INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Eins. Eberhard Weidner

INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Eins - Eberhard Weidner


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hätte erschießen sollen, als er seine Pistole noch in der Hand gehalten hatte. Der Dämon hätte den sterbenden und damit nutzlosen Körper gezwungenermaßen verlassen müssen. Aber als Michael noch im Besitz seiner Waffe gewesen war, hatte er sich darauf verlassen, diese notfalls noch immer abfeuern zu können. Er hatte impulsiv gehandelt und gedacht, den Dämon mit dem geweihten Kreuz in seine Schranken weisen zu können. Ein folgenschwerer Irrtum, wie er auf schmerzhafte Art erfahren hatte. Und als Folge dieses Fehlers lag die Automatik in einer dunklen Ecke des Zimmers, unerreichbar für ihn. Und er hatte keine andere Waffe bei sich, da er in diesem Haus mit einem Haufen schwacher Hexen und geringer Gegenwehr gerechnet hatte.

      Wahrscheinlich wäre er besser dran, wenn er das Schicksal des kürzlich verstorbenen Kai Weber teilen könnte, der unmittelbar hinter ihm lag, das Mordwerkzeug, das seinem Leben ein Ende gesetzt hatte, noch in der Brust.

      In Gedanken sah er das makabre Bild des Leichnams erneut vor sich. Und wie beim Heranzoomen mit einer Filmkamera in einem Spielfilm wurde der Dolchgriff im Zentrum größer und größer, während gleichzeitig die Umgebung unscharf wurde und in den Hintergrund trat, bis die Waffe das gesamte Bild ausfüllte.

      Eine vage, wenngleich verzweifelte Idee begann sich in Michaels Verstand zu formen.

      Als der Dämon von Neuem näher herankam und sich zu ihm herunterbeugte, zuckte Michael erschrocken zusammen und kroch panisch ein Stück zurück. Dadurch kam er auf dem Toten und sein rechter Arm quer über dessen Brustkorb zu liegen.

      Der Besessene griff nach Michaels Hals und umschloss ihn mit festem Griff. Mit einer Kraft, die man ihm aufgrund der Schmächtigkeit des Körpers beileibe nicht zugetraut hätte und die dem dämonischen Geist in seinem Inneren innewohnen musste, zog er Michael Gesicht näher an das eigene heran und blies ihm seinen schwefelsauren Atem ins Gesicht. »Es wird Zeit, dass du dich entscheidest, Sohn. Meine Zeit an diesem Ort ist knapp bemessen, und meine Geduld hat enge Grenzen. Ich warne dich daher ein allerletztes Mal: Wähle den richtigen Weg! Nämlich den Weg, der dir aufgrund deiner Abstammung vorherbestimmt war!«

      Der Inquisitor schloss die Augen, als würde er sich widerstrebend und verzweifelt in ein längst besiegeltes Schicksal fügen. Er stöhnte und verzog das Gesicht. Nicht nur die Schmerzen im Brustraum und im linken Arm und der üble Mundgeruch seines Gegners machten ihm zu schaffen. Auch die Muskeln seines rechten Arms schmerzten, als er diesen in unnatürlicher Weise verdrehte, um blind nach dem Griff des Dolchs in Kais Brust zu tasten. Als sich seine Finger um das kühle Material schlossen, stieß er ein erleichtertes Seufzen aus. Er öffnete die Augen, um in die mittlerweile wie die heißeste Glut des Höllenfeuers glimmenden Pupillen seines Gegners zu blicken, die erwartungsvoll auf sein Gesicht gerichtet waren und nicht sahen, was Michaels rechte Hand derweil tat.

      »Du willst meine Entscheidung hören, Vater

      Der Besessene nickte, während die Vorboten eines siegessicheren Grinsens seine Mundwinkel nach oben kräuseln ließen.

      »Hier hast du meine Antwort! Doch sie wird dir nicht gefallen, DÄMON …«

      Michael hatte das Messer verstohlen aus der Brust des Toten gezogen und den Arm gedreht. Nun stieß er ihn mit all seiner Kraft nach vorn, noch während er sprach.

      Dem Dämon schwante noch, dass absolut Unerwartetes geschah, denn seine Augen weiteten sich und ihr unirdisches Glühen flackerte wie eine defekte LED-Lampe. Doch mehr konnte die Höllenkreatur trotz all ihrer Reaktionsschnelligkeit, die sie schon einmal demonstriert hatte, nicht tun.

      Die lange, dünne Klinge des Opfermessers wurde rechts in den Hals des Mannes getrieben und durchbohrte die heftig pochende Schlagader und die Kehle. Der Mund des Besessenen klappte mehrmals auf und zu wie bei einem Fisch auf dem Trockenen, doch kein einziger Laut kam heraus, während der Inquisitor gleichzeitig heftig am Griff des Dolches zerrte und den Hals von rechts nach links mit brutaler Gewalt aufschlitzte. Erst als das vollbracht war, kam ein kaum hörbares Röcheln aus der durchtrennten Luftröhre, begleitet von einem pestilenzartigen Atemhauch. Wie ein Sturzbach ergoss sich warmes Blut aus der klaffenden Wunde auf Michaels Brust, bevor der Besessene leblos zusammenbrach.

      Der Inquisitor spürte, wie ein eisiger, nach Hölle und Verdammnis stinkender Windstoß nah an seinem Gesicht vorbeisauste, als der Dämon den toten Körper verließ wie eine Ratte das sinkende Schiff und in die Hölle zurückkehrte. Ein infernalisches Heulen begleitete das Ausfahren und verhallte rasch in der Ferne.

      Michael schob den Leichnam zur Seite, sodass er nicht mehr schwer auf seiner schmerzenden Brust lastete, sondern mit einem dumpfen Laut neben ihm zu Boden fiel. Das blutverschmierte Opfermesser entglitt seinen Fingern und landete klirrend auf dem Parkett.

      Schwer atmend ließ Michael den Kopf zurücksinken. Mit seiner zu gleichen Teilen aus purer Verzweiflung und der arroganten Nachlässigkeit des Dämons geborenen Aktion hatte er geschafft, was er anfangs für ausgeschlossen gehalten hatte: Er hatte den Dämon vertrieben. Dadurch hatte er sich nicht nur eine Verschnaufpause verschafft, sondern auch – wichtiger noch – den Plan der Höllenkreatur durchkreuzt. Aber was würden die Luziferianer tun, nachdem ihr dämonischer Meister verschwunden war? Michael glaubte nicht, dass sie ihn einfach ziehen lassen würden. Wahrscheinlich hatten sie nur noch nicht bemerkt, dass ihr Boss zur Hölle gefahren war.

      Michael ahnte, dass ihm nicht viel Zeit blieb. Und die musste er bestmöglich nutzen, bevor da draußen jemand ungeduldig wurde und auf die Idee kam, die Tür einzutreten und nach dem Rechten zu sehen.

      Er tastete unbeholfen nach dem Mobiltelefon in seiner Jackentasche und hoffte, dass er es bei der Auseinandersetzung nicht verloren hatte. Zum Glück war es noch da und intakt geblieben. Er hielt sich das Display dicht vors Gesicht und aktivierte das Gerät. Erleichtert sah er, dass er wieder eine Verbindung mit dem Netz hatte. Unter Umständen hatte die Anwesenheit des Dämons den Empfang des Handys gestört. Michael tippte mit zitterndem Daumen die Nummer des Bereitschaftsdienstes der Inquisition ein und hatte nach dem zweiten Rufzeichen einen Kollegen in der Leitung. Mit knappen, atemlos geflüsterten Worten schilderte er seine verzweifelte Lage und bat um schnelle Hilfe. Er ließ nicht zu, dass sein Gesprächspartner Zeit mit Nachfragen verschwendete, sondern trennte die Verbindung sofort wieder und steckte das Mobiltelefon ein.

      Bis auf seine eigenen leisen Worte hatte seit dem Verschwinden des Dämons im wahrsten Sinne des Wortes Totenstille geherrscht. Damit war es schlagartig vorbei. Von jenseits der Tür waren erste Geräusche zu hören, die ihm ins Bewusstsein riefen, dass ihm in diesem vorgeblichen Hexenhaus nicht nur Tote stumme Gesellschaft leisteten. Ein verstohlenes Huschen und Scharren ertönte. Leise Schritte näherten sich der Tür und verstummten unmittelbar davor, als verharrte dort jemand, legte sein Ohr an das dünne Holz und lauschte aufmerksam.

      Michael schluckte schwer. Seine Kehle fühlte sich an wie ausgetrocknet und die Zunge in seinem Mund aufgebläht und rau wie Schmirgelpapier. Er wusste, dass ihm die Zeit davonlief. Die Luziferianer mussten – eventuell aufgrund der unnatürlichen Stille in diesem Raum – misstrauisch geworden sein und bemerkt haben, dass die Situation sich grundlegend verändert hatte. Oder sie spürten instinktiv die Abwesenheit des Dämons. Wie lange würden sie sich noch in Geduld üben, bevor jemand die Initiative ergriff? Michael hoffte, dass sie sich wenigstens so lange Zeit ließen, bis die alarmierten Kollegen eintrafen, doch dafür gab es keine Garantie. Vielleicht konnte er ja selbst für einen zusätzlichen Aufschub sorgen, wenn er seine Automatik wieder in Händen hielt.

      Der Inquisitor hob den Kopf und spähte blinzelnd in die Richtung, in der die Glock verschwunden war. Er glaubte, in der dunklen Ecke des Raumes einen schwachen Schimmer wahrzunehmen, den die verbliebenen sechs Kerzenflammen auf dem mattschwarzen Stahl und dem schwarzen Kunststoffgriffstück der Waffe erzeugten. Es musste die Pistole sein, die dort lag. Wenn er an sie herankam, konnte er sich seine Feinde eventuell noch eine Zeit lang vom Leib halten, bevor ihm die Munition ausging. Unter Umständen lange genug, bis die Kollegen ihm zu Hilfe kamen und die Luziferianer gleichzeitig von hinten angriffen.

      Er gab sich innerlich einen Ruck, denn je länger er zögerte, desto geringer waren seine Chancen, diesen Ort lebend zu verlassen. Er rollte sich auf den Bauch und stemmte sich langsam hoch, bis er schwer atmend und schweißüberströmt auf dem Boden kniete. Er


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