Zwischen Wüste und Meer. Simone Wiechern
funkelnde tiefbraune Augen seit meiner Ankunft freundlich anlächelten. Jessicas Schwiegermutter hatte einen kleinen Garten angelegt und bereitete uns einen Eintopf aus frisch geernteten Zucchini und dem frisch geschlachteten Huhn, das wir mitgebracht hatten. Wir wollten ihr ein wenig zur Hand gehen, aber das ließ die Dame des Hauses natürlich nicht zu. Obwohl Jessica zur Familie gehörte, waren wir für heute ihre Gäste.
Die Behausung bestand aus zwei einfachen, aus Natursteinen gebauten Räumen mit einem Dach aus Palmblättern. Eine mannshohe Mauer aus groben Zementblöcken schützte die Bewohnerin im Winter vor dem kalten Wind. Draußen vor dem Hof waren ihre Ziegen und Schafe in ebenfalls ummauerten Gehegen untergebracht. Jessicas Schwiegermutter lebte meist allein dort, ganz abgeschieden in den Bergen. Ihr Mann war bereits verstorben und nur hin und wieder kamen ihre Kinder oder deren Frauen für ein paar Tage oder Wochen zu ihr. Ich bewunderte ihren Mut, hier die meiste Zeit allein zu verbringen, denn sie schien sehr zufrieden mit ihrer Situation.
Ich ging mit Jessica ein wenig die Gegend erkunden und wir genossen es außerordentlich, durch die hügelige unbewohnte Landschaft zu laufen und die vielen Pflanzen an den steilen Berghängen zu bewundern.
Auf dem Weg entdeckten wir ein paar reife Kapernfrüchte. Grellgelb leuchtete das Fruchtfleisch im farblichen Gegensatz zu der knallroten Schale, die bereits aufgeplatzt war. Ich pflückte eine, pustete die Ameisen, die darauf herumkrabbelten beiseite und ließ mir genüsslich das herzhaft süße Fruchtfleisch schmecken. Die kleinen, scharfen Kerne, auf die ich zwischendurch biss, ergänzten angenehm kontrastreich den erfrischenden Gaumenschmaus. Für Jessicas Familie und meine Jungs hatte der Strauch ebenfalls noch ein paar reife Früchte anzubieten. Einige Kerne spuckten wir in den Sand, damit die Pflanze die Chance behielt, sich zu vermehren. Auch einige unreife Früchte hingen noch an den Zweigen. Diese sammelten wir, um sie zurück in Nuweiba mit viel Salz und geriebenem Ziegenkäse in Wasser einzulegen. Diese salzig-säuerlich und recht scharfe Mixtur nahmen die Beduinen bei Erkältungskrankheiten, aber auch als schmackhafte Zutat zu einigen Speisen. So wurde sehr gern Maadus, ein Gericht aus Linsen und Reis damit verfeinert oder ein Schuss dem Salat zugegeben. Wenn die Kinder oder ich im Winter mal einen etwas rauen Hals gehabt hatten, war dies meine bewährte und liebste Medizin dagegen.
Ich hatte dieses Hausmittel immer parat und Jessicas Mutter zeigte uns sofort ihren eigenen Vorrat, als sie sah, was wir mitgebracht hatten.
Wir alle waren von der Hitze sehr müde und hielten nach dem Essen Siesta. Meine Kinder schliefen recht schnell ein. Die Ruhe hier oben in den Bergen war fantastisch. Weit und breit kein Laut, außer dem gelegentlichen Meckern der Ziegen. Ich selber mochte nicht schlafen. Leise nahm ich mir einen kleinen Teppich und entfernte mich etwas von dem Haus der Schwiegermutter. Ich nutzte die Zeit, um mal wieder ausgiebig zu meditieren. Das gelang mir unter diesen Umständen ganz besonders gut.
Die Stille war noch immer etwas Besonderes für mich und ich bereute mal wieder, kein Kamel mehr zu besitzen. Unsere Wüstenschiffe waren leider alle während Samirs Drogenzeit verkauft worden.
Ich meditierte zum Loslassen und da ging es vor allem um meinen Ex-Mann. Ich konnte ihm alles vergeben und positiv in meine Zukunft sehen.
Als alle anderen wieder erwachten, fühlte auch ich mich frisch, erholt und voller Tatendrang. Ich freute mich auf Dahab und mein neues Leben dort.
Etwa zwei Monate später heirateten Sahi und ich. Wenn wir nicht in einem arabischen Land gelebt hätten, wäre ich sicherlich nicht so schnell auf eine Heirat eingegangen. Aber in Ägypten ist es verboten, mit einem Mann ohne Trauschein zusammenzuwohnen. Wir unterschrieben vorerst nur ein Papier bei einem Anwalt. Eine richtige Heirat, die auch von den deutschen Ämtern anerkannt wird, ist ein sehr langwieriger Prozess und mit einem Ehefähigkeitszeugnis und einigen Fahrten nach Kairo verbunden. Für uns und die Behörden reichte der sogenannte Urfivertrag vom Anwalt.
Zur Feier lud ich nur einige meiner guten Freundinnen ein und verzichtete gern auf eine der großen beduinischen Hochzeitsfeiern. Bei den Beduinen tun sich üblicherweise einige Paare zusammen. Diese Feste sind berauschend und gehen über drei Tage. Oft finden sie in einem der umliegenden Wadis statt. Jeder, der kommen möchte, ist dazu eingeladen und daher kosten diese Feste ein Vermögen, welches wir derzeit nicht hatten. Außerdem wollten wir nicht auf solch einen Termin warten. Wir feierten daher ganz bescheiden bei Sahis Schwestern.
Schon am frühen Morgen wurden eine Ziege und ein Schaf geschlachtet. Zahlreiche Gäste aus unserer Nachbarschaft kamen mittags vorbei, aßen mit uns und überhäuften uns mit den allerbesten Wünschen.
Meine Kinder mochten Sahi und seine Familie sehr gern und wurden herzlich von ihnen in die neue Sippe integriert.
Zu meinen zwei Schwägerinnen und meiner neuen Schwiegermutter hat sich schon bald eine sehr vertraute und liebevolle Beziehung entwickelt. Ich verbrachte viel Zeit bei ihnen, während Sahi und ich nebenan unser Haus herrichteten.
Wir besorgten zuerst Holzsparren für das Dach, die Fenster und Türen. Gemeinsam bauten wir das Haus erst einmal notdürftig zusammen, damit ich die nicht mehr anfallende Miete in die Renovierung stecken konnte. Das bedeutete, ich begnügte mich anfangs mit einem Dach aus Palmwedeln, die eng aneinandergelegt und festgeschnürt wurden. Auch der Verputz der Wände musste vorerst warten.
All das machte mir rein gar nichts aus. Ich war recht anspruchslos geworden und sehr froh, wieder einen eigenen Ort zu haben. Mit der Zeit würde ich es mir schon behaglich einrichten. Der Winter, in dem es regnen könnte, war noch einige Monate entfernt. Bis dahin wollte ich Geld für ein Holzdach zusammengespart haben. Auf das Holz käme dann eine Plane und Zement. Ich hatte schon einmal viele meiner Fotos und Bücher verloren, weil Samir und ich nicht im Haus gewesen waren, als ein starker Regen alle überrascht hatte. Damals hatten wir anfangs auch solch ein Dach aus Palmwedeln gehabt. Als wir von unserem Ausflug wiederkamen, hatte eine unansehnlich dicke braune Soße aus Staub, Dreck und Wasser viele meiner Habseligkeiten unbrauchbar gemacht. Dies sollte mir nicht noch einmal passieren.
Während des Aufbaus aßen wir regelmäßig bei Sahis Schwestern und ich war dankbar, dadurch zusätzliche Zeit nutzen zu können, um an unserem Haus arbeiten zu können. Außerdem war das Essen bei meinen Schwägerinnen einfach köstlich. Sie kochten immer riesige Mengen, denn unangemeldete Gäste fanden sich dort fast täglich ein. Für das Wüstenvolk war es eine Selbstverständlichkeit jeden Besucher am Mahl teilhaben zu lassen.
Am meisten Spaß hatte ich an dem kleinen Garten. Ich besorgte mir von einem fahrenden Händler ein paar Bananenstauden und legte mir einen Gemüsegarten an. Schon nach wenigen Wochen begann es in meinem Garten zu blühen.
Die Kinder waren froh wieder in der Nähe des Meeres zu wohnen und ich konnte sie getrost mit den anderen Kindern an den Strand gehen lassen. Immer waren ein paar ältere Mädchen dabei, die mir versprachen auf meine Jungs aufzupassen. Das Meer vor dem Anwesen von Sahis Familie hatte den Vorteil, dass es dort ein sehr breites Riff gab, in dessen Mitte nur eine einzige, etwa zehn Meter breite, runde Vertiefung mit Meeressand war. Alle Beduinenkinder des Umkreises lernten darin das Schwimmen. So auch einer meiner Jungs. Das überschaubare Loch war immer so voll mit dem Nachwuchs des Dorfes, dass es unmöglich war, dort unbeobachtet zu ertrinken. Die ersten Male war ich noch mit hinunter an den Strand gegangen, aber schon bald stellte ich fest, dass ich erstens die einzige Mutter war, die sich um ihre Kinder sorgte und zweitens, dass diese Sorge vollkommen überflüssig war.
Glücklich und zufrieden kamen meine Jungs am frühen Abend zum Abendessen heim und waren kurz danach eingeschlafen. Im Sinai musste ich meine Kinder kein einziges Mal ins Bett schicken. Tagtäglich waren sie so müde vom Herumrennen an der frischen Luft, dass sie abends gern und vollkommen stressfrei einschliefen. Schlafengehen war für meine Jungs dort zu keiner Zeit mit diesem negativen Beigeschmack behaftet, den ich aus Deutschland kannte, wo die Kleinen nie ins Bett wollen. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Kinder kein eigenes Zimmer haben, in das man sie steckt. Hier schliefen sie meist einfach in den Vorhöfen, neben den sich unterhaltenden Erwachsenen, seelenruhig ein. Dazu kam, dass man hier sehr früh aufwachte. Wenn die Sonne aufging, wurde es schnell heiß und spätestens um sechs Uhr war die ganze Bande wach und hielt mich auf Trab.
Endlich wieder frei von den meisten Sorgen