Scarlett Taylor. Stefanie Purle
weibliche, weinerliche Stimme auf den Anrufbeantworter. „Wir brauchen Ihre Hilfe. Eine Bekannte hat Sie empfohlen.“ Sie seufzt und zieht die Nase hoch. „Elvira? Wenn Sie da sind, nehmen Sie bitte ab.“
Das Schluchzen und Flehen der Frau geht mir durch Mark und Bein. Sie tut mir ehrlich leid. Offensichtlich ist sie sehr verzweifelt.
Du musst Dich von nun an um unsere Kunden kümmern, hatte Elvira geschrieben.
„Elvira?“, fleht die Frau weinerlich.
Ich gebe mir einen Ruck und nehme den Hörer ab.
„Scarlett Taylor hier.“ sage ich und bin erstaunt, wie leicht mir mein neuer Name über die Lippen geht. „Elvira ist zurzeit leider nicht zu sprechen, kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen?“
Kurz ist Stille am anderen Ende, dann wieder ein weinerlicher Seufzer. „Ich weiß nicht. Sie halten mich wahrscheinlich für verrückt.“
Ich gebe ein kurzes Prusten von mir. „Nein, mit Sicherheit nicht. Verrückter als das, was ich gerade erlebe, kann es gar nicht sein.“ Die weinerliche Frau schluckt und räuspert sich. In sanfterem Ton fahre ich fort. „Erzählen Sie mir doch worum es geht, vielleicht kann ich Ihnen helfen. Ich bin die Nichte von Elvira Schnei... äh, Taylor.“ Mist.
„Okay... Also, wir sind vor circa sechs Monaten in dieses Haus gezogen. Ich wusste von Anfang an, dass hier etwas nicht stimmt. Es war so ein Gefühl, wissen Sie?“, fängt die Frau an zu erzählen.
Ich spiele mit dem Münzamulett in meiner Hand, während ich zuhöre. „Ja, kenne ich“, lüge ich und drehe die Münze zwischen meinen Fingern. „Und weiter?“
„Und nun ist es seit knapp drei Wochen so, dass ich mich beobachtet fühle. Nicht nur ich, meine Tochter auch, sie ist vierzehn. Wir fühlen uns beim Anziehen, Ausziehen und Duschen beobachtet. Es ist, als seien wir nie allein.“
„Hmm“ brumme ich. „Sind Sie denn allein? Oder beobachtet Sie der Nachbarsjunge durchs Fenster, oder sowas in der Art?“ Natürlich suche ich erst einmal nach einer logischen Erklärung.
Wieder herrscht kurz Stille am anderen Ende. „Nein… Das war ja auch noch nicht alles! Seit einigen Nächten wird meiner Tochter nachts die Bettdecke vom Bett gezogen. Sie hat panische Angst und mag nicht mehr allein in ihrem Zimmer schlafen. Und ich habe einen Schatten gesehen. Mehrmals. Er hat sich bewegt. Es war wirklich unheimlich“, erzählt sie und ihre weinerliche Stimme kehrt zurück. „Mein Mann glaubt das alles nicht, aber ich habe es gesehen! Und es hat mit mir gesprochen!“
„Was hat mit Ihnen gesprochen?“
„Der Schatten!“
„Und was hat er gesagt?“, hake ich neugierig nach.
Sie zögert ein wenig, dann höre ich sie schluchzen. „Er sagte... Sie ist mein!“
Ich muss schlucken, und obwohl ich es nicht gern zugebe, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken.
„Können Sie vorbeikommen und das... wegmachen?“, schluchzt und fleht sie weiter.
„Nun ja. Ich kann es versuchen. Ich vertrete Elvira bloß bis sie wieder da ist“, gebe ich nach, ohne zu wissen, wie ich der Frau überhaupt helfen könnte.
Sie wirkt erleichtert, gibt mir ihre Adresse und Telefonnummer und wir verabreden uns für den morgigen Tag. Insgeheim hoffe ich, bis dahin Elvira gefunden zu haben, damit sie diese Angelegenheit übernehmen kann. Wir verabschieden uns und ich lege den Hörer auf.
Ich lehne mich zurück und schlage die Hände vors Gesicht. Wo bin ich hier bloß hineingeraten? Wie soll ich dieser Frau nur helfen? Was erwartet Elvira nun von mir?
Ich nehme mir das prall gefüllte Buch erneut vor und lege es auf meinen Schoß, in der Hoffnung, darin vielleicht die Antworten zu finde. Auf der zweiten Seite klebt ein weiterer Briefumschlag. Als ich ihn öffne, entdecke ich darin dreitausend Euro in großen Scheinen und eine Kreditkarte auf den Namen Scarlett Taylor. Ich befühle das Papier des Geldes mit den Fingern und kann es kaum fassen. Wieso hinterlegt Elvira mir so viel Geld? Darf ich es behalten? Wofür ist es gedacht? Ich kann es natürlich sehr gut gebrauchen, davon könnte ich tanken und Lebensmittel kaufen. Seit Monaten habe ich kaum Geld. Das Arbeitslosengeld reicht gerade mal für die Miete und die Nebenkosten. Danach bleibt mir nicht mehr viel übrig. Sicherlich hätte ich mir eine günstigere Wohnung nehmen können, aber ich habe nun mal meine Ansprüche.
Ich lege das Geld und die Kreditkarte auf den Tisch und blättere zur nächsten Seite. Wieder ein Briefumschlag, diesmal ein wattierter, der das ganze Buch ein wenig zerknittert und ausbeult. Ich öffne ihn und ziehe einen Autoschlüssel samt Fahrzeugschein heraus. Der Wagen ist auf meinen Namen zugelassen. Als ich den Fahrzeugschein auseinanderfalte, fällt ein kleiner Zettel heraus: Wagen steht auf dem Parkplatz hinter dem Reisebüro.
Ich halte den Schlüssel ungläubig hoch. Als Schlüsselanhänger baumelt einer dieser fünfzackigen Sterne daran. Meine Tante hat mir ein Auto geschenkt! Ich kann es kaum glauben. Wieso schenkt sie mir ein Auto, dreitausend Euro und eine Kreditkarte? Warum? Und wo hat sie das viele Geld her?
Wieder nehme ich mein Handy und wähle ihre Nummer, doch erneut antwortet niemand. Zu gerne würde ich mit ihr reden, ich habe tausend Fragen, die ich ihr stellen möchte. Wo ist sie nur und was ist ihr geschehen?
Nach und nach lege ich alle Sachen, die sie mir hinterlegt hat, zusammen und verstaue sie in einer alten Plastiktüte, die ich in meiner Manteltasche gefunden habe. Das Buch ist zu groß, deswegen klemme ich es mir unter den Arm, als ich mich zum Gehen aufmache. Vorsichtshalber ziehe ich die Trennwand zu und lasse das geheime Büro, mit all seinen Symbolen und Masken, dahinter verschwinden. Ich lösche alle Lichter und schließe von außen die Tür zum Reisebüro zu. Der Autoschlüssel klimpert in meiner Hand, als ich zum Parkplatz hinter das Gebäude laufe. Drei Autos stehen dort im Halbdunkel, nur das entfernte Licht einer Straßenlaterne leuchtet mir sanft den Weg. Ein Bulli, ein Kleinwagen und ein ziemlich cooler, rabenschwarzer Sportwagen. Als ich auf dem Nummernschild meine neuen Initialen lese, quieke ich vor Aufregung. Ich drücke den Knopf auf dem Schlüssel und der 6er BMW zwinkert mir blinkend zu. Ein Freudenschrei löst sich in meiner Kehle und ich renne auf mein neues Auto zu. Ehrfürchtig steige ich ein, lege meine Sachen auf den Beifahrersitz und nehme den Neuwagengeruch wahr, während ich zärtlich über das lederbezogene Lenkrad streichle. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss und starte den Motor. Der Wagen schnurrt wie eine Katze. Als ich Gas gebe, um vom Parkplatz zu fahren, faucht mein Kätzchen und buckelt. Ich bin einen klapprigen Kleinwagen mit wenig PS gewohnt, ich werde mich wohl erst einfahren müssen. Mein schwarzer Panther und ich verlassen ruckelnd und fauchend das Gelände und fahren zurück nach Hause.
Kapitel 3
Nachdem ich die halbe Nacht in dem verrückten Buch gelesen habe, für das Elvira Jahre gebraucht haben muss, um es zu verfassen, fahre ich am nächsten Morgen zur Polizei. Ich möchte Elvira als vermisst melden. Nun, da ich gelesen habe, womit Elvira sich wirklich beruflich beschäftigt hat -nämlich mit übernatürlichen Dingen wie Geister, Dämonen, Hexenpriester und Teufelsaustreiber- mache ich mir noch mehr Sorgen um meine Tante. Entweder ist sie geistesgestört, oder sie glaubt all das wirklich und ist vielleicht irgendeinem Satanskult in die Falle gegangen. Egal was es ist, Elvira braucht Hilfe!
Ich sage dem Beamten vorne am Schalter, dass ich eine Vermisstenmeldung aufgeben möchte. Ohne den Blick auch nur einmal von seinem Computerbildschirm zu heben, schickt er mich in das Büro seines Kollegen.
„Den Gang runter, dritte Tür rechts“, nuschelt er und steckt sich die stumpfe Seite eines Bleistiftes zwischen die Lippen.
Ich folge seiner Wegbeschreibung und klopfe an die Tür. Von innen höre ich eine gelangweilte Stimme. „Ja, bitte.“
Eine billige Parfumwolke kommt mir entgegen, als ich die Tür öffne. Hinter dem Schreibtisch sitzt ein breitschultriger Mann, Mitte dreißig, mit kurzen, braunen Haaren. Ein Dreitagebart sprießt auf seinem Kinn und er trägt eine schwarze Hornbrille