zugfahrt versuchten wir unsere Augen offen zu halten. Die Müdigkeit steckte uns noch immer in den Knochen. Da halfen auch der Kaffee und das Brötchen nicht, die wir am Bahnhof zu uns genommen hatten.
Ich war sehr froh, als ich in meine Straße einbog und bedauerte Fine, die noch ein paar Minuten länger mit der Straßenbahn unterwegs war. Filou wartete bereits auf meinem Schuhabtreter als ich die Treppen hoch kam.
Mehr als ein kurzes Streicheln konnte ich ihm jedoch nicht bieten. Ich schloss meine Wohnungstür auf, ließ die Tasche fallen, während ich mit dem Fuß die Tür wieder schloss. Auf dem Weg zum Schlafzimmer entledigte ich mich bereits meiner Klamotten und stürzte nur im Slip in mein Bett. Das ewige Wachliegen und Grübeln eh ich einschlafen konnte und dazu der unruhige Schlaf hatten mir einige Kraft geraubt. Drei Sekunden später schlief ich bereits wieder tief und fest.
Als ich wieder zu mir kam, war es bereits achtzehn Uhr und dreißig Minuten. Ich streckte mich. Leider war ich nun zu munter, als mich wieder herumzudrehen und bis zum Morgen weiter zu schlafen. Also stand ich auf und stellte mich unter die Dusche, um den restlichen Schlafschleier gänzlich zu beseitigen. Ein Blick in meinen Spiegel sagte mir, dass meine Schminke beim Schlafen super gehalten hatte, nichts war verwischt oder entfernt wurden. Wenn das nur immer so wäre.
Manchmal, wenn ich neben Max aufgewacht war und mich am Vorabend nicht abgeschminkt hatte, sah ich aus wie ein Clown. An einem Auge saßen Lidstrich und Lidschatten noch perfekt, dafür fehlte die Wimpern-tusche. Das andere Auge hatte nur noch stellenweise einen Lidstrich oder gar keinen mehr und der Lidschatten hatte sich in meinem Gesicht verteilt. Die Wimpern waren jedoch noch perfekt gestylt gewesen. Ich wickelte mich in mein großes Badehandtuch ein und wollte gerade meinen Kühlschrank inspizieren, als es an der Tür klingelte.
Ich schaute zum Fenster hinaus, um zu sehen, wer es war. Draußen stand Sabine. Freudig winkte sie mir hoch. „Na, was gibt es denn?“, rief ich hinunter.
„Ralle fand, dass Wölfchen letztes Wochenende fiel zu glimpflich weggekommen war. Er hatte noch soviel Schnaps übrig, weil viele schon vom Bier total bedudelt waren und nichts weiter geschafft hatten. Da hat er gemeint, wir überfallen Wölfchen heute, machen noch ein Abschlussgrillen und vernichten seine Schnapsreste. Hast du Lust mitzukommen?“
Oh weh, nicht noch mehr Alkohol. Aber ich hatte schon letztes Wochenende mich nicht bei Wölfchen blicken lassen und mich überhaupt in meinem Viertel in letzter Zeit sehr rar gemacht. Also rief ich Sabine zu, dass ich mitkomme und sie kurz warten solle, damit ich mir was anziehen konnte. Gut, dass ich noch geschminkt war, so brauchte ich nur fix in Hosen und einen Pulli schlüpfen, Mantel darüber und ich war fertig.
Freudestrahlend umarmte mich Bine, so wie wir sie nannten.