Traumtänzer. Lucy van Geldern

Traumtänzer - Lucy van Geldern


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dass in so einem Studentenwohnheim mehr als hundert männliche Wesen auf einem Haufen hocken? An solch einem Ort kann ich doch nicht in Lumpen erscheinen!«

      »Dann zieh halt dein nagelneues Seidenkostüm an! Damit bist du garantiert passend gekleidet.« Herzhaft gähnte Ulrike und richtete sich auf.

      »Auf solche Gedanken kommst auch nur du«, grollte Conny. »Ich wollte einen vernünftigen Vorschlag von dir hören.«

      »Bitte Frieden! Ich habe keine Lust, den Abend damit zu verbringen, über nicht vorhandene Kleiderprobleme zu diskutieren. Im Internat hast du ständig Klamotten getragen, die für ein solches Unterfangen geeignet waren.«

      Entschlossen stand Ulrike auf und zog ihre Freundin von der bequemen Unterlage. »Wir durchforsten jetzt deinen Kleiderschrank. Ich bin mir sicher, dort werden wir fündig.«

      »Das passt dir wohl so«, knurrte Conny. »Ich kenn das doch. Wenn du auch nur einen einzigen Blick in meinen Schrank wirfst, bin ich garantiert mehr als drei Kleidungsstücke los.«

      Der Schlüssel klemmte leicht, als Ulrike versuchte, ihn umzudrehen. Ein gezielter Tritt gegen die Tür führte schließlich zum Erfolg. Knarrend öffneten sich die beiden Flügel und gewährten Einblick ins Innere. Sauber zusammengelegt lagen Pullover und T-Shirts in den Fächern. Auf der Kleiderstange, die sich in der Mitte stark durchbog, hingen Jacken, Hosen und Blusen. Gespannt betrachtete Ulrike den Inhalt. Anerkennend pfiff sie.

      »Die meisten Sachen sind ja topmodisch und brandneu. Wo hast du die Klamotten früher immer untergebracht? Damals war dein Kleiderschrank im Gegensatz zu heute leer.«

      »Ja, das möchtest du wohl wissen. In deiner Gegenwart waren meine Sachen doch nie sicher vor dir.« Conny dehnte jedes Wort im Munde. »Zu Hause, wo sonst. Und jetzt, da ich allein lebe ...« energisch schob sie ihre Freundin beiseite und wühlte in den Regalen. Skeptisch beobachtete Ulrike diese Aktion. Sie wusste genau, dass Conny keines der Kleiderstücke für geeignet fand. Und so war es auch. Jedes Teil nahm sie heraus, musterte es kopfschüttelnd und legte es wieder zurück.

      »Halt, woher hast du dieses Shirt?« Plötzlich war Ulrike wie elektrisiert. Sie nahm ihrer Freundin das knallige Stück aus der Hand und besah es sich genauer. »Das ist doch mein Shirt. Vergangenes Jahr habe ich die gekauft, kurz vor den Sommerferien. Und seitdem vermisse ich es.«

      »Deine Verwandtschaft mit einem Sieb ist nicht zu übersehen«, stichelte Conny, die den verwirrten Gesichtsausdruck ihrer Freundin mit Schadenfreude zur Kenntnis nahm. »Als ich einmal nicht wusste, was anziehen, da hast du es mir geliehen. Kurz darauf hast du es mir geschenkt, weil es dir urplötzlich zu eng war.«

      »Stimmt, so ist das, wenn man sich ständig Gedanken für zwei machen muss.« Sie hielt das Shirt ins Licht. »Oha, da sind ja einige Flecken drin. Du Ferkelchen, immer nur die Stücke verderben, die ich dir vermache.« Ulrike warf ihr es ihr zu. Geschickt fing Conny sie auf und legte es über die Stuhllehne. »Zieh`s zum Renovieren an, dafür ist es noch gut genug. Und du kannst sicher sein, keiner von den anwesenden Herrschaften bemerkt, dass das Teil nicht mehr ganz aktuell ist.«

      »Prima, ein Shirt habe ich jetzt. Aber was ziehe ich dazu an?«

      »Da finden wir garantiert auch noch etwas. Keine Sorge!«

      Erneut verschwand Ulrike im großen Schrank. Nur ihre ellenlangen Beine ragten noch hervor. Das Rumoren deutete auf eine intensive Inspektion ihres Kleiderschrankes hin. Nach einer Weile erklang dumpf ein Aufschrei aus der Tiefe. Langsam und mit hochrotem Kopf kam Ulrike nach einiger Zeit wieder zum Vorschein. Ihre langen, fast bis zur Taille reichenden Haare, sahen aus, als seien sie in einen Mixer geraten.

      »Hier, sieh was ich gefunden habe.« Triumphierend wedelte sie mit der Hose vor Connys Nase herum. »Die passt doch einwandfrei dazu.«

      Schweigend betrachtete Conny das Kleidungsstück und legte es zum Shirt. Betont langsam zog sie sich aus und probierte die ausgewählten Stücke.

      »Die Hose kneift ein wenig. Dabei habe ich im Unterschied zu dir kein Gramm zugenommen.«

      »Bei dir sieht man es bloß nicht so. Du kannst beruhigt sein. Beim Arbeiten gerätst du eh ins Schwitzen. Danach passt dir die Hose garantiert.« Ulrike ging mit nachdenklich gefurchter Stirn einmal um sie herum und nickte dann zustimmend. »Also, ich finde, das sieht toll aus. Keiner von den anwesenden Typen wird sich Gedanken über modische Aktualität oder irgendwelche Flecken machen. Schließlich sind sie zum Arbeiten da.«

      Conny, die die ganze Zeit am Stoff herumgezupft hatte, grinste sie an. »Ich gebe mich geschlagen. Sollte allerdings Andreas laut brüllend vor mir wegrennen, dann ist das deine Schuld.«

      »Zur Not nehme ich die ohne Weiteres auf mich. Schließlich weiß ich ganz genau, dass er nicht flüchten wird, sondern dir noch tiefer in die Augen sehen wird.«

      Erneut wechselte Conny die Kleider. Die ausgewählten Klamotten drapierte sie auf einen Bügel und hängte sie außen am Schrank auf.

      »Wie gefällt dir eigentlich Andreas?«

      Ulrike runzelte die Stirn. Dieser Tonfall kam ihr merkwürdig vertraut vor.

      »Ich finde ihn nett, falls du das meinst. Er sieht toll aus, ist ein spitzenmäßiger Tänzer und hat viel Humor. Für dich ist sicherlich die Erkenntnis am wichtigsten, dass er keine feste Freundin hat.«

      »Genau. Du wirst es kaum glauben, aber ich freue mich tierisch aufs Renovieren. Es ist die Gelegenheit, Andreas noch besser kennenzulernen.« Verzückt sah Conny aus dem Fenster und seufzte leise. »Was meinst du, gefalle ich ihm?«

      »Die Frage musst du ihm selber stellen, aber so wie er dich ansieht, garantiert.« Ununterbrochen betrachtete Conny die mausgraue Fassade des Nachbarhauses. Die Worte ihrer Freundin beruhigten sie nur ein wenig. Sanft zupfte Ulrike sie am Ärmel. »Eigentlich wollte ich dir dieselbe Frage stellen. Nur mit anderen Vorzeichen. Aber im Gegensatz zu dir bin ich mir doch recht sicher, dass Martin ein Auge auf mich geworfen hat.«

      *

      Mit großen Schritten stiegen Conny und Ulrike die Steintreppe hinauf. Die Tasche mit den Klamotten zum Wechseln und ein paar Getränken schien mit jedem Meter schwerer zu werden. Conny hatte das Gefühl, mit jeder Stufe dehne sich ihr Arm um drei Zentimeter. Ein Sack mit Steinen war garantiert leichter. Aufatmend holte sie Luft, noch eine Etage, dann hatte die Plackerei ein Ende.

      Vierter Stock, so lautete die Auskunft von Andreas. Ausführlich hatte er ihr am Telefon den Weg bis zu seinem Zimmer beschrieben.

      Oben angekommen ging es links herum. Andreas hatte versprochen, die Wohnungstür offen zu lassen. Sie betraten den spärlich beleuchteten Flur. Einsam und verlassen präsentierte sich ihnen der Gang. Dabei war Conny davon ausgegangen, dass ein Studentenwohnheim vor Leben nur so überlief.

      Nachdenklich sah Ulrike sich um.

      »Bist du sicher, dass wir hier richtig sind? Niemand schleppt Möbel, und es liegt nicht ein Hauch von Farbe in der Luft.«

      »Eigentlich schon. Garantiert hat Andreas vergessen, die Schränke auszuräumen. Und nun dürfen wir für ihn die Vorarbeiten erledigen.« Vor der dritten Zimmertür, die angelehnt war, blieb Conny stehen. Aufgeregt bummerte ihr Herz. Drinnen unterhielten sich Andreas und Martin. Und dazwischen das Poltern von schweren Sachen. Sie hob die linke Hand, um anzuklopfen. Irritiert von der dritten fremden männlichen Stimme, die im Zimmer erklang, hielt sie inne.

      »Was ist? Hast du etwa plötzlich Angst bekommen?«, fragte Ulrike sie. Entschlossen klopfte Conny an, einen Augenblick herrschte Stille. Conny schien es, als ob alle die Luft anhielten und auf eine Explosion warteten.

      Die braunlackierte Tür ging nun völlig auf, und ein unbekannter Typ erschien im Spalt. Als er die beiden Studentinnen sah, lächelte er ihnen freundlich zu.

      »Conny und Ulrike? Fein, dass ihr den Weg gefunden habt. Ihr werdet schon sehnsüchtig erwartet.« Er trat zur Seite und machte eine einladende Geste. »Kommt herein.«

      Neugierig traten sie ein. Noch standen die Möbel ordentlich an der Wand, aber dazwischen lagerten


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