Traumtänzer. Lucy van Geldern
Platznot in Martins Zimmer.
Nervös nestelte sie an ihren Haaren und versuchte, den Locken ein wenig mehr Fülle zu verleihen. Dabei ärgerte sie sich im Stillen darüber, nicht doch noch ein Make-up aufgelegt zu haben. Ihr Shirt besaß ein wunderschönes Muster aus frischen Farbspritzern von der Decke und Kleisterflecken vom Tapezieren. Im renovierten Zimmer trocknete die neue Tapete langsam vor sich hin. Die Stunden emsiger Arbeit waren wie im Flug vergangen.
Jetzt saß sie da, und ihre Gedanken überschlug sich. Ihr Puls beschleunigte merklich. Nahm Andreas die Gelegenheit für einen kleinen, verschwiegenen Kuss wahr? Innigst hoffte sie, dass er den ersten Schritt wagte und diesen Moment des Alleinseins nutzte.
»Das Schlimmste ist überstanden«, zog Andreas eine erste Bilanz. »Morgen hilft mir Martin beim Um- und Einräumen. Danach brauche ich mir bis zum Ende des Studiums keine Gedanken mehr über das Renovieren zu machen. Ach, ist das beruhigend.«
»Das hängt davon ab, wie lange du studierst«, antwortete Conny enttäuscht. Ein Eimer Eiswasser hätte keine stärkere Wirkung auf sie haben können.
Die Tür ging auf. Martin stand unter dem Türrahmen, bis oben mit Bechern und Tellern beladen.
»Helft ihr mir bitte? Sonst fällt noch was runter.«
Conny sprang auf und streckte ihm die weit geöffneten Hände entgegen. Sie nahm Martin einen Teil des Geschirrs ab und reichte es an Andreas weiter. Ulrike tauchte auf, ebenfalls wie ein Packesel beladen. Ein wenig ratlos standen sie zu viert da. Viel Platz zum Drehen und Wenden war nicht vorhanden.
»Was nun? Essen wir im Stehen oder abwechselnd in Schichten?«, Andreas grinste spöttisch.
»Ich schlage vor, wir setzen uns alle erst einmal aufs Bett. Danach verteilen wir das Geschirr und zum Schluss die Fressalien.« Martin hatte die Lage voll im Griff.
Augenblicke später saßen sie dicht an dicht.
»Wolfram und Bernd essen in der Küche«, sagte Ulrike. Alle vier klapperten erwartungsvoll mit dem Geschirr. Die Salatschüssel und die Frikadellen machten die Runde.
»Alles nur eine Frage der Organisation«, prahlte Andreas. »Die beiden wussten von Anfang an, dass ihre Hilfe nur bei der Renovierung gebraucht wird.«
»So ist das also, ihr nutzt die Hilfsbereitschaft anderer schamlos aus«, stichelte Ulrike. »Deshalb nur eine kalte Kleinigkeit und kein first class Essen.«
»Genau, du hast es erfasst, wir sind nur arme Studenten«, antwortete Andreas, ohne sich aus dem Konzept bringen zu lassen.
Conny, die nach stundenlanger Arbeit einen großen Appetit hatte, stach einige Kartoffelstückchen auf ihre Gabel und probierte. Doch der Salat schmeckte so, wie er aussah, blass und fad.
»Hat jemand Sardinen dabei?«, fragte Conny.
»Wieso?«, erkundigte sich Andreas verdattert. »Möchtest du etwa noch welche?«
»Nein, aber diese Fischchen hätten sich in dieser Enge sehr wohl gefühlt.«
Allgemeines Gelächter klang auf, aber Conny weilte mit ihren Gedanken schon wieder anderswo. Selten saß sie so dicht neben Andreas. Sie musste sich nur ein ganz klein wenig nach links beugen, dann lag sie in seinen Armen.
»Was ist Bernd eigentlich für ein komischer Kauz?«, fragte Conny in die gemütliche Stimmung hinein. »Ständig war er da und half mir, seine blauen Augen schienen mich jedes Mal zu verschlingen.«
»Nur, damit du von Anfang an beruhigt bist«, meinte Andreas. »Jede Frau ist von Bernd irritiert.«
»Ach so, und deshalb hat es dich gar nicht weiter gestört«, stichelte sie, fühlte aber gleichzeitig, dass er mit etwas hinter dem Berg hielt.
»Es ist so ...« Andreas suchte nach den passenden Worten. Nur mit Mühe konnte sich Conny ein schadenfrohes Grinsen verkneifen. Deutlich spürte sie, wie verlegen er war.
»Bernd ist andersherum gepolt.«
Ein kleiner Moment verging, bis Conny und Ulrike den Sinn verstanden.
»Und da fehlen dir doch tatsächlich die Worte«, rief Ulrike. »Ich finde nichts dabei. Und ich dachte schon, er will dir Conny ausspannen.«
»Nein, nein. Bernd ist wirklich völlig in Ordnung«, meinte Martin und stocherte auf seinem Teller herum. »Schmeckt euch der Salat? Ich habe das Gefühl, da fehlt etwas.«
»Genau Alterchen. Es fehlt das Salz. Aber so etwas kann man von dir auch nicht verlangen.«
Wie von der Tarantel gestochen, sprang Andreas auf. »Salat - Kabelsalat. Martin, wo habe ich meine tolle Halogenlampe?«
Er öffnete den erstbesten Karton und suchte wie besessen darin. Dann stürzte er sich auf den Nächsten. Kopfschüttelnd sah Conny ihm dabei zu. Wozu hatten sie sich die Mühe gemacht und alles ordentlich eingeräumt?
»Hör auf, bevor du alles durcheinanderbringst«, sagte Martin. »Du hast sie als aller erstes verpackt, damit sie ja sicher verwahrt ist. So leid es mir tut, du wirst sie erst Morgen vorführen können.«
Doch Andreas war nicht zu bremsen. Nachdenklich blieb er einen Moment stehen, die Stirn in Falten gelegt. Danach stapelte er die mühsam aufgeschichteten Kisten um. Die Drei mussten ihre Füße hochheben, damit er genug Platz zum Suchen hatte. Endlich, als er die fünfte Kiste geöffnet und durchwühlt hatte, hielt er etwas Silbriges in der Hand. Seine Augen glänzten genauso, wie der kleine Doppeldecker. Es war eine filigrane Arbeit, aus dünnem Metall geformt. Geschickt und nur wenig sichtbar waren unten die Lämpchen befestigt.
»Mein großes Schmuckstück. Dieser Flieger bekommt einen Ehrenplatz an der Decke.« Stolz hielt er ihn in die Luft und ließ das Flugzeugmodell ein paar Loopings drehen. »Diese Lampe habe ich von meinen Eltern zum bestandenen Abi geschenkt bekommen.«
Andreas hielt ihn Conny und Ulrike einmal dicht vor die Nase. Dabei passte er allerdings auf, dass keine von den beiden das Kunstwerk berührte.
»Doch, dieser Doppeldecker ist spitze«, sagte Conny bewundernd.
Mit allergrößter Sorgfalt räumte Andreas den Flieger wieder weg. Ein wenig schob und rückte er die Kiste noch hin und her, um danach bei Conny Platz zu nehmen.
»Möchte noch jemand Salat?« Ulrike hob die Schüssel hoch und sah sie alle fragend an. »Ein kleiner Rest ist noch da. Ansonsten gibt es jetzt einen Nachtisch.«
Verblüfft sahen Conny und Andreas sie an.
»Ja, da staunt ihr«, lachte Ulrike. »Ich habe Bernd etwas Geld gegeben, und ihn gebeten, eine Packung Eis zu besorgen.«
Ulrike sammelte das schmutzige Geschirr ein. Wie selbstverständlich half ihr Martin dabei.
Schwer beladen verließen die beiden das Zimmer. Conny beobachtete die Aktion mit Erleichterung, so war sie wenigstens für einen Moment mit Andreas allein. Vor lauter Nervosität knetete sie ihre Finger, bis sie sich endlich ans Herz fasste. Zögernd legte Conny ihre Hand auf den muskulösen Oberschenkel von Andreas und übernahm einfach die Initiative. Sie konnte nicht länger im Ungewissen leben.
Andreas schien nur auf eine solche Geste gewartet zu haben. In seinen Augen lag das gleiche Lächeln, das sie schon am allerersten Tag bei ihm so gemocht hatte. Er drehte sich leicht zu ihr und hob seinen linken Arm. Sachte, sehr sachte und sehr zärtlich streichelte er ihr mit den Fingerkuppen über das Gesicht. Er zeichnete die kleine Stupsnase und ihre sanft geschwungenen Lippen nach. Vor lauter Wohlbehagen schloss Conny die Augen und öffnete den Mund ein wenig.
Andreas verstand sie sehr wohl. Noch ein Stückchen rutschte er näher heran und nahm sie in die Arme. In Conny explodierte ein Feuerwerk der Gefühle. Sie spürte seinen Herzschlag, der genau wie der ihre immer schneller ging. Zart, warm und ganz sanft fanden seine Lippen die ihren. Unterdrückt stöhnte Conny auf, sie fühlte, wie seine Zunge sich einen Weg durch ihre leicht geöffneten Lippen suchte. Sie tastete sich weiter vor und schon bald waren sie in einen innigen Zungenkuss vertieft.
Erst