Tara. Nancy Omreg

Tara - Nancy Omreg


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der Ecke Benkertstraße, die wir überqueren mussten, saß Jan auf einem Stuhl bei einem Tee. Bine errötete leicht, als Jan sie strahlend begrüßte. Es liefen bereits Wetten, wann die beiden endlich zueinander finden würden. Er betrieb eine kleine Glasbläserei und schrieb lustige Kurzgeschichten. Das passte zwar überhaupt nicht zusammen, wenn man den muskulösen Jan mit seinen kurzen blonden Haaren so betrachtete, aber es passte super zu Bine, die gerne Gedichte schrieb. Überhaupt hatten die beiden viel gemeinsam. Ihre ruhige und freundliche Art, sie konnten stundenlang über Gott und die Welt philosophieren und sie waren beide so schüchtern.

      „Hast du nicht gehört, dass Wölfchen heute noch eine Fete gibt?“, fragte ich ihn.

      „Doch schon, aber ich wusste nicht so genau, ob ich hin gehen sollte. Ich hatte nicht so die Lust.“ Er lächelte Bine an, sie lächelte verlegen zurück.

      „Willst du heute da nur so hier herum sitzen und Tee trinken?“ Er zuckte die Schultern und lächelte weiter Bine an. Ich spielte zwar ungern Amor, aber das konnte sich echt niemand anschauen. Also packte ich ihn am Arm und versuchte ihn hochzuziehen. Es war nicht gerade einfach bei seinem Gewicht auf Grund seiner Muskelmasse. Bine wirkte wie eine zarte Elfe neben ihm.

      „Los du kommst jetzt mit“, meinte ich und meine Stimme zeigte ihm, dass ich keinen Widerspruch dulden würde. Er stellte seine Tasse ab und ließ sich bereitwillig mitziehen, immer noch Bine anlächelnd.

      Zwei Häuser weiter waren wir schon bei Wölfchen. Er hatte seine Haustür zu beiden Seiten geöffnet, frei nach dem Motto „Mi casa is su casa“ konnte jeder kommen und gehen wie er wollte.

      Wir gingen durch den Hausflur in den Hof, wo Bänke und Stühle aufgebaut waren und in die Erde gesteckte Laternen und aufgehangene Lampions brannten. Die Kinder von Robert, genannt Robse und seiner Frau Lisa kamen auf uns zugerannt, gefolgt von ihrem großen Familienhund „Charlie“, ein Mischling zwischen Leonberger und Schäferhund. Der kleine Timmi, welcher der Sohn von Peter und Nele war, tapste ebenfalls auf uns zu. Für seine eineinhalb Jahre lief er schon sehr gut. Ich nahm den Kleinen hoch und kitzelte ihn. Er lachte und strampelte.

      Am Grill stand Ralle und versuchte „Ratte“, den Mischlingsrüden von Ella und Frank aus der Benkertstraße zu erklären, dass er keine Wurst bekam, egal wie viel Männchen er machte. Links vom Grill war auf einem Tisch die ganze Schnapssammlung aufgebaut. Ole und sein Kumpel Toto begutachteten gerade die Flaschen und überlegten wohl, was sie als nächstes probieren wollten. Rechts vom Grill, am Stamm des großen, alten Kastanienbaums waren auf zwei Tischen Salate, Brot und Ketchup und Senf aufgebaut. Ich setzte Timmi bei Nele und Peter ab und ging zu Wölfchen, um ihn zu begrüßen.

      „Ne, die Tara!“, brüllte er mich an und hob mich gleich hoch, sodass meine Füße den Boden verließen. Und das obwohl er, sogar gut fünf bis zehn Zentimeter kleiner war als ich. „Oh ich freue mich!“, und schon drückte er mir einen dicken feuchten Schmatzer auf die Wange.

      Ich lachte und wischte mir die Sabber ab. „So Mäusl, nun must du aber mit mir was trinken. Du hast ja noch gar nicht auf meinen Geburtstag angestoßen.“

      Erschrocken stellte ich fest, dass ich ihm noch gar nicht gratuliert hatte. Schnell holte ich das nach.

      „Jaja, schon gut Mäusl.“ Er legte seinen Arm um meine Schultern, drückte mich an sich und führte mich zum Schnapstisch. „Also du hast die 'Wahl der Qual'. Magst du es eher natura oder süß oder herb oder mit Kräutern oder in irgendwelchen Geschmacks-richtigungen, wie Pfeffi, Kirsch oder Apfel, hoch-prozentig oder soft…?“

      Ich atmete tief durch und stieß die Luft hörbar aus. Das war echt eine Auswahl. Ich wusste kaum wo ich anfangen sollte. Ich entschied mich als erstes für einen sauren Apfel. Großzügig schenkte mir Wölfchen ein. Der halbe Plastikbecher voller Schnaps. Gut, dass ich mich für sauren Apfel entschieden hatte. Sich selbst goss er einen Sambuca ein. Er hielt ihn mir unter die Nase und ich roch den puren Alkohol. Der zählte eindeutig zu der Sorte, die sich anbrennen ließ.

      Zufrieden stieß Wölfchen mit mir an. Ich trank darauf, dass er mal eine Freundin finden würde, die ihn unter den Tisch trinken könnte und er meinte, das wäre auch sein sehnlichster Wunsch. Wir lachten. Dieser kleine Suffkopp.

      Wir redeten noch bisschen und dann entschuldigte ich mich, dass ich mir erst einmal etwas zu essen suchen musste. Ich stellte mein Glas an den freien Platz neben Paula ab, die sich auch riesig freute mich zu sehen und ging zu den Salaten.

      Ein paar andere Bekannte aus der Benkertstraße standen ebenfalls gerade dort. Wir begrüßten uns und schnappten einander die Löffel zu den Salaten weg. Mein Pappteller sah gefährlich beladen aus. Vorsichtig balancierte ich den Teller zurück zu meinem Platz.

      „Da hat aber jemand ganz schönen Hunger. Und ich dachte ich würde für zwei essen“, staunte Paula. Mir fiel ein, dass ich den ganzen Tag bis auf das Brötchen vom Bahnhof noch nichts gegessen hatte. Ich bedankte mich noch einmal bei Paula für das schöne Halsband, das ich beim Konzert getragen hatte und sie wollte alles genau vom Wochenende wissen.

      „Hast du auch jemanden kennen gelernt?“, fragte sie mich und ihre Augen glitzerten wissend. Ich über-legte, ob und in wie weit ich ihr von dem Fremden erzählen sollte. Vielleicht könnte sie mir sogar helfen ihn wiederzufinden, mit irgendwelchen esoterischen Mitteln, wie Pendeln oder so. Aber letztendlich entschied ich mich doch dafür, von ihm nichts zu erzählen. Nach den Erlebnissen beim Konzert und vor der Pension war ich mir nicht mehr so sicher, was davon wirklich real gewe-sen war.

      „Ja, na ja, da gab es schon einen der mir gut gefiel“, druckste ich daraufhin herum und konzentrierte mich wieder auf meinen Teller.

      „So, so“, meinte Paula und ich spürte ihren zweifelnden Blick, aber sie bohrte nicht weiter nach.

      Stattdessen lenkte sie das Thema auf sich und erzählte, dass sie gerade dabei waren ein paar Umbauten in ihrem Haus vorzunehmen für das erwartete Baby. Das war das Tolle an Paula, sie merkte sofort, wenn man über ein Thema nicht sprechen wollte und ging dann auch nicht weiter darauf ein. Ihre mitreisende Art zu erzählen lenkte mich von meinem geheimnisvollen Fremden ab und ich konnte den Abend mit viel Spaß und meinen Nachbarn genießen.

      Ich hatte ungefähr zehn Schnapssorten inzwischen probiert. Allerdings zog ich es vor, mir die Mengen selbst einzuschenken, denn bei Wölfchens Einschenkeart wäre ich bereits nach fünf Schnäpsen restlos hinüber gewesen. So war ich zwar genug angeheitert um nicht zu frieren und meinen Spaß zu haben, aber nicht genug um auf die Anmachversuche von Ralle und Wölfchen einzugehen, die sich inzwischen wie eifrige Hähne um mich bemühten.

      Auf einmal bekam ich einen Tropfen auf die Nase. Ich schaute nach oben und der nächste tropfte mir direkt ins Auge. Ich blinzelte. Der nächste traf mich auf der Stirn. Gerade als ich die Handfläche nach oben drehen und sagen wollte, dass ich glaube, dass es regnet, ergoss sich ein Wolkenbruch über uns. Selbst die fast über den ganzen Hof reichenden Äste der Kastanie konnten diesen monsunartigen Regenschauer nicht abhalten.

      Die Leute, die trotz vorgerückter Stunde noch geblieben waren, da sie entweder keine Kinder hatten, am nächsten Tag nicht arbeiten mussten oder einfach noch keine Lust hatten nach Hause zu gehen, schrien auf und sprangen nach einander hoch. Sie hielten sich ihre Jacken, Kissen oder Teller über den Kopf und rannten in den Hausflur.

      Zusammengedrängt standen wir, ungefähr fünfzehn übrig gebliebenen Nachbarn da und drückten uns aneinander, damit diejenigen, die an den offenen Seiten stehen mussten nicht noch nasser wurden. Aber es half nicht, der Wind bließ den Regen direkt zu uns herein. Wir hatten es alle nicht weit. Wir alle wohnten entweder auf der Benkertstraße oder Mittelstraße, doch ganz in den Regen treten wollte irgendwie dennoch niemand.

      Wir hielten unsere mit Schnaps gefüllten Becher in der Hand und tranken und redeten noch in der Hoffnung, dass der Regen bald nachlassen würde.

      Nach einer viertel Stunde fingen wir jedoch an einzusehen, dass es sich einregnen tat und es nicht so schnell aufhören würde. Die ersten verabschiedeten sich und nach und nach gingen immer mehr.

      Auch ich verabschiedete


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