Kaspar - Die Reise nach Feuerland. Dan Gronie
verschwand die Stimme, und Sebastian befand sich mit einem Mal in einer Halle, die menschenleer war, bis auf eine geheimnisvolle Gestalt, die einen braunen Umhang trug und bewegungslos wie eine Steinfigur auf einer Empore stand. Die Gestalt lebte, denn sie bewegte die Finger der rechten Hand und sie schien zu warten, denn sie hatte ihre leuchtend giftgrünen Augen auf die große, hölzerne Pforte am anderen Ende des Raumes gerichtet – Sebastian rätselte wer oder was, ob früher oder später, durch die Pforte schreiten würde.
Sebastian ging auf die Empore zu, sein Blick war starr auf die fremde Gestalt gerichtet. »Wer bist du?«, fragte Sebastian schließlich, doch die Gestalt blieb stumm.
Der Lichtschein der Fackeln, die in Höhe der Empore an den Wänden brannten, verlieh der mysteriösen Gestalt zusätzlich ein unheimliches Aussehen.
Die große Pforte schwang nach innen auf, und ein stattlicher Mann mit einer goldenen Krone auf dem Haupt, die mit unendlich vielen Edelsteinen verziert war, betrat den Raum – es war ein König, wie Sebastian vermutete.
Sebastian schluckte. Seine Kehle wurde staubtrocken. Was soll ich jetzt ..., bevor Sebastian den Gedanken zu Ende fassen konnte, löste sich die unheimliche Gestalt auf der Empore in Luft auf und erschien direkt neben Sebastian. Sebastian suchte nach einer Ausrede, um der Gestalt zu sagen, was er hier zu suchen hatte. Doch die Gestalt nahm keine Notiz von ihm – sie schien ihn gar nicht zu bemerken, so wie auch der König, der jetzt vor der Gestalt stand und sie mit den Worten, »Ich freue mich dich zu sehen, Zauberer«, begrüßte.
»Ich bin gekommen, so wie Ihr es mir befohlen habt, mein König.«
Der König schwang ein unterarmgroßes Zepter, das mit einem goldenen Knauf versehen war. Der Zauberer schien sich davor zu fürchten, denn er wich einige Schritte zurück.
»Was hast du, Acaton?« Sebastian sah, wie der König seine Macht genoss. »Angst vor meinem Zepter?«, fragte er mit einem hämischen Grinsen. »Komm mit mir, Acaton!« Der König senkte das Zepter und vollführte mit der Hand eine Geste. »Wenn du tust, was ich von dir verlange, Acaton, wird dir nichts geschehen!«
Acaton nickte kaum merklich, und seine Augen funkelten zornig. Der König wandte sich der Pforte zu, und Acaton folgte ihm wortlos.
»Ich habe ein großes Problem, Acaton, mit den neuen Siedlern, die mein Land wie eine große Flut überschwemmen, dafür brauche ich deine Hilfe. Solltest du dich nochmals weigern und verschwinden, wird dir das nichts nützen, Acaton. Ich werde dich überall finden und dann werde ich dich töten.«
Eine beunruhigende Stille trat ein, als der König und der Zauberer die Pforte durchschritten. Sebastian folgte ihnen – neugierig zu erfahren, was der König dem Zauberer befehlen würde.
»Ich werde keine Truppen gegen die Siedler anführen können«, erklärte der König, »das würde bei meinem Volk und bei den Königen meiner Nachbarländer nicht gut ankommen. Um meinen Plan zu verwirklichen, brauche ich dich, Acaton.«
Seufzend folgte der Zauberer dem König. Sie schritten einen prunkvollen Flur entlang. Während Sebastian dem König und dem Zauberer folgte, betrachtete er die wundervollen Gemälde – etliche Porträts und Landschaftsbilder schmückten die weiß gekalkten Wände. Sebastian berührte eine mannshohe Marmorsäule, auf der eine goldene Öllampe brannte. Dutzende dieser Säulen standen rechts und links entlang des Flures verteilt.
»Ich habe befürchtet, dass Ihr etwas Schlimmes von mir verlangen würdet«, jammerte Acaton.
Sebastian trat schnell an Acatons Seite und wartete gespannt darauf, was der König dem Zauberer befehlen würde. Der Traum wirkte so real auf Sebastian, dass er für einen Augenblick zweifelte, ob es überhaupt noch ein Traum war.
Der König blieb stehen und sah dem Zauberer direkt in die giftgrünen Augen. »Die Siedler sind meine Feinde. Sie besetzen mein Land und bringen eine Kultur hierher, die ich in meinem Königreich nicht dulden werde!«
»Was für ein fieser Mensch«, fluchte Sebastian und hielt sich die Hand vor den Mund, als Acaton sich ihm zuwandte.
»Was hast du, Acaton?«, fragte der König.
»Verzeiht mir, mein König, ich dachte, ich hätte etwas gehört.« Sebastian blickte direkt in Acatons giftgrüne Augen. »Aber ich glaube, ich habe mich geirrt, mein König«, sagte Acaton und wandte sich dem König zu.
Doch Sebastian kam es so vor, als hätte der Zauberer ihn gehört und den König angelogen. Acaton sprach gelassen und mit aller Höflichkeit weiter: »Was verlangt ihr von mir, mein König?«
»Die Siedler müssen vertrieben werden ...« Acaton lauschte, als er dem König in das finstere Gesicht blickte. »... ich habe heute einen Siedler bestraft, der es gewagt hatte, königliches Vieh von der Weide zu stehlen.«
»Ich habe gehört, dass der junge Mann das Tier erworben hatte«, sagte Acaton.
»So, hast du das, Zauberer?« Der König blieb stehen. »Wer hat dir das erzählt?«, wollte der König sofort wissen.
»Ich habe es auf dem Marktplatz gehört.«
»So, so, auf dem Marktplatz«, erwiderte der König, »dort wird viel Tratsch verbreitet ...«, winkte der König ab. »Der Siedler leugnete stundenlang trotz großer Qualen, die der Folterer ihm angetan hatte. Er bettelte um Gnade und um sein Leben – doch der Folterer stieß ihm letztendlich ein glühendes Eisen in sein gottloses Siedlerherz. Er war ein Dieb, Acaton ...«
Der König wirkte sichtlich zufrieden.
»... und ein Dieb muss bestraft werden, so will es das Gesetz!«
Acaton schwieg – sichtlich entsetzt, über die grausame Tat, die der König angeordnet hatte.
»Ich könnte dem Folterer befehlen, dir ...«
Der König vollführte eine Geste mit der linken Hand und wollte gerade weitersprechen, doch Acaton kam ihm zuvor: »Ich fürchte die Folter nicht. Also, macht mit mir, was Ihr ...«
»Aber, das hier fürchtest du, nicht wahr, Acaton?« Der König hielt Acaton das königliche Zepter unter die Nase. »Du bist so schweigsam. Was hast du, Acaton?« Der König senkte das Zepter. »Angst?«, fragte er.
»So mutige Worte von jemand, der doch so verletzlich zu sein scheint«, höhnte der König. »Acaton, du weißt, dass ich viele verschiedene Arten der Folter kenne, und eine ist bestimmt darunter, die du gewiss nicht ertragen würdest.«
Acaton senkte den Blick und verzog die Mundwinkel.
Der König richtete sich kerzengerade auf und ein grausames Lächeln umspielte seine schmalen Lippen.
»Ich denke, dies wird der geeignete Anreiz sein, um deinen Gehorsam zu erzwingen, Acaton.« Der König wandte sich einer Tür zu und zog sie an einem Metallring auf. Sebastian glaubte in der bösartig, schneidenden Stimme des Königs zu hören, dass ihm ein Menschenleben völlig bedeutungslos war.
Acaton erbleichte, als die Tür aufschwang und eine junge Frau mitten in der Halle kniete.
»Manju«, flüsterte Acaton entsetzt.
Sie war in Begleitung eines einzigen Wachsoldaten, der sie an den Handfesseln gepackt hielt.
»In deinen Augen lese ich, dass du mir den Tod wünschst, Zauberer«, lachte der König, »das ist gut so.«
Der König trat einen Schritt auf Acaton zu.
Sebastian sah, wie eine einzige Träne über die Wange der jungen Frau rollte, als sie in Richtung Acaton blickte.
»Tut Ihr nicht weh, mein König«, sagte Acaton und schüttelte ungläubig den Kopf, und zum ersten Mal glaubte Sebastian, ein leichtes Zittern in der Stimme des Zauberers zu hören. »Bitte, tut ihr nicht weh, mein König«, wiederholte er.
»Also wirklich, Acaton«, höhnte der König. »Warum sollte ich so einem wunderschönen Geschöpf weh tun wollen?«
Ein bösartiges Lächeln lag auf dem Gesicht des Königs.