DEBORA. T.D. Amrein

DEBORA - T.D. Amrein


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ihn großzügig Carmela, die ohnehin das Handwerk lernen wollte.

      Diesmal tippte sie die Rechnung. Der Mann verließ das Studio gut gelaunt. Er war äußerst zufrieden mit seinem neuen Schmuckstück.

      Lange konnte er sich jedoch nicht daran erfreuen. Auf der Fahrt zurück nach Deutschland wurde er von einem LKW-Fahrer übersehen, der seinen Kipper auf der Bundesstraße wendete.

      Schon der zweite Motorradfahrer diese Woche, der ums Leben gekommen war. Zwar auf der anderen Seite des Rheins und die Umstände seines Todes waren nicht so klar. Auf gerader Strecke stand rechts eine große Reklametafel, die für ein nahegelegenes Einkaufszentrum warb. Die Skulptur, die bisher das Unterteil geschmückt hatte, war nur noch Schrott, genauso wie die Harley.

      Zeugen gab es keine. Die Gendarmen vermuteten überhöhte Geschwindigkeit oder Sekundenschlaf. Keine Anzeichen für ein Fremdverschulden. Der stark verletzte Leichnam war noch nicht identifiziert. Die schwarze Lederbekleidung ließ auf einen vermutlich aus Deutschland stammenden Rocker schließen. Dafür sprach auch das deutsche Motorrad-Kennzeichen, das am Unfallort gefunden wurde. Als Halter wurde ein Motorradmechaniker festgestellt, der angeblich schon vor längerer Zeit zu einem Urlaub in Thailand aufgebrochen war. Wann genau er wiederkommen würde und wo er sich aufhielt, konnte jedoch nicht geklärt werden.

      Deshalb landete der Fall schließlich auf Kommissar Guerins Schreibtisch.

      ***

      Debora und Carmela verbrachten das Wochenende zusammen im Elsass. In Colmar gab es ein Hotel, wo zwei Damen zusammen übernachten konnten, ohne schräg angesehen zu werden. Schließlich war die Besitzerin vom gleichen Schlag.

      Debora hatte stets ein besonderes Auge auf ihre Freundin, wenn sie dort zu Gast waren. Natürlich waren sie selten das einzige lesbische Pärchen. Debora fürchtete und genoss gleichzeitig die schmachtenden Blicke, die Carmela erntete. Besonders auf der Dachterrasse, wo man sich hüllenlos sonnen konnte. Nahtlos braun zu werden, darin bestand der formale Zweck des Aufenthalts wie in jedem Frühling.

      Für vier Uhr, das war ebenfalls üblich, hatte das Hotel einen Imbiss mit eiskaltem Champagner bereitgestellt, der jeweils im Raum unter der Dachterrasse angeboten wurde. Die Damen schlenderten deshalb um diese Zeit, eine nach der andern die Treppe hinunter, um sich zu erfrischen. Ohne Textilien. Schon nur um keine Sonnencreme auf die empfindliche Wäsche zu kleckern. Außerdem war frau ja unter sich.

      Gellende Schreie vom Dach zerstörten die knisternde Atmosphäre. Carmela, als Jüngste, war auch als Erste wieder oben.

      Debora stand wie eine Statue am Rand der Dachterrasse und starrte nach unten. Carmela rüttelte sie am Arm. „Warum hast du geschrien?“, wollte sie wissen.

      Debora schien aufzuwachen. „Sie ist runtergefallen! Ich konnte sie nicht mehr halten“, krächzte Debora mit halb erstickter Stimme.

      „Was konntest du nicht mehr halten?“, fragte Carmela nach.

      „Diese Frau!“

      Erst jetzt registrierte Carmela, dass von unten aufgeregte Stimmen zu hören waren. Die Dachterrasse war durch einen Streifen aus Ziegeln von der Fassade getrennt, ein direkter Blick auf die Straße deshalb nicht möglich.

      Carmela zog Debora weg von der Brüstung, schob sie stattdessen sanft auf einen Liegestuhl. „Bleib da, ich gehe nachsehen!“ Dann stürmte sie die Treppe hinunter.

      Erst vor dem Lift fiel ihr ein, dass sie nackt war. Also schnell wieder nach oben, wo ihre Kleider lagen. Sie streifte sich jedoch nur eine Hose und ein Shirt über, während sie schon wieder unterwegs war.

      Vor dem Hotel hatte sich eine Reihe von Menschen in einem geschlossenen Halbkreis angesammelt. Einige schluchzten, dazu gedämpftes Gemurmel.

      Carmela bahnte sich einen Weg durch die Menge, bis sie schockiert stehen blieb. Die Frau, die gerade noch vor einigen Minuten mit ihr geflirtet hatte, lag blutend auf dem dunklen groben Kopfsteinpflaster. Mit ausgebreiteten Armen auf dem Bauch. Der stark abgedrehte Kopf ließ das Gesicht erkennen.

      Der Körper wirkte seltsam unförmig, wie auf einer Seite gepresst. Völlig reglos lag sie da, nur das Blut floss noch immer. Ihre langen blonden Haare waren an den Spitzen schon blutig verfärbt, mäandernde rote Schlieren hatten bereits den ersten Gully erreicht.

      Noch nie hatte sich Carmela so hilflos gefühlt. „Hat jemand eine Decke!“, rief sie in die Menschenmenge.

      Alle sahen sie nur betreten an, niemand gab eine Antwort.

      Carmela lief die paar Schritte zurück ins Hotel und schnappte sich die erstbeste Tischdecke, die sie sah.

      Als sie damit zurückkehrte, machten die Leute plötzlich respektvoll Platz.

      „Verletzte frieren immer“, murmelte eine ältere Frau kopfnickend.

      Carmela glaubte nicht, dass diese Verletzte noch fror. Sie brachte ihr wohl eher ein Leichentuch. Wenigstens aus edlem Damast, wie sie registrierte, während sie es behutsam über den Körper ausbreitete.

      Trotz der schrecklichen Situation. Der weiße schwere Stoff mit dem farblosen Muster verlieh dem Ganzen eine gewisse Würde. Einige der Umstehenden falteten die Hände, ein immer deutlicher werdendes Vaterunser erklang. Bis es von der Sirene eines heranpreschenden blau-weißen Streifenwagens zerrissen wurde.

      ***

      Kommissar Eric Guerin hatte den Grill im Garten seiner Wohnung gerade angeheizt, Michélle würzte die Steaks, als das Telefon klingelte. „Merde!“, entfuhr Guerin. Michélle runzelte vorwurfsvoll die Brauen.

      „Tut mir leid, mon Chérie“, brummte Guerin, „aber ich höre schon am Klang der Klingel, dass ich gleich gehen muss.“

      Er hörte eine Weile zu, dann folgte ein gedehntes „ja klar komme ich vorbei, bis gleich.“

      „Soll ich mit dem Essen warten?“, fragte Michélle.

      „Ich befürchte, das hat wenig Sinn“, gab er zurück.

      „Todesfall?“, fragte Michélle zurück.

      Er nickte. Dann hellte sich seine Miene etwas auf. „Du könntest eigentlich mitkommen. Es ist nur ein kurzes Stück, wir können zu Fuß gehen. Wenn wir Glück haben, reicht es dazwischen für ein kleines Abendessen.“

      „Dann müsste ich mich umziehen.“

      „Ich doch auch“, gab er zurück.

      Guerin hatte alle Lebensmittel in den Kühlschrank verfrachtet, bis Michélle ebenfalls fertig war.

      Er musterte sie betont auffällig: Sie trug eine weiße Bluse zu einem kurzen schwarzen Bleistiftrock. Dazu die Strümpfe mit Naht, die er ihr gekauft hatte trotz der hohen Temperatur. Die Strumpfhalter zeichneten sich unter dem engen Rock deutlich ab. Dazu die neuen hellen Pumps, mit den höchsten Absätzen, die Michélle je besessen hatte. Natürlich trug sie auch die nur für ihn, sie hätte flache Schuhe vorgezogen. Aber wenn er die so toll fand?

      „Oh, la, la, Madame! Sie sehen zum Anbeißen aus“, sagte er schließlich, nachdem sie sich noch einmal umgedreht hatte.

      „Untersteh dich!“, gab sie zurück. „Wenn wir essen, dann im Restaurant!“

      Auf dem Weg erzählte er ihr, was er bereits wusste, damit sie sich auf die Situation vorbereiten konnte, die sie erwartete.

      Guerin wurde von den Gendarmen sehr respektvoll begrüßt, fiel Michélle auf. Er stellte sie bloß als Madame Steinmann vor, ohne weitere Erklärung.

      Den Respekt zollten sie ihm allerdings nicht nur für seine legendären Fahndungserfolge, wie Michélle dachte. Guerin stand überdies im Ruf, stets die elegantesten Weiber um sich zu scharen. Was er an diesem Abend wieder einmal unter Beweis stellte.

      „Würdest du bitte hier warten!“, bat er sie, „ich sehe mir die Tote näher an.“

      Sie nickte nur, um ihn nicht bloßzustellen.

      Guerin verschwand im Schutzzelt,


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