Die Schatzkammer des Pharao. Robert Kraft
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Robert Kraft
Die Schatzkammer des Pharao
Inhaltsverzeichnis
1.Kapitel.
Erst die zehnte Abendstunde, und schon waren die Straßen der Londoner City, in denen das Leben am Tage so mächtig pulsiert, wie ausgestorben. Nur hin und wieder ein Konstabler, der die Haus- und Ladentüren untersuchte, ob sie geschlossen seien. Noch seltener einmal ein anderer Mensch, der dieses Geschäftsviertel, in dem wohl nur Wächter wohnen, bei Nacht eilig durchkreuzt.
So eilig hatte es auch der Mann, der sich fest in den wolligen Wettermantel wickelte. Es war Mitte Dezember, die trübste Zeit für London, man wußte nicht, ob es schneite oder regnete oder ob das nur Nebel war, der bis auf die Haut drang, der die elektrischen Straßenlaternen nur wenige Schritt weit leuchten ließ, obgleich noch lange nicht mit jenem schwarzen oder gelben Nebel zu vergleichen, der auch die blendende Bogenlampe in ein armseliges Fünkchen verwandelt.
Da in einer noch stilleren Seitenstraße, in der die Beleuchtung gespart wurde, ein gellender Schrei, dem ein fürchterlicher Fluch nachfolgte.
Der Fuß des schnellen Wanderers stockte, er machte die Arme frei, schob den Schlapphut aus den Augen, das blondbärtige Gesicht eines jungen Mannes kam zum Vorschein - und aus seinem Spazierstock ein kurzer Gummiknüppel.
»Hilfe, mir Ist der Knochen zerschlagen!« gellte noch einmal die helle Stimme.
»Noch nicht genug?« rief eine nur ein wenig tiefere Stimme . »Da - und da - und da - und nimm das noch. ...«
Der Mann mit dem Gummiknüppel rannte um die Ecke, in die Seitenstraße hinein. Von drei Gestalten sah er zwei männliche davonflüchten, eine weibliche blieb zurück.
Es war eine mit einfacher Eleganz gekleidete Dame, ihr aufgerissenes Jackett zeigte eine Fütterung mit Zobelpelz. Mit auffallender Gelassenheit ordnete sie ihren dichten Schleier, wobei man sah, daß ihr rechter Glacéhandschuh ganz aufgeplatzt war.
»Die beiden Rowdies überfielen mich«, wendete sie sich ganz ruhig an den im schnellsten Laufschritt Herbeikommenden, »wollten mir das Handtäschchen entreißen. Schade, daß Sie dazwischen gekommen sind.«
Solch einen Empfang hatte der Retter in der Not nun freilich nicht erwartet. Oder er hatte sich verhört.
»Schade?«wiederholte er.
»Nun ja, sonst hätten diese Burschen noch etwas ganz anderes erlebt. Dem einen, dem mit der quäkenden Stimme, habe ich wahrscheinlich das Schlüsselbein durchgeschlagen. Es tut mir leid, aber das ist man der Menschheit direkt schuldig. Der fällt keine einsame Dame mehr an.«
Der Mann starrte auf die schlanke, elegante Gestalt.
»Ihm das Schlüsselbein zerschlagen? Womit denn?«
»Nun hier mit meiner Hand. Ich komme nicht umsonst soeben aus dem Lady-Boxing-Gymnasium, habe nicht umsonst einen Kursus in Dschiudschitau durchgemacht
Es sei gleich verraten, daß der junge deutsche Gelehrte, der er war, jetzt nicht mehr den Schnee oder Regen merkte, sondern es war ihm plötzlich zu Mute, als ob ihm ein ganzer Eimer eiskalten Wassers über den Kopf gegossen worden.
Er liebte nämlich die ganze Boxerei der Engländer nicht, ärgerte sich immer, wenn er so eine Unterrichtsanstalt, wo man lernte, dem Ebenbild Gottes mit der Faust alle Knochen im Leib zu zerschlagen und sein Gesicht in ein rohes Beefsteak zu verwandeln, »Gymnasium« nennen hörte, und am allerwenigsten liebte er boxende Damen, gleichgültig, ob sie englisch oder japanisch boxten.
»Ach soooo! Da waren es also die beiden Banditen, die um Hilfe schrien, weil Sie ihnen so übel mitspielten! Ich bitte um Verzeihung, Miß, ich werde Sie niemals wieder bei Ihren Vergnügen stören!«
Hinter dem dichten Schleier erklang ein silbernes Lachen.
»Nein, nein, Herr Doktor Tannert, ich erkenne Ihren Ritterdienst voll und ganz an, nehme ihn für geschehen. Das Sie meinetwegen nicht etwa Ihren Mut zügeln, wenn Sie einmal ein Weib um Hilfe rufen hören.«
Wieder glaubte der so Angeredete einen Wassersturz zu fühlen. Er war erst seit zwei Tagen in London, in England, war ganz wildfremd, er selbst kannte noch gar keinen Menschen.
»Ja, wie ist es möglich ...«
»Wir sind doch Nachbarn, wir wohnen doch bei Mrs. Haller auf ein und demselben Flur.«
Bei einer Mrs. Haller wohnte er, daß stimmte, nahe beim Britischen Museum, in dem er täglich zu tun hatte. Dort gibt es sehr viele Pensionen, die speziell die Fremden aufnehmen, welche für längere Zeit die größte Bibliothek der Welt benutzen oder die von den Engländern dort zusammengehäuften Schätze zu besichtigen, untersuchen und studieren wollen, ägyptische Sarkophage oder Nürnberger Taschenuhren oder Lappländische Götzen. Und immer mehr nimmt auch die Zahl der weiblichen Pensionäre zu, die aus allen Ländern, aus allen Erdteilen kommen, nicht nur um das Britische Museum flüchtig zu besuchen, wozu freilich, um alles nur einmal gesehen zu haben, auch schon ein Menschenalter gehört - es ist ja ganz fabelhaft, was die Engländer da aus aller Welt zusammengeschleppt und wohlgeordnet haben - sondern vom Wissenshunger getrieben, zum ersten Studium.
»Aber Sie kennen mich nicht?« fuhr es heiter wie zuvor hinter dem Schleier fort. »Glaubt schon. Sie sind doch erst gestern Mittag eingezogen. Ich stand im dunklen Hintergrund. Und ich von Evas Geschlecht mußte die Mrs. Haller dann gleich fragen, wer der neue Pensionär sei. Jetzt habe ich Sie gleich wiedererkannt. Wir wohnen Ihnen gerade gegenüber, mein Bruder und ich. Lavoir heißen wir.«
Das alles wurde so heiter und naiv herausgeplaudert, daß vor seinen geistigen Augen die boxende, knochenzerschlagende Dame immer mehr zurücktrat, bis sie ganz verschwunden war.
»Na, wollen wir denn die ganze Nacht stehen bleiben?« lachte es wieder.
Ja, fast hätte Dr. Tannert Lust dazu gehabt. Ohne das er das Gesicht der offenbar