Traumtänzer. Lucy van Geldern

Traumtänzer - Lucy van Geldern


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Conny, hallo Ulrike. Habe ich es doch gewusst, ihr schreckt vor der Arbeit nicht zurück.« Mit großen Schritten trat Andreas über die Kartons auf sie zu. Seine Augen strahlten sie an, und Conny bekam weiche Kniee. Ihre letzten Zweifel schwanden. Sie hatte sie unsterblich in den sportlichen Andreas verliebt.

      »Stellt erst einmal eure Taschen ab. Darf ich euch Bernd und Wolfram vorstellen? Sie sind meine Mitbewohner.«

      Die beiden streckten Conny und Ulrike die Hand entgegen und begrüßten sie. An Bernd waren Conny sofort, als er ihnen die Tür geöffnet hatte, die hellblauen Augen und das wasserblonde Haar aufgefallen. Der Bräune im Gesicht nach zu urteilen, hielt er sich viel an der frischen Luft auf. Wolfram hingegen schien mit seinen rötlichen Haaren und dem blassen Gesicht mit Tausenden von Sommersprossen sonnenempfindlich zu sein. Er machte einen ausgesprochen gemütlichen Eindruck.

      »Nachdem ihr euch jetzt beschnuppert habt, schlage ich vor, die unterbrochene Arbeit aufzunehmen«, verkündete Andreas sodann mit Feldherrnstimme. »Auf in den Kampf! Zielgebiet der Kartons ist die Bude von Martin. Sobald sie aus den Nähten platzt, ist Wolframs Zimmer an der Reihe. Tut mir leid - für Damen ist diese Arbeit nichts. Ihr Mädels dürft noch einen Augenblick Däumchen drehen.«

      In Rekordzeit, wie Conny meinte, schafften die Jungs es, das Zimmer leer zu räumen. Bewaffnet mit Schraubenzieher und Hammer nahm Andreas sein Bett und den Kleiderschrank auseinander. Bernd und Wolfram trugen die sperrigen Teile davon.

      Mit zwei Regalbrettern, die sie ohne Mühe tragen konnte, folgte Conny ihnen in das Reich von Martin.

      Überall stapelten sich die demontierten Möbel und Kisten. Martins Bett diente als Ablagefläche für Kleinigkeiten und Kartons. Zwischen all dem Kram lugte zaghaft eine leicht welke Zimmerpflanze hervor. Conny suchte eine Lücke für die Bretter und resignierte schließlich.

      »Kann ich dir helfen?« Überraschend stand Bernd hinter ihr. »Da oben, auf dem Schrank ist noch eine Ablagemöglichkeit.« Er nahm der verdutzten Conny die Last ab, stieg auf einen Hocker und verstaute sie. »So, das wäre geschafft. Für eine so hübsche Frau wie dich ist diese Arbeit eigentlich viel zu anstrengend.«

      Mehr verwirrt als geschmeichelt von diesem Kompliment drängte sie sich an Bernd vorbei zurück ins andere Zimmer.

      »Da bist du ja, ich hatte dich schon vermisst.« Bepackt wie ein Lastenesel, kam ihr Andreas entgegen.

      »Bernd hat mir eben beim Verstauen der Bretter geholfen«, sagte sie und sah sich im leer geräumten Zimmer um. Sie entdeckte nur Wolfram, der mit einem Besen den Boden kehrte. Ulrike und Martin erblickte sie nirgends.

      »Beginnst du schon mal mit dem Auslegen der Zeitungen? Du findest sie draußen im Flur hinter der Wohnungstür.«

      »Ja, gut.«

      Andreas verschwand mit seiner Last, und sie holte die alten Zeitungen und verteilte sie. Ulrike kam hinzu und half ihr.

      »Wo warst du? Beinahe hätte ich eine Vermisstenanzeige aufgegeben.«

      »In der Küche. Martin hat für heute Abend einen Kartoffelsalat vorbereitet. Diesen musste ich natürlich probieren.«

      »Aha«, mehr sagte Conny nicht. Garantiert hatten sie nicht nur den Salat probiert. Innig hoffte sie, dass Andreas auch einmal auf eine solche Idee kam.

      »Achtung heiß und fettig.« Andreas schleppte einen 10-Liter-Eimer Wasser ins Zimmer. »Ich bereite den Tapetenablöser vor. Beeilt euch mit dem Auslegen.«

      So angemahnt sputeten sie sich. Kaum lagen die Zeitungen, da verteilte Andreas die Flüssigkeit großzügig auf die Wände. Große und kleine Rinnsäle hinterließen eine feuchte Spur, bevor sie das Papier durchnässten.

      Conny schüttelte bei so viel planlosem Eifer den Kopf.

      »Halt, nicht so heftig. Du verdirbst doch den Boden.«

      »Das kann er ab. Er muss sowieso am Ende der Aktion gründlich gewischt werden.«

      Ein weiterer Schwall tränkte die Tapeten. Ein feiner Sprühregen ging dabei auf ihn nieder. Conny wollte aufspringen und ihm ein Tuch reichen, aber er wischte sich einfach mit dem Hemdsärmel über das Gesicht.

      »Wer weicht eigentlich hier wen auf?«, spottete Bernd unter der Tür.

      »Du bist ja nur neidisch«, lachte Andreas. »Zehn Minuten muss das Zeug einwirken, dann kann die Spachtelkolonne loslegen.«

      Bei diesen Worten blickte er die beiden Mädchen durchdringend an.

      »Natürlich«, schimpfte Ulrike. »Wir dürfen die Dreckarbeit machen.«

      »Ihr seid nicht allein. Wir helfen euch.«

      Andreas beendete seine Einweichkampagne und ging ins Bad, um sich die Hände zu waschen. Mit einer Flasche Orangensaft und einem Schwung Plastikbecher kehrte er zurück.

      »Letzte Tankstelle vor der Wüste«, rief Martin sie zusammen. »Wer nicht will, ist selbst schuld.«

      Nacheinander wanderten die Flasche und die Becher zu den durstigen Helfern. Andreas blickte alle Augenblicke auf die Uhr. Schließlich rief er: »Schluss mit lustig! Spachtel marsch!«

      Bernd kam mit einer Tasche an und deutete eine Verbeugung an.

      »Greifen Sie zu, meine Damen und Herren! Jeder bitte nur einen Spachtel!«

      Mit sanftem Nachdruck legte er Conny das Werkzeug in die Hand und sah sie dabei lange und durchdringend an. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie, aber sie vermochte es nicht einzuordnen.

      »Dann wollen wir mal sehen, wie gut die Tapete hält«, sagte sie zu Ulrike und trat an die Wand. »Wer steigt auf die Leiter? Andreas?«

      »Wer sonst.« Bernd grinste Conny an. »Die gewagten Seilakte lässt er nicht doubeln.«

      Gemeinsam schabten sie die sich aufwölbenden Bahnen ab. In kleinen Fontänen flogen die Papierstücke durch die Luft und landeten mit einem Klatschen auf den Zeitungen. Meter um Meter fraßen sich die Spachtel durch das aufgeweichte Zeug und rissen die Fetzen heraus.

      Eine der Tapeten machte sich selbstständig. Immer schneller werdend rollte sie sich von oben nach unten ein. Bernd reagierte nicht rasch genug. Wie ein verhungertes Meeresungeheuer verschluckte die Tapete ihn. Heftig zerrte er an dem feuchten Papier und versuchte sich zu befreien. Conny, die neben ihm arbeitete, half ihm dabei, seinen Kopf auszuwickeln. Von oben bis unten mit Tapete dekoriert, stand er da. Die bis eben noch wasserblonden Haare waren grau und verklebt vom Lösungsmittel.

      »Da hilft nichts mehr«, stellte Martin mit vergnügtem Gesichtsausdruck fest. »Du musst unter die Dusche und fällst als Arbeitskraft aus.«

      »Was so eine Geisterbeschwörung doch für Folgen hat«, murmelte Wolfram. »Wir sollten uns vorsehen, nicht dass das Zimmer uns noch verschlingt!«

      Er deutete auf die Wände, wo sich, wie von Geisterhand, ein Großteil der Bahnen selbstständig machte.

      »Kleine Programmänderung«, verkündete Andreas. »Wir fangen an, das Zeug in die Müllsäcke zu packen. Liebe Conny, holst du sie? Sie liegen im Bad unter dem Waschbecken.«

      Zustimmend nickte Conny und flitzte zum Bad. Doch bevor sie die Tür aufriss, fiel ihr zum Glück ein, dass Bernd duschen wollte. Sie stoppte so schwungvoll, dass sie mit dem Kopf gegen die Tür knallte.

      »Wer stört?« erklang die Stimme von Bernd auf der anderen Seite.

      »Ich bin es, Conny. Bernd gib mir bitte die Müllbeutel.«

      Die Tür öffnete sich einen Spalt, und ein nackter Arm reichte ihr die Beutel heraus. Conny nahm den Packen und trug ihn ins Zimmer.

      Als Andreas sie erblickte, strahlte sie an und trat ganz nah zu ihr heran. Obwohl noch ein klein wenig Luft zwischen ihre Kleidung passte, hatte Conny das Gefühl, es knistern zu hören.

      *

      Conny rutschte auf dem Bett zur Seite, um Andreas Platz zu machen. Eingezwängt


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