DEBORA. T.D. Amrein

DEBORA - T.D. Amrein


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streifte sich Handschuhe über, bevor er sich dem Opfer näherte. Eigentlich hätte er sich das auch sparen können, dachte er, als er sie betrachtete. Die Tote war nicht nur völlig unbekleidet, sie trug auch weder Schmuck noch Make-up.

      Unnatürlich wirkte jedoch der Glanz auf den unverletzten Teilen der Haut. Sie schien frisch eingefettet zu sein.

      Guerin zog sich in den Vorraum zurück und wartete auf Claude.

      „Was kannst du mir schon sagen?“, fragte er, als der Pathologe erschien. „Ist sie nur gefallen oder hat sie auch andere Verletzungen?“

      „Auf den ersten Blick, nicht“, war die Antwort, „aber du weißt ja, dass ich ohne genaue Untersuchung …“

      Guerin winkte ab.

      „Auf jeden Fall war sie sofort tot. Der Schädel ist völlig zertrümmert, Genick und Wirbelsäule sind mehrfach gebrochen“, führte Claude weiter aus. „Man kann von Glück sprechen, dass sie niemanden getroffen hat. Einigen Touristen ist sie direkt vor die Füße gefallen.“

      „Woher kommt der Glanz?“, wollte Guerin wissen.

      „Sonnencreme.“

      „Ach so, Sonnenbad auf dem Dach …?“

      „Sieht ganz so aus“, bestätigte Claude.

      „Wovon haben sie dich weggeholt?“, fragte Guerin nach.

      „Fußball-Übertragung. Und du?“

      „Romantischer Abend.“

      „Hast du sie allein gelassen?“

      „Nein, mitgenommen, sie steht da draußen.“

      Guerin zog die Zeltplane ein Stückchen nach unten. „Du kennst sie ja schon.“

      Claude nickte. „Inzwischen ist sie noch mehr aufgeblüht. Wie du das immer machst?“, stellte Claude nach einem kurzen Blick fest.

      „Das muss an meinen Genen liegen“, scherzte Guerin.

      „Das kannst du ruhig ausschließen!“ Claude grinste. „Du bist einfach ein Glückspilz oder ein Sonntagskind, das sind die richtigen Kriterien.“

      ***

      Guerins Assistent, Marcel Morier, hatte schon einige Fakten zusammengetragen, die er ihm nun vortrug. „Also, das Opfer, sie ist im Hotel angemeldet, hier ihr Reisepass, heißt Martina Werthemann. Ihre Adresse, Paracelsusweg 141, Freiburg im Breisgau, Beruf Rechtsanwältin, geboren 23.11. 1940. Familienstand ledig.

      Die wichtigsten Zeuginnen: Frau Dr. med. dent. Debora Nagel, wohnhaft in Basel, an der Hebelstraße 421 sowie ihre Assistentin, Carmela Leu, die Adresse ist dieselbe. Die anderen Damen haben nichts beobachtet, sie befanden sich zurzeit des Vorfalls nicht auf dem Dach.“

      „Danke Marcel. Hast du auch schon eine Aussage darüber, was vorgefallen ist?“, fragte Guerin nach.

      „Ja, Frau Nagel hat angegeben, dass Frau Werthemann plötzlich in Panik geraten ist, um sich geschlagen hat und danach über die Brüstung geklettert ist.

      Frau Nagel hat noch versucht, sie festzuhalten. Jedoch ist ihr der Arm der Frau entglitten, infolge der Sonnencreme, wie sie erklärt hat. Ich habe übrigens nachgesehen, es befindet sich ein Wespennest in der Ecke, wo es passiert sein soll. Ihre Aussage scheint mir absolut glaubhaft zu sein“, fügte er noch an.

      „Und diese Assistentin, die war dabei?“, fragte Guerin nach.

      „Nein, dabei war sonst niemand, sie war nur die Erste, die das Dach erreicht hat, nachdem die Schreie gehört wurden.

      Sie hat sich danach um das Opfer gekümmert, die anderen Damen blieben bei Frau Nagel.“

      „Schade“, seufzte Guerin. „Also können wir es nicht gleich als Unfall einstufen. Informieren sie bitte Doktor Roulin, damit er auf eventuelle Wespenstiche achten kann. Ich werde noch mit den beiden Zeuginnen sprechen.“

      Marcel nickte. „Bis später, Herr Kommissar.“

      Guerin bat Michélle, ihm Protokoll zu führen, damit sie nicht mehr alleine herumsitzen musste. Und außerdem, da das Opfer aus Freiburg stammte, konnte sie schon erste Informationen sammeln, inoffiziell natürlich, sie würden später einen Weg finden, das zu legalisieren, falls nötig.

      Frau Doktor Nagel hatte sich inzwischen gefasst. Neugierig musterte sie Guerin und seine „Protokollführerin“, als sie von Morier in den improvisierten Vernehmungsraum, eigentlich das Frühstückszimmer des Hotels, geführt wurde.

      Auf die Fragen Guerins wiederholte sie praktisch Wort für Wort die Aussage, die der Kommissar schon von Marcel erhalten hatte.

      „Madame!“, fragte Guerin nach, „haben Sie eine Ahnung, was die Panik bei Frau Werthemann ausgelöst haben könnte?“

      „Frau Werthemann“, wiederholte Debora. „Ihren Namen kannte ich bisher nicht. Und nein, ich habe keine Erklärung, ich bin bloß Zahnärztin, keine Psychologin.“

      Guerin seufzte leise. „Madame, ich wollte auch keine ärztliche Diagnose nachfragen. Sondern, sagen wir mal einfach so, ohne Fachkenntnisse: Was ging Ihnen den durch den Kopf in diesem Moment?“

      „Mein erster Gedanke, meinen Sie?“

      „Ja, Madame, so könnte man sagen.“

      „Die spinnt völlig, das habe ich gedacht, auch wenn das jetzt ziemlich herzlos klingt.“

      „Haben Sie vielleicht auf dem Dach die Anwesenheit von Wespen bemerkt, Madame?“, fragte Guerin nach, ohne auf ihre Antwort einzugehen.

      Sie zog die Augenbrauen hoch, „Wespen? Ja es kann sein, dass um die Früchte einige herumgeschwirrt sind.“

      Dann begriff sie den Sinn der Frage. „Ach so, Sie denken, dass sie Angst vor Wespen hatte, und deshalb die Panik …

      Ja, jetzt wo Sie es sagen, das wäre durchaus möglich.“

      „Danke Madame, das war im Moment alles. Wenn Sie dann …“ Er blätterte in seinen Unterlagen. „… Bitte Frau Leu zu mir schicken würden, das wäre sehr nett!“

      „Was wollen Sie denn von Carmela? Die war ja gar nicht dabei!“, zischte sie.

      Jetzt zog Guerin die Brauen hoch, „Frau Leu kennen Sie also, Madame?“

      „Sie ist schließlich meine Lebenspartnerin, Herr Kommissar, auch wenn Ihnen das womöglich nicht gefällt!“, antwortete sie immer noch ziemlich gereizt.

      Guerin blieb ganz ruhig. „Ich bitte Sie, Madame, ich achte selbstverständlich jedermanns Auffassung. Wenn Sie dann also bitte Ihre Lebenspartnerin zu mir bitten könnten.“

      Debora beschränkte sich auf einen giftigen Blick, bevor sie aufstand. Guerin wartete, bis sie fast an der Tür war, bevor er seine letzte Frage stellte. „Einen Moment noch, Madame!“

      Sie drehte sich abrupt um. „Was ist denn noch?“

      „Kennen Sie von den anderen Gästen auch noch jemanden näher?“, wollte er wissen.

      „Ja, wir kennen uns seit Jahren, wir treffen uns immer im Frühling hier, um uns zu sonnen. Nur diese Frau … Wettermann war neu, niemand hat sie gekannt.“

      „Werthemann, Madame.“

      „Ja, dann eben Werthemann. Die anderen sind übrigens auch Pärchen, nur damit Sie nicht fragen müssen, Herr Kommissar!“, schnauzte sie ihn grob an.

      Carmela machte dagegen einen traurigen Eindruck, schüchtern trat sie ein. Guerin schonte sie, soweit möglich, las ihr nur die Notizen von Marcel vor, und fragte dann, ob sie noch etwas hinzufügen möchte. „Die arme Frau“, sagte sie nur. „Und ich konnte gar nicht mehr helfen.“

      Auf die Frage nach den Wespen schüttelte sie nur den Kopf.

      Entgegen seiner ersten Absicht ließ Guerin auch die beiden Pärchen, Erika und


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