Zwischen Wüste und Meer. Simone Wiechern

Zwischen Wüste und Meer - Simone Wiechern


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Sohn Salama, der uns unbedingt hatte begleiten wollen, freute sich überschwänglich, denn er liebte Gudruns Hund und war von der ganzen Geschichte sehr mitgenommen. Ich war auch für ihn überaus froh, dass alles ein gutes Ende genommen hatte. Soliman, mein jüngster Sohn, hatte die meiste Aufregung in seinem Tragetuch auf meinem Rücken verschlafen.

      Am nächsten Morgen ging ich schon früh zu Gudrun, und Jacky war wieder ganz der Alte. Von nun an würde meine Freundin ihren Hund nur noch mit Maulkorb frei laufen lassen, hatte sie entschieden. Ich bestärkte sie darin, dass dies die einzig vernünftige Lösung war.

      Wir saßen in ihrem Garten und erinnerten uns, wie wir uns kennengelernt hatten.

      Ich traf Gudrun ein paar Jahre zuvor am Strand in einem Café. Nachdem wir uns sehr interessiert aneinander unterhalten hatten, erwähnte ich, dass ich gerade mein Haus renoviere und auf der Suche nach einem Elektriker sei, der mir Stromleitungen verlegen könnte. Sie erzählte mir daraufhin, dass sie mit ihrem früheren Freund diese Tätigkeit schon mehrfach gemacht hatte und bot mir an, die Arbeit mit einer Freundin zu übernehmen. Sie hatte sich gerade neu hier niedergelassen und suchte dringend nach einem Job. Tatsächlich kam Gudrun schon am nächsten Morgen und meißelte mit ihrer Freundin den Putz auf, um die Kabel zu verlegen. Das Überputzen der gelegten Leitungen übernahm ich dann wieder. Ich hatte große Freude mit diesen beiden jungen Frauen, die etwa in meinem Alter waren, die Arbeit durchaus fachmännisch - in diesem Fall wohl eher fachfrauisch zu bewerkstelligen. (Das Wort fachfrauisch wird gerade leuchtend rot von meinem Korrekturprogramm unterstrichen. Daran sehe ich deutlich, dass die deutsche Sprache in sehr vielen Fällen noch immer sehr maskulin geprägt ist. Das wird in der Bedeutung von herrlich und dämlich ganz besonders anschaulich und rückt auch in anderen Bezeichnungen Frauen oftmals in ein schwaches oder gar dunkles Licht. Der werte Leser/die werte Leserin sollte sich daher nicht wundern, dass ich mir in diesem Buch die Freiheit herausnehme, durchaus ein paar Wortneuschöpfungen einzubauen.)

      Ein paar Tage später war die Arbeit vollendet und alle Lichter brannten. Für den westlichen Menschen ist das sicher nichts Besonderes, aber meine Jungs und ich freuten uns wie kleine Kinder an Weihnachten über diesen nützlichen Einzug des Fortschritts. Ghanem war besonders entzückt von der Neuerung und ich musste ihn mehrmals ermahnen, das Licht an-Licht aus-Spiel doch bitte zu unterlassen.

      Eine Entscheidung muss her

      »Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung.«

      -Heraklit-

      Bei den Nachbarn fuhren immer mehr Autos auf den Hof. Es war erst neun Uhr morgens und sehr unüblich, dass dort so viele Menschen kamen und nach einer Weile wieder wegfuhren. Ich malte gerade an einem Werbeschild für das Hotel neben mir und bekam das Kommen und Gehen unweigerlich mit.

      Eine ehemalige Nachbarin, die mich sah, kam auf mich zu und wir begrüßten uns mit den üblichen Floskeln, bei denen man sich gleich mehrfach erkundigt, wie es allen in der Familie geht. Ich fragte sie, was denn bei den Nachbarn los wäre.

      »Mousa, der Sohn von Rabia ist gestern gestorben.«

      »Nein, wie ist das denn passiert, er war doch noch so jung«, entgegnete ich tief berührt.

      »Diese teuflischen Drogen waren das. Die Familie sagt nichts Genaues, aber zwischen den Worten versteht man es recht deutlich. Wenn nicht bald etwas gegen dieses Teufelszeug unternommen wird, werden noch mehr sterben. In Sharm El Sheikh sind letzte Woche auch zwei junge Männer daran verstorben.«

      »Mittlerweile schießen die Beduinen dort ja schon aufeinander«, warf ich ein. »Ich hoffe, dass keine Stammeskriege stattfinden wegen diesem Zeugs und auch, dass Samir im Gefängnis davon Abstand gewinnt.«

      Ich biss mir auf die Lippen, um meinen Schmerz zu regulieren, der bei den ausgesprochenen Worten sofort körperlich als auch seelisch in mir zu spüren war.

      »Inschah Allah!«, entgegnete Salma. »Aber im Gefängnis soll es auch möglich sein, an Drogen heranzukommen, hat neulich der Neffe meiner Schwester erzählt.«

      »Ja, das habe ich auch schon gehört. Du glaubst nicht, wie sehr ich dieses Teufelszeug verabscheue.«

      »Ich muss wieder los«, sagte sie und lud mich ein: «Komm doch mal wieder auf einen Tee vorbei.«

      »Ja, ich komme gern die Tage mal hoch zu Euch. Masalama, gehe in Frieden!«

      »Salamt Allah, der Frieden ist mit Gott!«, entgegnete Salma und ging zurück zu den Nachbarn.

      Sehr tief bewegt setzte ich mich an den Strand und schaute auf die Wellen, die sich sacht an mich ranschlichen und wieder verschwanden, um neuen Wellen Platz zu machen.

      Erst jetzt, als ich dort allein für mich das eben Gesagte Revue passieren ließ, kam mir die ganze Tragweite der Worte in mein Bewusstsein. Mousa war ein guter Freund meines Mannes gewesen. Ich mochte ihn früher, aber im Laufe der Zeit war er einer dieser vielen ungebetenen Gäste geworden, die zu jeder Tages- und Nachtzeit an unsere Tür geklopft hatten. Ich wusste, dass auch er heroinabhängig war und dies hatte in mir einen Groll auf ihn entfacht. Jetzt tat es mir sehr leid um ihn. Ich fragte mich, ob Samir vielleicht auch schon tot wäre, wenn er nicht schon so lange im Gefängnis sitzen würde. Die letzte Zeit hörte man immer wieder, dass junge Männer an Heroin gestorben waren oder ins Gefängnis kamen.

      Tränen begannen meine Wangen herabzulaufen, denn ich dachte an meinen Mann und diese ganze Situation löste eine unsagbare Traurigkeit in mir aus.

      Als Nachbarin musste und wollte ich nach nebenan gehen und den Hinterbliebenen meine Hilfe anbieten, und ihnen mein Mitgefühl entgegenbringen. Ich trocknete mein Gesicht, damit meine Jungs meine Tränen nicht sahen, und sagte ihnen, ich würde sie für eine Stunde zu Farruja bringen. Sie freuten sich auf die Frauen und Kinder dort und gemeinsam gingen wir die paar Minuten durchs Dorf. Es gab auf der Strecke einen kleinen Schleichweg zwischen zwei Häusern, der gerade breit genug war, hindurchzugehen. Ich liebte diese kleine Gasse, denn die Beduinen, die dort lebten, hatten neben ihrem Haus einen herrlichen Garten mit Palmen, in denen zur Freude meiner Kinder immer ein paar Hühner herumliefen, die sie gern anschauten und fütterten. Meine Jungs nahmen daher die Tüte mit altem Brot mit. Wir machten erst die Hühner und dann noch zwei Kamele auf dem Weg dorthin glücklich. Es war fantastisch, dass ich nie Essen wegwerfen musste. Irgendwo gab es immer Tiere, die sich herzhaft über unsere Essensreste freuten. Nichts wurde hier weggeworfen oder verschwendet.

      Farruja saß mit ihrem Mann am Feuer und ich gesellte mich dazu. Meine Kinder hatten ihren neuen Fußball mitgenommen und sofort war Mohammed, Farrujas taubstummer Sohn, hellauf begeistert, mit ihnen spielen zu können. Auch Farrujas Familie hatte schon von dem Tod des jungen Mannes erfahren und wir sprachen eine Weile darüber. Meine Freundin war genauso verzweifelt wie ich. Zwei ihrer Brüder nahmen Heroin und sie hatte, genau wie ich, schon lange keine Idee mehr, was man dagegen unternehmen könnte. Ich bat sie, kurz auf meine Kinder zu schauen, was sie wie immer ganz selbstverständlich tat, und ging allein zurück in das Haus unserer Nachbarn.

      Etwa dreißig Männer und Frauen waren in dem Haus versammelt, und ich ging zu Mousas Frau, um ihr ein paar tröstende Worte zu sagen. Sie bemühte sich kläglich, nicht zu weinen, doch immer wieder tropften Tränen aus ihren Augen, die sie schnell mit ihrem Kopftuch wegwischte, damit sie nicht auf den Boden fielen.

      Die Beduinen sagen, dass jede Träne, die um einen Toten geweint wird und auf den Boden tropft, diesen auf dem Weg ins Jenseits wie heißes Wasser treffen würde. Daher bemühten sich die meisten Menschen hier, entweder weniger zu weinen oder die Tränen sofort wegzuwischen. Da die Beduinen stark an ein Leben nach dem Tod glauben, soll man von ihrem Glauben her, die Verlorenen in Frieden gehen lassen und sich darüber freuen, dass sie nun ins Paradies gehen dürfen.

      Aber auch Mousas Mutter schluchzte bitterlich und rieb sich ununterbrochen ihr Gesicht trocken. Ich setzte mich neben sie und sprach ein paar hoffentlich passende Sätze.

      Sie schaute mich mit glasigen Augen an und bedankte sich, während sie meine Hände in ihre nahm. »Gut, dass dein Mann im Gefängnis sitzt, dann hört er vielleicht auf


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