Zwischen Wüste und Meer. Simone Wiechern
ich wollte nur noch weg aus diesem Haus, weg aus dieser Trauer und weg von meinen Gedanken.
Ich blieb anstandshalber jedoch noch eine Weile und half den Frauen ein wenig in der Küche. Alles war besser als nachzudenken.
Als ich später wieder in meinem Haus war, setzte ich mich ans Feuer und ließ alle Gedanken auf mich zukommen.
›Willst du, dass auch du irgendwann so dasitzt und alle um deinen Mann weinen?‹, fragte mich die Vernunft.
›Aber vielleicht hört er ja diesmal auf‹, entgegnete die Hoffnung.
›Das glaubst du doch selber nicht‹, kam sofort der resolute Einwand der Vernunft. ›Wir wissen alle, wie einfach man im Gefängnis an Drogen kommt, das haben dir genug Leute bestätigt. Samir hat weiß Gott schon genug misslungene Versuche, von der Sucht loszukommen, hinter sich. Wenn du immer hinter ihm stehst und dich nicht von ihm trennst, hat er auch keinen Grund sich zu ändern. Du machst das doch alles brav mit.‹
›Ich bin noch vollkommen geschockt von dem soeben Gesehenen‹, warf das Mitgefühl zwischendrin ein.
›Und ich erst recht!‹, meldete sich auch die Angst.
Ich biss auf meinem Daumennagel herum und spürte tief in mir, dass ich all das nicht mehr wollte.
Ich wollte keine Angst mehr haben.
Ich wollte nicht mehr von Sorgen und Sehnsucht erfüllt sein.
Ich wollte nicht mehr die Quittungen für die Drogensucht meines Mannes bezahlen.
Ich wollte wieder glücklich sein und voller Zuversicht in meine Zukunft blicken.
Ich wollte einen Partner, einen Gefährten neben mir.
Ich wollte, dass meine Kinder gute Vorbilder hatten.
Musste ich meinen Kindern nicht irgendwie zeigen, dass ich so ein Verhalten nicht länger toleriere und als Co-Ahängige weiterhin unterstütze?
Je länger ich darüber nachdachte, desto deutlicher wurde in mir der Wunsch, diese Ehe zu beenden.
Der Schock über Mousas Tod und die Bilder der weinenden Frauen hatten mich sehr tief getroffen und bis ins Mark erschüttert.
Die Hoffnung, die sich in den vergangenen Monaten noch hin und wieder in mir ausgebreitet hatte, wurde von Bergen voller Zweifel so hoch überschüttet, dass kaum noch etwas an die Oberfläche kam.
Ich holte meine Kinder bei Farruja ab und machte ihnen Essen. Danach ging ich direkt zu meiner Freundin und besprach mich mit ihr. Als Psychologin war sie bewandert auf dem Gebiet der Sucht. Auch sie konnte mir keine Hoffnung meinen Mann betreffend mehr machen. Sie kannte Samir und hatte all die letzten Jahre seinen Verfall mitangesehen.
Als ich später meine Kinder in den Schlaf gelesen hatte, setzte ich mich wieder an mein Feuer und starrte in die Flammen.
Feuerzungen stiegen mal hoch und mal breit aus dem schwelenden Haufen empor. Wie die Flammen am Holz hatte Samirs Sucht an meinem einst so stolzen und wunderschönen Wüstenprinzen genagt. Am Schluss war von dem Mann, den ich damals geheiratet hatte fast nichts mehr übrig. So wenig, dass es für ein Dasein als Vater oder Partner nicht mehr ausreichte. Unsere Ehe lag in Schutt und Asche. Der Mann, der so oft mit mir gestritten hatte, weil ich unseren Ruf bewahren und mich mehr als sittsam verhalten soll, weil er stolz auf mich und seine Kinder sein wollte, hatte uns all unseres Stolzes auf ihn beraubt. Fast jeder im Dorf wusste mittlerweile von seiner Abhängigkeit und oftmals wurde mir Mitleid entgegengebracht. Ein Gefühl, dass mich nicht stärker machte, sondern Scham in mir auslöste.
In den nächsten Tagen und Wochen wurde der Gedanke, mich scheiden zu lassen, immer klarer. Doch Samir hatte mir nicht nur einmal gesagt, dass er mir, im Falle einer Scheidung meinerseits, die Kinder wegnehmen würde. Das durfte nicht geschehen. Das hätte vielleicht mein Körper, aber sicher meine Seele nicht überlebt. Ich zerbrach mir viele Stunden den Kopf über dieses Dilemma und suchte nach einem Ausweg.
Ich sprach mit Samirs Mutter darüber, die gerade für eine Weile in Dahab war und mich besuchte. Sie konnte verstehen, dass ich mich trennen wollte. Sie hoffte jedoch noch, dass Samir wieder drogenfrei werden würde. Allerdings war auch ihr anzumerken, dass die Hoffnung in ihren Sohn längst nicht mehr die Dimension hatte, die sie sich für sich selbst gewünscht hätte. Es waren auch für sie schon zu viele Versuche gewesen und zu oft war uns die Macht dieser Sucht nach dem Heroin vor Augen geführt worden. Sie versprach mir, sie würde Samir nicht darin unterstützen, mir die Kinder wegzunehmen. Für die Männer der Familie konnte sie mir jedoch keine Gewährleistung für deren Zurückhaltung geben. Es war wieder einmal ein sehr trauriges Gespräch. Immer öfter und stetig zunehmend wandelte sich die Trauer in eine stärker werdende Wut auf meinen Mann. Seit Jahren war ich ständig traurig und zornig auf Samir. Ich weinte um meinen geplatzten Traum einer heilen Familie, um seine verlorene Freiheit, um die Entbehrungen und die Schmach, die meine Kinder zu erleiden hatten. Allgemein schaffte ich es immer weniger, die positiven Dinge und Umstände um mich herum zu sehen und zu spüren. Ich fühlte mich wie eine Halbtote. Und wenn ich schöne Dinge oder Gelegenheiten doch sah oder manchmal sogar spürte, verbot ich mir manchmal regelrecht mich diesem schönen Gefühl hinzugeben.
›Wie kannst du bloß so fröhlich sein, während dein Mann im Gefängnis sitzt‹, sprach zum Beispiel das Gewissen. Der Anstand setzte dann meist mit einem: ›Dein Mann hat jetzt sicher nichts zu lachen‹, noch einen obendrauf.
Ich musste mich dringend befreien aus diesen Gedankenmustern und solch einer Lebensweise. Es war mein Mann, dem unsere gemeinsamen Kinder und unsere Ehe nicht wichtig genug gewesen waren, um von dem Stoff loszukommen. Meine Kinder und ich mussten aufhören zu leiden. Wir hatten das Recht, glücklich zu sein.
Samir tat mir mittlerweile nur noch leid, denn ich ahnte, dass diese Sucht so stark war, dass man es kaum schaffen konnte, davon loszukommen. Nichtsdestotrotz nahm die Wut auf ihn mehr und mehr zu und vergrub langsam die noch vorhandene Liebe.
Ich konnte immer weniger verstehen, wie man überhaupt auf die Idee kommt, solch eine Droge zu nehmen, wenn man Kinder zu versorgen hat. Samir war in höchstem Grad verantwortungslos gewesen und das war es, was ich an meinem Mann am meisten kritisierte und das mir jetzt diese tiefe Enttäuschung bescherte. Vielleicht sogar Verachtung. Ich war, obwohl ich hier schon acht Jahre lebte, immer noch in vielen Punkten eine Fremde. Ich hatte keinen eigenen Familienverband hier und ausreisen konnte ich mit meinen Kindern nicht, da Samir mir nie eine notarielle Erlaubnis dafür ausgestellt hatte, die hier am Flughafen verlangt wurde. Dieser Mann hatte mich all meiner Freiheit beraubt. Das erste Mal in meinem Leben stand mir nicht mehr die ganze Welt offen. Wenn ich meine Kinder nicht verlieren wollte, musste ich die nächsten Jahre im Sinai bleiben. Für mich selber war das wunderschön, aber ich musste dadurch mein Kind den harten Stockschlägen in der Schule aussetzen oder endlich einen anderen Weg des Unterrichtens finden. Meine Gedanken nachts, wenn nichts mehr ablenkte, musste ich allein tragen. Da war keine Schulter mehr, an die ich mich hätte lehnen können. Da war niemand, der mir vor dem Einschlafen sagte, alles würde wieder gut werden. Ich war vollkommen auf mich allein gestellt und immer die Einzige, die den Kindern sagen und vermitteln wollte und musste, dass ich bald eine Lösung finden werde.
Würde ich das?
›Du machst dir etwas vor, wenn du immer noch hoffst, mit Samir eine glückliche Ehe zu führen‹, sprach die Vernunft immer und immer wieder die nächsten Wochen. ›Er wird nicht aufhören können, das hat er dir oft genug gezeigt.‹
Ich hatte fürchterliche Nächte nach dieser Trauerfeier, in denen ich oft bis zum Morgengrauen wachlag.
Nach einer dieser durchwachten Nächte, stand ich morgens völlig gerädert auf. Ich ging in die Küche und machte mir einen Kaffee, mit dem ich mich an den Strand setzte, um dem wunderschönen Sonnenaufgang beiwohnen. Den Wellen lauschend meditierte ich über das Loslassen. Ich musste mich trennen und diese langsam auch mich krankmachende Verbindung endlich kappen, um wieder ein vollständiger und vor allem lebendiger Mensch werden zu können.
Während ich Frühstück machte, wurden Ghanem und Salama gerade wach und