Stargeflüster. Ava Lennart
Gerade deswegen rief sie ihre Vernunft zur Ordnung. Wenn sie sich jetzt ablenken ließ, wäre der ganze Tag verloren. Sie hatte sich mit ihrer zukünftigen Schwägerin Dominique um vier Uhr bei sich zu Hause verabredet. Louis, der begnadetste Visagist Manhattans, würde dort vor der Gala an ihnen den letzten Feinschliff vornehmen. Bis dahin blieb nicht mehr viel Zeit. Dieser blöde Skandal um Jonathan Hawk hatte ihr das für heute geplante Pensum durcheinandergebracht.
Kurz vor vier hetzte Salomé in die Lobby ihres Apartmenthauses. Dominique erhob sich freudestrahlend aus einem der cremefarbenen Sessel im Wartebereich. Conrad folgte ihr und hielt zwei Kleidersäcke im Arm.
„Ah, Miss de Bertrand. Sie haben Ihre rote Rose gestern Abend bei mir vergessen.“
Salomé spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. Dominique hob fragend ihre Augenbrauen. Zu ihrer Erleichterung erschien just in diesem Moment Louis mit seiner Entourage. Nach einer raschen Dusche konnte Salomé ein wenig entspannen und genoss die kundigen Hände von Louis’ Team.
„Das ist ja fast so schön wie bei Inès in Frankreich“, brummte sie genießerisch, als ihr eine Nackenmassage verabreicht wurde. Ihre Mutter verbrachte ihre Sommermonate niemals ohne ihr Beautyteam, und Salomé, Julia und auch Dominique waren ebenfalls in den Genuss dieses Luxus gekommen. Dominique seufzte bei der Erinnerung.
„Ja, das war herrlich. Hier, zur Einstimmung.“ Sie reichte Salomé ein Glas Champagner.
Salomé grinste und prostete ihr zu. Sie freute sich auf den Abend. Er würde sie ablenken. Nate war gestern. Ihr Leben ging weiter und kam ihr gar nicht so übel vor.
„Erzähl schon, Zaza, wer schenkt dir in Manhattan eine Rose? Und noch dazu eine rote?“
Salomé war versucht, Dominique die Wahrheit zu erzählen. Aber sie hatte überhaupt keine Lust, sich den spöttischen Bemerkungen ihres Bruders Philippe auszusetzen, für den der Fakt, dass seine Schwester einen ernsthaften Verehrer hatte, ein gefundenes Fressen wäre. Nicht auszudenken, wenn auch noch ihr Vater davon erfahren würde. Also gab sie sich betont gleichmütig.
„Ach, nur ein Werbegeschenk von einer Ausstellungseröffnung, auf der ich gestern war. Der Künstler kam sich wohl besonders originell vor“, log sie.
Als Salomé aus der Limousine stieg, war die Hektik des Tages wie weggeblasen. Sie fühlte sich wunderschön in ihrer körperbetonenden nudefarbenen Chanelrobe mit den eleganten Schmetterlingsapplikationen. Bisher hatte sie bei solchen Anlässen konservative Abendroben von amerikanischen Designern getragen. Aber die Zeit in Frankreich hallte noch nach, und ihre Mutter hatte ihr das Kleid extra für diesen Anlass geschickt.
Louis hatte seine ganze Kunst in Salomés Styling eingebracht. Sie grinste.
Der Moment früher am Abend, als sie sein Werk an ihr betrachten durfte, war unvergesslich. Louis liebte die Dramatik.
„So, nun noch ein Hauch von Mauve auf deine Lippen. Voilà! Du bist fertig, Salomé!“
Sie hatte ergriffen geschluckt, als sie sich selbst im Spiegel gesehen hatte. Wow! Ihr sonst modern gestuftes, dunkles Haar war wie bei einem amerikanischen Filmstar in weiche Wellen gelegt und harmonierte perfekt mit dem Vierzigerjahre-Stil des Kleides.
„Was hat Louis mit deinen Augen gemacht?“ Dominique drehte begeistert Salomés Gesicht zu sich, damit sie Louis’ Werk genauer studieren konnte.
„Das nennt man Sparkling-Eyes. Siehst du hier, Chérie: Den unteren Lidstrich habe ich mit diesen glitzernden Elementen versehen, das obere Lid mit einem schwarzen Lidstrich.“ Der zufriedene Gesichtsausdruck des Meisters zeigte, wie Louis es liebte, seine Arbeit zu erläutern.
„Das will ich auch haben, bitte, Louis!“ Dominique zog einen Schmollmund, als Louis abwehrend die Hände hob.
„Nein, das passt heute nicht zu deinem Kleid. Dafür habe ich mir etwas anderes für dich ausgedacht. Du wirst begeistert sein, glaube mir, Dominique.“
Dominique hatte gespielt geseufzt und sich Louis’ kundigen Händen überlassen.
Nun also schwebte Salomé neben Philippe und Dominique wie eine Prinzessin in den Veranstaltungssaal des Manhattan Penthouse 5th Avenue. Die Bedenken, für den Anlass zu europäisch overdressed zu sein, zerfielen, als sie die opulenten Roben der anderen Damen begutachtete. Diese Gala war einer der gesellschaftlichen Events des Jahres. Die Reichsten des Landes hatten sich zu dieser humanitären Charity-Veranstaltung zusammengefunden. Und hatte nicht sogar ein Star aus Hollywood sein Kommen angekündigt und sollte den Preis an einen armenischen Arzt im Exil überreichen, der ganzen Scharen von Kindern in Krisenregionen das Überleben gesichert hatte?
Philippe und Salomé waren gerade in ein ernstes Gespräch über den Finanzskandal um Hawk vertieft, als der Organisator der Veranstaltung, Howard Bench, begleitet von zurückhaltendem Applaus der Anwesenden, das Stehpult erreichte und mit einem strahlenden Lächeln um Ruhe bat. Bench war für seine schonungslosen Reden bekannt.
„Liebe Freunde und Gönner. Seien wir ehrlich. Wir sind heute hauptsächlich hier, um unser Gewissen zu beruhigen. Aber was ist an diesem Impuls falsch, wenn wir damit tatsächlich helfen?“
Verhaltenes Gelächter ertönte. Howard Bench fuhr in ähnlichem Stil kurz und treffend fort.
Salomé hing an Benchs frechen Worten und bekam zunächst nicht mit, wie sich am Eingang des Saales ein Raunen erhob. Philippe blickte sich bereits suchend um.
Bench hielt in seiner Rede inne. Dann deutete er begeistert auf den Eingangsbereich des Saales, und jeder im Saal reckte nun den Hals, um zu erkennen, was dort vor sich ging.
„Und kann es schaden, wenn wir uns – nennen wir es unlauterer – Methoden bedienen, um helfendes Geld zusammenzubringen?“, rief Howard Bench in Richtung eines Paares, das in der Saaltür stand.
Salomé konnte außer Silhouetten nichts erkennen, weil sie der Scheinwerfer, der auf das Stehpult gerichtet war, anstrahlte. Sie vermutete, es handelte sich um den Hollywoodstar, und nahm gelassen noch einen Schluck Champagner zu sich.
„Meine Damen und Herren, mit Freude teile ich Ihnen mit, dass wir dieses Jahr einen sehr begabten Darsteller gewinnen konnten, den diesjährigen Outstanding-Contribution-to-Humanity-Award, also unseren Tower, zu überreichen. Begrüßen Sie mit mir Nathan Hamilton und seine wunderschöne Begleiterin Ivana Kalinka.“
Salomés Kopf fuhr herum. Der frenetische Applaus, der nach diesen Worten einsetzte, wurde von dem Rauschen in ihren Ohren übertönt. Wie in Zeitlupe sah sie Nate, mittlerweile von mehreren Spots hell angestrahlt, freundlich nickend durch den Raum schweben. Er trug einen eleganten Smoking, hatte das dunkelblonde Haar zurückgegelt, was seine hohe Stirn betonte, und sah umwerfend aus. Am Arm führte er eine überirdische Schönheit, die mit ihren langen Beinen und den High Heels fast so groß war wie er.
In Salomés Hirn herrschte Leere. Am Rande nahm sie wahr, wie Philippe sich zu ihr neigte.
„Ist das nicht der Nate, der bei uns auf Mirabel war?“
„Stimmt, jetzt erkenne ich ihn auch. Der war doch einer von den Jungs im schottischen Kilt, oder?“, warf Dominique leise ein.
Salomé nickte und konnte den Blick nicht vom Geschehen lösen. Nate führte seine Begleiterin an einen Tisch direkt vor der Bühne, deutete eine leichte Verbeugung an und stieg dann die Stufen hoch.
Fassungslos starrte Salomé die Frau an, die offenbar Nates Freundin war. Also doch! Er hatte eine Freundin. Jetzt hatte sie Gewissheit. Wie konnte er nur! Gestern hatte er es für einen Moment geschafft, sie glauben zu lassen, er wäre ernsthaft an ihr interessiert. Und nun saß da eine andere Frau, unanständig schön, und lächelte Nate hingebungsvoll an.
Er hatte Howard Bench die Hand geschüttelt und sich dem immer noch applaudierenden Publikum zugewandt. Salomé schluckte. Sie hatte den anfänglichen Schock überwunden, und ihr Verstand lief auf Hochtouren. Die einsetzende Erkenntnis ließ sie leise ächzen. Das konnte doch nicht wahr sein. Er war berühmt, und sie hatte es nicht gewusst. Er hatte ja erzählt, dass er Schauspieler