Stargeflüster. Ava Lennart
er hätte am liebsten ihren Kopf zu sich gezogen und ihr durch einen Kuss Sterne in diese blauen Augen gezaubert. Aber durfte er das denn?
Er war in einer Phase seines Lebens, wo er alle, die er liebte – allen voran Liz - vernachlässigte. Er war teilweise monatelang wegen der Dreharbeiten abwesend und befand sich auch in den übrigen Zeiten in einem engen Terminkorsett. Und dann noch dieser ganze Starrummel. Welche Frau würde das mitmachen? Wenn er ehrlich zu sich war, hatte er überhaupt keine Zeit für eine Frau und sollte sich auch keiner zumuten. Fairerweise sollte er Salomé hier und jetzt verlassen und ihr die Chance auf ein ruhiges Leben geben.
Aber er konnte nicht von ihr lassen. Ihre Augen waren wie Magneten, und er spürte das pulsierende Leben durch seinen Körper pumpen, wenn er in ihrer Nähe war. Dieses Gefühl hatte er bereits auf dem Fest in Südfrankreich gehabt. War das erst knapp eine Woche her? Es kam ihm vor wie ein fernes Märchen.
Die gesamte Stimmung des Abends, Salomés luftiges langes Kleid und ihre unbändige Lebensfreude in dieser Nacht hatten ihn verzaubert und ihm seitdem schlaflose Nächte bereitet. Sie war wie eine Droge, und er war schlicht und einfach angefixt. Verdammt, er war ein impulsiver Mensch, und alles an dieser Frau weckte in ihm hauptsächlich einen sehr männlichen Impuls.
Ohne lange zu überlegen, legte er seine Arme um sie und zog sie in eine feste Umarmung. Wie erwartet, versteifte sie sich sofort. Er ließ sie nicht los, vergrub seine Nase in ihrem Haar und inhalierte ihren berauschenden Duft, während er zärtlich mit einer Hand über ihren Rücken streichelte. Mit einem leichten Ächzen gab sie unmerklich nach und schmiegte sich an ihn. Nate lächelte in sich hinein.
„Well, ma Bonnie. See ye soon“, flüsterte er in ihr entzückendes kleines Ohr. Bewusst wählte er fast die gleichen Worte, die er ihr bereits an dem Abend in Frankreich in ihr Ohr gehaucht hatte. Als wären diese ein Talisman, die Garantie, sie bald wiederzusehen.
Er hörte sie ungläubig schnauben, und sie begann, sich aus seiner Umarmung zu befreien. Ihre Wangen waren zart gerötet, und wieder rührte ihr Anblick an sein Herz. Sie räusperte sich, und er biss sich angesichts ihres kläglichen Versuchs, die Fassung zu erlangen, wieder auf die Lippe, um ein Grinsen zu unterdrücken.
„Okay, Nate. Ich muss jetzt wirklich nach oben. Gute Nacht.“ Nate nickte nur ernst und verließ dann, ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen, die Lobby.
Salomé schaute ihm fassungslos hinterher, als er das Haus verließ. Noch nicht einmal ein kleiner Blick zurück zu ihr! Ihr Herz hämmerte. Wie machte er das? Wie konnte er in einem Moment so unglaublich zärtlich sein und im nächsten so unglaublich cool? Und weshalb benahm er sich so?, war die noch viel wichtigere Frage.
Sie schloss kurz die Augen, immer noch überwältigt von dieser intensiven Szene, als er sie umarmt hatte. Sie hatte noch den Geruch seines Rasierwassers in der Nase. Wie ärgerlich, dass sie ihre Fassade hatte sinken lassen und weich geworden war. Benommen drehte sie sich um und machte sich auf den Weg nach oben. Nur gut, dass sie ihn wahrscheinlich so bald nicht wiedersehen musste. Das würde genügen, um ihren Verstand wieder die Oberhand gewinnen zu lassen.
Als sie die Tür zu ihrem dunklen Apartment schloss, fiel ihr ein, dass sie Nates Rose bei Conrad vergessen hatte.
STARGAST DES ABENDS
Googeln oder nicht googeln? Salomés Finger zuckten, während sie sich diese Frage stellte. Dann siegte die Neugier. Gerade, als sie „Nate“ eingegeben hatte, klopfte es energisch an ihrer Bürotür. Ertappt schloss sie ihr Laptop und überlegte, ob sie vorgeben sollte, ein paar Dokumente auf ihrem Schreibtisch zu ordnen. Wie albern. Sie war erwachsen und konnte googeln, wen immer sie wollte. Sie schüttelte über sich selbst den Kopf, bevor sie den Besucher hereinbat.
Salomé blickte in Teds besorgte Augen, als er ihr wortlos auf seinem Tablet eine Eilmeldung der Financial Times vorlegte. Ihre Stirn krauste sich tiefer, je weiter sie im Text vorankam. Dann gab sie einen empörten Laut von sich.
„Das darf doch nicht wahr sein! Davon hat er heute früh kein einziges Wort erwähnt.“
„Warum sollte er auch? Er wollte wahrscheinlich noch die letzten Stunden als angesehener Banker genießen und sich in der Bewunderung einer schönen Frau suhlen.“
Salomé verzog ihr Gesicht. Das musste sie Ted lassen: Er hatte es raus, Vorgänge und Motivationen rasiermesserscharf zu sezieren, und traf mit seiner Einschätzung immer genau den Punkt. Sie ärgerte sich über den verlorenen Morgen.
Dieses Frühstücksmeeting mit dem begehrten Fondsmanager Jonathan Hawk, zu dem sie sich heute früh nach einer recht schlaflosen, kurzen Nacht geschleppt hatte, war also überflüssig gewesen. Eine pfiffige Journalistin der Financial Times hatte ihn bei Insidergeschäften überführt, und die Behörden hatten sich sicherlich bereits seiner angenommen.
Schade. Seine außergewöhnlichen Ideen für die Gründung eines neuen Fonds, die er ihr heute früh mit leuchtenden Augen skizziert hatte, hatten Salomé mehr als beeindruckt und sie kurzzeitig das leise Ziehen in ihrem Herzen, wann immer sie an Nates Umarmung gedacht hatte, vergessen lassen. Eigentlich hatte sie heute noch die Rechtsabteilung anweisen wollen, einen reizvollen Exklusivvertrag für Hawk zu entwerfen.
„Glück im Unglück würde ich sagen. Nicht auszudenken, wenn das später herausgekommen wäre und uns die Anleger reihenweise verlassen hätten“, fasste sie das Fiasko abschließend zusammen.
Ted nickte zustimmend und fragte: „Bist du heute Abend auf der Gala?“
„Ja, selbstverständlich. Wir sind schließlich einer der Hauptsponsoren. Mein Bruder Philippe und seine Verlobte werden ebenfalls dort sein. Also denke ich, ich werde auch ein wenig Spaß haben. Komm doch auch. Bei uns am Tisch wäre sicherlich noch ein Platz frei.“
Ted druckste ein wenig verlegen herum, was nichts damit zu tun hatte, dass ein einziger Sitzplatz bei dem Gala-Event die Bank an die fünftausend Dollar kostete.
„Nein, so gerne ich dein Angebot annähme. Aber ich habe heute Jahrestag mit Sarah. Und ich habe ihr versprochen, mit ihr ins Kino zu gehen. Sie will unbedingt diesen neuen Shootingstar in dem Blockbuster, der gerade Premiere hatte, sehen. Sie steht total auf diesen Highlander-Typ.“
Salomé blickte ihn ausdruckslos an. Ted winkte ab, weil er wusste, dass sie mit solchen Themen überhaupt nichts anfangen konnte.
„Ist ja auch nicht so wichtig. Ich bin gleich nach der Mittagspause wie besprochen im Meeting mit Johnson & Abt. Ich hoffe, die zieht sich nicht wieder ewig. Ich schicke dir dann eine kurze Zusammenfassung und wünsche dir auf jeden Fall viel Spaß heute Abend. Wir sehen uns dann Montag, okay?“ Mit einer winkenden Geste verließ Ted den Raum.
Salomé klappte ihr Laptop wieder auf und las sich alle Nachrichtenmeldungen zur Verhaftung von Jonathan Hawk durch.
„Gucklöcher in der Chinese Wall“, lautete ein mehrseitiger Artikel, in dem eine Journalistin ein ganzes Nest an Bankern und Firmenmagnaten ausgehoben hatte, die, entgegen sämtlichen Regeln der Finanzmärkte, ihr Konsortium genutzt hatten, um Aktienemissionen künstlich zu pushen.
Du meine Güte. Salomés Herzschlag erhöhte sich. Hoffentlich würde dieser Finanzskandal die de Bertrand-Bank dBB nicht beeinträchtigen. Selbst wenn ihre Familienbank nicht Teil dieses Bankenkonsortiums war, begleitete sie regelmäßig Start-up-Unternehmen bei ihren IPOs, ihren Börsenstarts. Nicht auszudenken, wenn das Vertrauen der Unternehmen in die Glaubwürdigkeit der Finanzanalysen und Equity Story von dBB geschwächt würde.
Sie wählte die Nummer ihres Vaters Charles, um die Strategie für eine Stellungnahme im Falle der zu erwartenden besorgten Anfragen der Anleger mit ihm abzustimmen.
Ihr Mittagessen ließ Salomé ausfallen und sich von Keira mit einer Suppe aus einem nahen Deli versorgen. Während sie die nicht mehr ganz heiße Köstlichkeit schlürfte,