MarChip und die Klammer der Angst. Esther Grünig-Schöni

MarChip und die Klammer der Angst - Esther Grünig-Schöni


Скачать книгу
dass es nicht falsch aufgefasst wurde. Er gab Emily das Päckchen und flüsterte ihr zu: „Eine kleine Freude für die Kleine. Ganz spontan und ohne Hintergedanken.“

      Er hatte soweit alles erledigt. Sein Fahrzeug konnte da noch einen Moment stehen bleiben. Er wurde aufmerksam und mit Staunen im Blick betrachtet. „Danke. Du bist schwer einzuschätzen Chip.“ Noch einmal betrachtete sie den Mann von oben bis unten und schien tatsächlich nicht so recht zu wissen, was sie da für einen vor sich hatte. Als sie losgingen, beschäftigte ihn das Gesagte weiter. „Warum? Warum siehst du das so?“

      „Du bist ein schöner Mann. Die meisten, die wie du aussehen, die so selbstbewusst sind, haben eher wenig Einfühlungsvermögen und keine Geduld mit anstrengenden Menschen.“ Er blieb stehen. „Du gibst etwas auf Klischees?“ „Tun wir das nicht alle mehr oder weniger?“ „Ich eher weniger. Und ich hasse es eingeordnet zu werden.“ „Du wirst es trotzdem.“

      Sie wurde auf einmal rot und senkte den Blick. „Chip, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“

      „Ist schon ok. Und … ich bin selbst anstrengend und froh, wenn jemand nicht gleich schreiend die Flucht ergreift.“ Dazu grinste er schelmisch. „Und wie ich aussehe … ja, das weiß ich.“ Er lachte.

      Durch dieses Lachen entspannte sie sich. Es war nicht weit bis zu ihr hin, aber selbst diese kurze Strecke kostete sie ihre letzte Kraft. Die Ängste beeinträchtigten ihr Leben sehr. Wodurch wurde das ausgelöst oder was hatte es bei ihr ausgelöst? Er wollte sich schlau machen. Er wusste, dass er sie nicht fragen durfte. Es ging ihn nichts an.

      „Alleine hätte ich es heute nicht geschafft.“ Sie wandte sich etwas ab, damit er die Tränen in ihren Augen nicht sah. Doch er wusste es und wagte nun doch eine heikle Frage. „Hast du professionelle Hilfe?“ „Ich bin nicht verrückt“, kam es sogleich heftig von ihr. „Nein, das sagte ich nicht und das denke ich nicht. Ich dachte, ich hatte das zuvor schon klar ausgesagt.“

      Sie atmete schnell, doch sie versuchte sich zu beruhigen. Das nahm etwas Zeit in Anspruch. „Entschuldige Chip, ich wollte dich nicht angreifen. Es ist nur … automatische Reaktion. Ich muss mir zu oft anhören – wie Moni es schon andeutete – dass ich nicht richtig im Kopf bin, dass ich in die Klapse gehöre, dass jemand wie ich nicht auch noch ein Kind haben sollte und überhaupt völlig überflüssig auf der Welt sei.“ „Wer redet solchen Scheiß?“ Er regte sich auf. „Liebe Mitmenschen und Familienmitglieder.“

      „Ignoranten! Viele verstehen nichts und wollen sich gar nicht damit auseinander setzen. Sie blöken Parolen vor sich hin oder Sätze, die sie irgendwo aufschnappen. Gelaber! An denen musst du dich nicht messen. Zugegeben, ich weiß wenig darüber. Aber ich werde mich auf meinen Hintern setzen und es studieren, weil ich dem begegnet bin, weil ich dir begegnet bin. Wer nur ein bisschen nachdenkt, wer seine Gehirnzellen nicht verkümmern lässt, sagt nicht solchen Schund ins Blaue hinaus. Das Leben ist nicht schwarz oder weiß, es ist nuanciert. Menschen haben enorm viele Seiten und Vorgänge. Das kann nicht auf so einfache Nenner reduziert werden.“

      Sie staunte und wandte ein. „Vielleicht Angst vor Unbekanntem und dann Rundumschlag?“ „Das auch ja. Aber die meisten interessieren sich leider für nichts Wesentliches. Gräm dich nicht. Eigentlich wollte ich nur das mit meinem Vortrag ausdrücken.“ „Ich sehe ein paar deiner Seiten.“

      Er lächelte. „Oh da sind Viele. Aber … wir kennen uns noch kaum. Ich weiß. Trotzdem … deine Kleine zum Beispiel. Sie ist aufgeweckt, schlau, dein Kind, lacht, weint, sieht die Welt aufmerksam. Sie zeigt viel wie du bist. An ihr sehe ich am deutlichsten, was für ein Blödsinn solche Aussagen sind.“ „Vielleicht bist du da der einzige.“

      „Das kann nicht sein. Ich sehe an dir nichts Verrücktes, an mir eine Menge. Ich sehe nur Unsicherheit und Angst. Das wird seine Gründe haben. Und … professionelle Hilfe ist Betreuung und Unterstützung bei Dingen, die man alleine noch nicht ganz meistern kann. Das kenne ich. Und das ist nichts Beschämendes. Es ist Stärke, Hilfe anzunehmen, wenn es nötig ist.“ „Ja ich habe eine solche Hilfe. Aber ich möchte mich nicht zu sehr anlehnen, mich nicht zu sehr aufstützen.“ Er lächelte wieder. „Das ist auch richtig so.“

      Chip sah ihre Unsicherheiten, aber er sah auch ihre Stärke; den Willen das Leben trotzdem anzupacken. Vermutlich allerdings vor allem für das Kind und nicht in erster Linie für sich selbst. Nun gut, eine solche Beurteilung stand ihm nicht zu und möglicherweise lag er falsch. Schließlich war er kein Seelenklempner, auch wenn ihm diese Dinge nicht unbekannt waren. Er war in der Lage, so etwas einzuschätzen.

      Er gestand anderen durchaus zu, dass sie es nicht konnten. Das nahm er niemandem übel. Nur, wer es nicht konnte, blieb eher still im Hintergrund und maßte sich nicht an, die Weisheit für sich gepachtet zu haben. Wer es hingegen nicht wollte und sich als Nabel der Welt ansah, redete solchen verletzenden Unsinn. Für diese junge Frau war das Leben alles andere als einfach. Sie konnte daran zerbrechen oder besonders stark werden und es hing nicht nur von ihr alleine ab, wenn auch zum größten Teil. Es half oder schadete jedoch wie die Umwelt reagierte und wie sie von ihren Bekannten und den Behörden eingestuft wurde.

      In den Behörden saßen Menschen. Die einen waren engagiert und kompetent, andere waren laute Ignoranten. Je nachdem auf wen man stieß, je nachdem wie die Chemie stimmte, sah oft das Resultat der Zusammenarbeit aus. Echte Hilfe und Unterstützung oder Steine im Weg, Felsbrocken vor der Nase oder Schikanen. Das reinste Roulette bei allen Bemühungen, die richtigen Leute für diese Aufgabe zu rekrutieren. Menschen eben - mit Vorurteilen oder Offenheit, mit Sturheit oder mit Verständnis.

      Da nun konnte er nicht behilflich sein und schon gar nicht ohne Auftrag. Sie schien mit der Kleinen allein zu sein. Und über das Umfeld wusste er ja nichts weiter. Er hoffte für beide, dass sie es schafften, ob er sie nun gut kannte oder nicht.

      „Emily, du kennst mich nicht und ich dich auch nicht. Trotzdem biete ich dir folgendes an: Wenn etwas ist, wenn du jemanden als Begleitung brauchst oder nur zum Reden, melde dich bitte. Manchmal sind gerade dafür Außenstehende ideal. Ich gebe dir meine Karte.“ Sie schaute sogleich misstrauisch. „Ist das deine Masche, irgendwelche Kunden zu ködern? Karte?“

      „Himmel nochmal!“ Es traf ihn, aber er befahl sich selbst, cool zu bleiben. „Nein, keine Masche.“ „Warum tust du es? Ich könnte dir auch etwas vormachen.“ Er grub noch in seiner Tasche nach der Karte. „Ach was!“ Er schüttelte den Kopf. „So gut kennst du die Menschen?" „Ja, ein wenig.“ „Warum? Du bist nicht alt und weise.“

      Er zuckte etwas resigniert die Schultern. All diese Fragen. „Weil ich bin wie ich bin. Ich will nichts von dir. Ich bin weder gut noch böse, habe kein Helfersyndrom und keine dunklen Absichten. Sagen wir mal: Ich schau nicht weg, wenn etwas ist. Meine Partnerin ist so, mein Vater, meine Oma. Da ist nirgends etwas Außergewöhnliches oder gar Verdächtiges. Vielleicht mein Beruf? Ich habe den gewählt, weil ich bin wie ich bin. So schließt sich der Argumente-Kreis wieder. Ist das Warum so wichtig? Nimm sie und mach damit, was du willst.“

      Sie sah sich die Karte an. „Detektiv?“ „Unter anderem ja. Es gibt mehrere Betätigungsfelder wie du sehen kannst.“ Wieder musterte sie ihn forschend. „War unsere Begegnung ein Zufall oder inszeniert? Hat dich jemand auf mich angesetzt? Sei ehrlich.“

      Sie wirkte wieder sehr misstrauisch und eigentlich fühlte er sich gerade angesäuert durch diesen Verdacht. Er sah ihr in die Augen. „Es ist Zufall.“ „Ehrlich?“ „Ja. Gäbe es denn Gründe, jemanden auf dich anzusetzen?“

      „Um mir … das Kind zu nehmen. Um mich für unzurechnungsfähig, für verrückt zu erklären. Gründe finden sich für manche Menschen immer.“ Sie verschloss sich. Ihr Gesicht, ihre Haltung drückten es aus. „Ich würde mich für solche Gründe nicht einspannen lassen.“ „Vielleicht. Detektive machen alles.“ Das waren Ansichten. Ja doch, möglich, wenn man an die Serien dachte.

      Es war Zeit. Marie fragte sich bestimmt schon, wo er abgeblieben war. „Ich werde nun gehen. Mein Angebot gilt. Was du damit anfängst, ist dir überlassen.“ „Sei mir nicht böse.“ Darauf wusste er nichts zu sagen. Ihr Misstrauen traf ihn und er fand es gleichzeitig


Скачать книгу