Zwischen Wüste und Meer. Simone Wiechern

Zwischen Wüste und Meer - Simone Wiechern


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erklärte, dass ich mir meiner Kinder sicher sein könnte, wenn ich unter dem Schutz seiner Familie stehen würde. Sowohl Sahis als auch Samirs großer Bruder waren hoch angesehene Mitglieder von ein und demselben Stamm, aber von verschiedenen Familienclans. Beide hatten darin eine Vorstandsfunktion inne und würden alles daran setzen, keinen Streit zwischen den Familien aufkommen zu lassen. Nach einer Heirat würde Sahis Sippe seiner Aussage nach dafür sorgen, dass Samir nichts tun würde, das die Parteien in Zwietracht bringen könnte.

      Ich sagte Sahi, dass ich darüber nachdenken würde.

      Als ich abends im Bett lag und mir über Sahis Angebot Gedanken machte, wurde dieser, zuerst als absurde Idee angesehene Vorschlag von ihm, immer denkbarer. Da ich zudem die Rückendeckung von Samirs Eltern hatte, war dies durchaus ein Plan, der klappen könnte. Ich wusste zudem, dass die beiden großen Brüder befreundet waren.

      Ich hatte Sahi wirklich gern und mochte es sehr, wenn er um mich herum war. Ich liebte ihn zwar nicht, aber er war schon immer mehr als ein guter Freund gewesen. Ich hatte ihm von Anfang an alles anvertrauen können. Außerdem mochte ich auch seine Familie sehr gern.

      Meine Liebe gehörte nach wie vor Samir, aber dem Samir, der keine Drogen nahm und der nicht all die Dinge getan hatte, die mich zum Auszug aus unserem Haus und zu der Entscheidung, mich von ihm scheiden zu lassen, veranlasst hatte. Den Samir gab es aber nicht mehr. Und den Samir würde es auch nie wieder geben. Selbst wenn mein Mann doch unerwarteterweise je den Drogenkonsum unterlassen könnte, wäre er nicht mehr der Mann, der er einst gewesen war. Es war einfach zu viel kaputt gegangen in den letzten Jahren. Ich hatte jegliches Vertrauen in ihn verloren.

      Und genau dieses Vertrauen gab Sahi mir jetzt. Er war da und wollte an meiner Seite sein. Ich hatte ihn lieb und verbrachte gern Zeit mit ihm. Ich wusste, Sahi würde mir nie meine Freiheit nehmen und mir auch keine Eifersuchtsszenen wie Samir machen. Dafür war er einfach nicht der Typ.

      Je mehr ich über seinen Vorschlag in den nächsten Tagen nachdachte, desto besser gefiel er mir.

      Sahi lud mich einige Male zu seiner Familie zum Essen ein und auch dort fühlte ich mich so gut, wie schon bei den ersten Besuchen. Vor allem die Frauen dort mochte ich sehr gern. Sahi hatte vor einigen Jahren angefangen, sich ein Haus direkt gegenüber dem Anwesen seiner Schwestern zu bauen. Dies zeigte er mir und bot mir an, dort jederzeit einziehen zu können. Es musste noch viel gemacht werden in dem Haus. Bisher war es nur ein solides Fundament mit Mauern, die die einzelnen Zimmer abtrennten. Fenster und ein Dach fehlten noch. Aber es war ein Haus mit Potenzial. Ein Ziegenstall und ein kleiner Garten waren auch vorhanden. Bis zum Meer waren es zwei Minuten.

      Sahi zog ein weiteres Ass aus dem Ärmel und ging mit mir in den großen Garten der Familie. Dies war ein riesiges Grundstück direkt am Meer mit unzähligen Dattelpalmen. Ich hatte mich schon damals, als ich noch Touristin war, in dieses Stückchen Paradies verliebt und Sahi bot mir nun an, dass wir dort ein Restaurant errichten könnten.

      Es war alles immens verlockend.

      ›Aber du liebst ihn nicht‹, sprach die Sehnsucht.

      ›Ich will auch gar nicht mehr zum Vorschein kommen‹, erwiderte die Liebe, ›das ist alles viel zu verletzend für euch alle. Ihr anderen Gefühle habt so gelitten in den letzten Jahren. Ohne meine Fixierung auf einen Mann geht es euch doch viel besser. Ich gebe das ein für alle Mal auf und sehe es als einen Traum, der nur selten im Leben gewährt wird und nun einfach dahin ist. Ich beschränke mich auf die Kinder und das Dasein an sich. Sehe alle die kleinen Schönheiten des Alltags und erfreue mich daran. Mein großer Auftritt war einmal und kommt vielleicht nie wieder.‹

      Der Verstand meldete sich ebenfalls zu Wort und alle anderen Gefühle lauschten gebannt seiner Argumentation: ›Ich denke auch, dass dieser Vorschlag eine richtig gute Idee ist. Die Liebe bringt zwar oft wunderschöne, unübertreffliche und bezaubernde Gefühle, aber in unserem Fall während der letzten Jahre mehr Leid als alles andere. Schaut doch, wo diese Liebe sie hingeführt hat. Sie sitzt mit drei kleinen Kindern ohne verfügbaren Vater in einem fremden Land fest, in dem sie keine Arbeitserlaubnis bekommt, wenn sie keine feste Anstellung in Aussicht hat. Nach Deutschland kann sie ohne die nötigen Papiere ihres Mannes auch nicht. Samirs Liebe war längst nicht so allumfassend, wie sie hätte sein sollen. Viel zu viel vom Ego geleitet, anstatt für Frau und Kinder nur das Beste zu wollen. Seine Liebe war von Anfang an zu stark von Macht- und Besitzdenken durchzogen. Zwei Attribute, mit denen wir noch nie wirklich umgehen konnten und die uns einfach viel zu sehr einschränken. Ich denke Sahi wäre genau der Richtige für sie. Er liebt sie von Herzen, das wissen wir alle, und er würde ihr keinen einzigen Wunsch versagen. Auch das wissen wir.‹

      ›Ja, genau!‹, bestärkte sie der Freiheitsdrang. ›Sahi ist wohl einer der wenigen muslimischen Männer, der uns genügend Freiraum einräumen könnte, damit wir uns hier richtig wohlfühlen können.‹

      Der Pragmatismus ergänzte: ›Zumindest würde Sahis Familie gut auf sie aufpassen. Sie hätte wieder ein Haus und auch die Möglichkeit, zu arbeiten.‹

      ›Ich glaube es kaum‹, sagte der Verstand, ›sollte ich tatsächlich das erste Mal in unserem Dasein als Gewinner über die Liebe und die Sehnsucht aus dieser Diskussion hervorgehen?‹

      ›Von mir aus‹, erwiderte die Liebe, ›ich gebe auf.‹

      Die Sehnsucht wollte zu sprechen ansetzen, aber sie war mit all den anderen Gefühlen tief genug verbunden um zu spüren, dass sie mit ihrem Bestreben nach der großen Liebe allein auf weiter Flur stand. Niemand glaubte mehr an die Erfüllung ihrer Wünsche und hätte sich mit ihr auf eine Seite gestellt.

      Sahi kam unterdessen fast täglich bei mir vorbei und ich genoss es sehr, Zeit mit ihm zu verbringen. Ich lernte ihn immer besser kennen, da mein Arabisch mittlerweile richtig gut war. Wir sprachen über alle Themen, die uns auf dem Herzen lagen.

      Ein paar Monate später fragte ich Sahi in einem ernsten Gespräch, ob er wirklich mit voller Überzeugung hinter seinem Vorschlag, mich heiraten zu wollen, stand. Zudem wollte ich wissen, ob er mir versprechen könnte, meine Kinder zu achten. Als er beides bejahte, lachte ich ihn an, nahm ihn in den Arm und wir küssten uns. Es war nicht dieses feurige Prickeln, das ich damals bei Samir verspürt hatte, aber doch wunderschön und bewegte mich mehr als erwartet. Ich hatte ihn schon immer sehr lieb gehabt und hoffte, ihn eines Tages richtig tief lieben zu können.

      Dann tat ich jedoch etwas, das wieder einmal zeigte, wie wichtig es ist, dass man sich wirklich mit allen Traditionen eines Landes vertraut machen sollte, bevor man handelt. Denn einige Tage später ging ich zu Samirs großem Bruder und sagte ihm, ich würde mich von Samir scheiden lassen, da ich Sahi heiraten wolle.

      Als ich Sahi abends freudig darüber berichtete, veränderte sich sein sonst so gelassener Gesichtsausdruck schlagartig. Stammelnd fragte er mich, ob ich von allen guten Geistern verlassen wäre. Ich wäre immer noch Samirs Frau und bevor ich nicht geschieden wäre, hätte niemand von Samirs Familie von unseren Plänen erfahren dürfen. Jetzt würde sein Clan vielleicht denken, wir wären Ehebrecher. Das waren wir streng genommen schon bei diesem einen Kuss. Samirs Familie hatte damit das Recht, Wiedergutmachung zu verlangen.

      Das war tatsächlich ein grober Fehler gewesen.

      Schon zwei Tage später kam einer von Samirs Brüdern und fragte mich über meine Beziehung zu Sahi sehr detailliert aus. Ich spürte deutlich, sehr unüberlegt und vorschnell gehandelt zu haben.

      Sahi sagte mir am nächsten Tag, dass wir uns bis zu meiner Scheidung jetzt nur noch in der Öffentlichkeit treffen könnten und ungemein vorsichtig sein müssten. Nach beduinischem Recht hätte Samirs Familie uns beide bei einem nachgewiesenen Ehebruch sogar töten dürfen. Solche Methoden waren zwar inzwischen nicht mehr üblich, doch nach dem Brauch der Wüstenbewohner völlig legitim und von allen Seiten respektiert. Meist kam es in solchen Fällen aber eher zu einem Abkommen der beiden betroffenen Familien und wurde mit Geld bereinigt. Diese Summen waren zum Teil so hoch, dass den Familien schwere Jahre bevorstanden und sie ihren Stolz im Stamm verminderten.

      Was hatte ich bloß getan?

      Sahi


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