Kaspar - Die Reise nach Feuerland. Dan Gronie

Kaspar - Die Reise nach Feuerland - Dan Gronie


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du deinen Primaten-Freund gut fest, Sebastian!«, höhnte Victor. »Gib ihm eine Banane zur Beruhigung!«

      Der Lehrer Henry Titus betrat das Klassenzimmer und mit einem Mal war es mucksmäuschenstill.

      »Wie ich sehe, amüsiert ihr euch, Kinder«, sagte Herr Titus und ging zum Lehrerpult. Seine schmalen, braunen Augen hefteten sich an Niko fest. »Seite vierundzwanzig aufschlagen«, sagte er kühl und setzte sich auf seinen Platz. »Niko, du kommst an die Tafel und rechnest uns die dritte Aufgabe vor!«

      »Ja, aber ...«, stotterte Niko, »ich würde ...«

      »Gerne etwas essen – etwa deinen Schokoladenriegel«, beendet Herr Titus den Satz, und seine buschigen Augenbrauen bewegten sich auf und ab. »Nein – du willst nichts essen, Niko? Los, steck den Schokoladenriegel in deine Schultasche –«, sagte Herr Titus mit einem abwertenden Ton in der Stimme, »– und komm nach vorne und rechne uns die Aufgabe vor!«, grinste er Niko gefährlich an. »Oder willst du heute Nachmittag etwa alleine hier an der Tafel üben?«, sagte er grimmig. »Schnell an die Tafel mit dir, Junge, bevor ich die Geduld verliere!« Der Lehrer schlug mit der Handfläche auf den Tisch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

      Niko nickte ängstlich und ging langsam nach vorne. Als Niko einen Blick zurück, über die Schulter warf, sah Sebastian seinem Freund an, dass er liebend gern, das fies lächelnde Gesicht von Victor Bainbridge bearbeitet hätte.

      »Äh, Herr Titus, jetzt habe ich mein Buch auf dem Tisch liegen gelassen«, stotterte Niko.

      »Äh, Niko«, fing der Lehrer an, und wären seine Augen Dolche gewesen, hätten sie Niko geradewegs durchbohrt, »hier nimm!«, sagte er mit einem scharfen Tonfall und überreichte Niko sein Buch.

      »Danke, Herr Titus.«

      Niko verzog missmutig das Gesicht.

      »Bitte, bitte, mein lieber Junge«, lächelte der Lehrer sanft und schrie dann gefährlich laut: »Fang endlich an zu rechnen!«

      Niko wäre fast das Kreidestück aus der Hand gefallen. Nachdem er die Aufgabe gelöst hatte, was dem Lehrer natürlich viel zu lange dauerte, gab er Niko deswegen einen Rüffel mit auf dem Weg zu seinem Platz. Niko sah sich seine Kreide verschmierten, feuchten Händen an und ließ sich auf den Stuhl fallen.

      »Jetzt sieh dir nur mal meine Hände an«, flüsterte Niko Sebastian zu. »Kann dieser Urmensch nicht einen Computer mit einem Beamer oder einen Overheadprojektor benutzen, wie die anderen Lehrer es auch tun? Was hast du, Sebastian? Warum guckst du so irritiert? Sag schon was?«

      »Willst du uns etwas mitteilen, Niko?«, brüllte Herr Titus Niko ins Ohr.

      Niko hatte nicht bemerkt, dass der Lehrer direkt neben ihm stand.

      »Nein, Herr Titus«, sagte Niko, »alles ist in bester Ordnung – wirklich.«

      Der Lehrer hob die Augenbrauen und beugte sich zu Niko und Sebastian vor.

      »Wenn ich in dieser Stunde noch einen Mucks von euch höre, dann werdet ihr nachsitzen –«

      Niko wich ein Stück zurück.

      »– bis spät abends. Habt ihr mich verstanden?«

      »Ja, Herr Titus«, sagte Niko schnell.

      Sebastian nickte nur.

      »Gut«, hauchte Herr Titus und wandte sich wieder der Klasse zu. »Wer will die nächste Aufgabe vorrechnen?«

      Herr Titus sah sich um.

      »Ah, fein, ein Freiwilliger«, sagte er freudig. »Dann komm mal nach vorne an die Tafel, Victor«, freute der Lehrer sich und sagte an Niko gewandt: »An diesem Jungen solltest du dir mal ein Beispiel nehmen, Niko«, dann wandte er sich Sebastian zu, »und du auch«, ergänzte er.

      Der Lehrer kehrte zu seinem Platz zurück.

      Victor grinste Niko zu, als er an ihm vorbei zur Tafel ging.

      »Victor, dieser Schleimbeutel«, schimpfte Niko leise, »dieser Schleimscheißer.«

      »Sei still, Niko«, ermahnte Sebastian ihn. »Hast du Herrn Titus eben nicht richtig zugehört? Ich habe keine Lust auf Nachsitzen.«

      Niko schwieg.

      Kurz danach war eine der schlimmsten Unterrichtsstunden zu Ende, als die Schulglocke die Pause einläutete und Herr Henry Titus das Mathebuch schloss.

      »Komm mal zu mir, Sebastian. Ich habe dir noch etwas zu sagen, bevor du in die Pause gehst«, rief der Lehrer.

      »Dann bis gleich, Freunde«, sagte Sebastian und brachte ein schwaches Lächeln zustande, bevor er zu Herrn Titus ging.

      Sebastian hörte noch, wie Niko zu Lars sagte: »Das gibt Ärger. Ich möchte jetzt nicht an seiner Stelle sein.«

      Sebastian sah seinen Schulkameraden hinterher, die wie vom Teufel besessen aus der Klasse rannten, und Sebastian hatte das Bild vor Augen, wie sie sich in eine Schlange von Schulkindern einfügten, die sich träge das Treppenhaus vom ersten Stock hinabbewegte und aus dem Schulgebäude auf den Schulhof kroch.

      Sebastian blickte in das ausdruckslose Gesicht des Lehrers, der mit monotoner Stimme fragte: »Du bist doch ein kluger Junge, nicht wahr, Sebastian?«

      Der Blick von Herrn Titus hielt Sebastian fest im Griff wie ein paar Handschellen einen Verbrecher.

      »Ich denke, Niko und Lars sind kein guter Umgang für dich«, sagte er mit aller Deutlichkeit, »und warum Juana sich mit den beiden Nichtsnutzen abgibt, ist mir bis heute ein Rätsel.«

      Sebastian hatte Angst zu antworten. Was hatte der Lehrer nur gegen Niko und Lars? Wie kam er überhaupt dazu, ihm solche Dinge zu sagen?

      »Niko und Lars haben nur Flausen im Kopf und stören dauernd den Unterricht«, betonte der Lehrer, doch die Worte gingen an Sebastian vorbei, weil er innerlich total aufgewühlt war. »Deine beiden Freunde halten dich vom Lernen ab, und du weißt ja selbst, dass deine Noten schlechter geworden sind«, sagte der Lehrer noch. »Hast du mich verstanden, Sebastian?«

      Sebastian nickte, obwohl er nur die letzte Frage mitbekommen hatte.

      »Das war alles, was ich dir sagen wollte, Sebastian«, sagte der Lehrer. »Dann sehen wir uns nach den Ferien wieder.«

      Sebastian rannte aus der Klasse hinaus auf den Schulhof. Als er seine Freunde sah, winkte er ihnen freudig zu und rief: »He! Wartet auf mich!«

      »Endlich, das war die letzte Sklavenunterrichtsstunde vor den Ferien bei Herrn Henry Titus«, sagte Lars erleichtert, als Sebastian neben ihn trat.

      Sebastian nickte zustimmend. »Ja«, sagte er nur und zeigte das erste Lächeln am heutigen Morgen.

      »Was wollte Herr Titus von dir?«, fragte Juana.

      »Nichts, was von Bedeutung wäre«, winkte Sebastian ab. »Ihr seid meine besten Freunde und daran wird sich auch nichts ändern«, fügte er hinzu.

      »Henry Titus –«, sagte Niko schwer atmend, »– der muss als Kind eine Spaßbremse gewesen sein – ganz bestimmt.«

      »Die Spaßbremse Henry Titus«, lachte Lars.

      Juana ging neben Sebastian. »Henry Titus, der Werwolf – so wird er von den Achtklässlern genannt«, schmunzelte sie.

      »Das wusste ich noch gar nicht«, sagte Sebastian, und seine Stimmung hellte sich auf, als er die Kosenamen für Herrn Titus hörte – Spaßbremse und Werwolf.

      »Wie ich sehe, amüsiert ihr euch, Kinder«, äffte Niko Herrn Titus nach. »Seite vierundzwanzig aufschlagen«, äffte er weiter und fuchtelte mit den Fingern vor Juanas Gesicht herum und sagte dann mit der gleichen monotonen Stimme wie der Lehrer: »Juana, du kommst jetzt an die Tafel und rechnest uns die Aufgabe vor!«

      Sebastian lachte laut, wie auch Lars und Juana, die ihren Streit mit Niko längst beiseite gelegt hatte.

      »Henry Titus ...«, Juana richtete den Blick auf Niko, »...


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