Die Schatzkammer des Pharao. Robert Kraft
nichts anderes gewöhnt. Und sehen wir etwa schwächlich aus?«
Der junge Gelehrte bekam nicht etwas für ihm ganz Neues zu hören. Besonders in Amerika und in England gibt es schon viele Tausende, die sich nur von rohen Früchten und Nüssen nähren. Nach wissenschaftlichen Gesetzen reicht das auch, in der nötigen Menge genossen, zur vollkommenen Ernährung aus. Nüsse haben einen hohen Gehalt an Eiweiß und Fett, reichliche Mengen das letzteren machen die Kohlehydrate, das Stärkemehl, überflüssig. Diese Lebensweise geht von den Theosophen aus, die schon mehr bis zu den Rosenkreuzlern zurückgreifen, welche ihren Durst sogar nur mit Morgentau stillen, oder mit Regenwasser. Im übrigen hängt das zusammen mit dem Schlagwort »Zurück zur Natur«! Natürlich haben diese Nahrungskünstler, Theosophen oder nicht, gleich Vereine gebildet, wollen durch Zeitschriften und Flugblätter nun die ganze Menschheit beglücken.
»Nach Pausanias bekamen die griechischen Athleten, die in Olympia um die Siegespalme ringen wollten, vorher wochenlang von ihren Trainern, den Gymnasien oder Aleipten, nur möglichst trockene Datteln zu essen«, zeigte der Bruder wieder seine Belesenheit, wobei es freilich um die Athletik handelte, die er wohl auch so wie seine Schwester betrieb oder doch betrieben hatte.
»Wird solch eine Fruchtnahrung auf die Dauer nicht recht eintönig?« meinte Dr. Tannert etwas kleinlaut, denn er war ein Freund von einem saftigen Beefsteak, möglichst groß.
»Eintönig?« wiederholte Leonore. »Aber ich bitte Sie! Hier in dieser Schale liegen acht verschiedene Apfelsorten, jede von einem total anderem Geschmack. Sauer und süß und nach Muskat und nach sonst was schmeckend. Und nun die vielen anderen Früchte. Und hier sind vier Sorten von Nüssen. Und es sind schon zweierlei Haselnüsse, deren Unterschied im Geschmack ein noch viel größerer ist als zwischen gekochten Hammelrippchen und einem Schweinebraten. Nein, an Reichhaltigkeit des Geschmacks kann der Tisch eines Fruchtessers niemals von dem eines Fleischessers übertroffen werden. Und es ist so bequem. Man hat die Früchte immer zur Hand, ist, wenn man Appetit hat, ist unabhängig, kein Sklave eines Kochs. Aber ich will Sie nicht etwa zur Fruchtnahrung bekehren! Das liegt mir fern. Soll ich klingeln? Wollen Sie einen Schinkenknochen haben? Sie können ihn hier ruhig abnagen.«
Lachend wehrte Tannert ab, er habe schon eine reichliche Abendmahlzeit hinter sich, aber er freute sich wirklich sehr, daß man ihm dieses Angebot gemacht hatte. Denn Dr. Tannert war der ganz vernünftigen Ansicht, daß ja jeder Mensch täglich einen Zentner Heu fr ... verspeisen kann, wenn es ihn glücklich macht. Aber er soll nur andere Menschen mit seinem Heu in Ruhe lassen. Wem's schmeckt, der wird schon von ganz allein einmal dahinter
kommen. Und dann vielleicht erlernt er auch noch das Wiederkäuen.
»Aber ein Glas Punsch trinken Sie doch mit uns«, fuhr Leonore fort, unter der silbernen Teekanne, wahrscheinlich Eigentum, den Spiritus anzündend.
»Oho. Seit wann sind denn Vegetarier und besonders solche Fruchtesser dem Alkohol ergeben?« Der Irrtum wurde gleich aufgeklärt.
»Es ist alkoholfreie Punschessenz, nichts weiter als Fruchtsaft«, erklärte der Bruder, »ich trinke das Zeug auch nicht gern, es schmeckt so nach Lack, und für einen ehemaligen Studenten, wird es erst recht nichts sein. Haben Sie nicht etwas Kräftigeres auf Ihrem Zimmer? Oder vielleicht die Mrs. Haller?«
Ach, das waren ja prächtige, unbezahlbare Menschen! Solche fand man ja gar nicht wieder.
Und es war noch nicht alles.
»Ach«, sagte Leonore noch, als er sich schon erhob, um die Rumflasche zu holen, die ihm ein Onkel für das nebelige England eingepackt hatte, für die er freilich einen fabelhaften Zoll hatte zahlen müssen, »ach, da bringen Sie doch auch Ihre Fuhrmannspfeife mit, bitte!«
»Was, Fuhrmannspfeife?« lachte Tannert. »Was wissen denn Sie Französin davon, und das ich überhaupt eine lange Pfeife habe?«
»Na, ich hab's doch gleich gerochen, als Sie heute früh Ihre Zimmertür aufmachten. Ich konnte auch ein bißchen hineinblicken. Herr Gott, war das ein Nebel! Wir hatten in Avignon einmal einen deutschen Herrn zu Besuch, der rauchte auch so eine mächtige Pfeife, und da sagte unsere Mutter immer: das riecht hier so gut nach Fuhrmann.«
Tannert lachte noch aus vollem Herzen, als er in seinem Zimmer die Rumflasche auspackte, und wiederum wußte er gar nicht, daß er dies tat. Mit seiner qualmenden pfeife kam er zurück.
»So, nun werde ich Ihnen ein Glas Grog brauen. O, das kann ich auch. Ohne Zitrone? Desto besser, weil wir gar keine hier haben. Ach, riecht Ihre Pfeife gut, so gemütlich.«
»Rauchen Sie denn nicht?« fragte Tannert, in der Meinung, daß die Französin diese Gelegenheit nur abgewartet hatte, um gleich nach dem Zigarettenetui zu greifen.
»Ich? Ich rauche nicht. Ich habe ja gar nichts dagegen, wenn Damen rauchen, aber ich mache das nicht mit. Ich habe keinen Genuß daran, habe es noch gar nicht probiert. Auch Harris raucht nicht.«
»Wie, auch Ihr Herr Bruder raucht nicht?« stieß Tannert förmlich bestürzt hervor.
»Nein, warum sollte er denn?«
Es war schwer zu beschreiben, was den Doktor in förmliche Bestürzung versetzte. Man findet selten solche Menschen, die Nichtraucher sind und anderen das Rauchen nicht nur erlauben, sondern sie sogar darum bitten, doch zu rauchen.
»Aber ich kann doch unmöglich hier rauchen, wenn Sie selbst....«
»Pfaffen Sie! Jetzt befehle ich es Ihnen! Immer qualmen Sie! Mehr, mehr! Und wenn Sie zufälliger Weise eine Kanone bei sich haben, und Sie möchten gerne schießen - immer schießen Sie. Wenn es die Nachbarschaft nicht stört - uns stört's nicht im geringsten.
Dr. Tannert gehorchte, pfaffte und qualmte. Nein, solche Menschen gab es nicht wieder, wenigstens kein solches Geschwisterpaar.
Das Gespräch kam wieder aus Petra, der Gelehrte wurde immer ausführlicher.
»Ich möchte gern selbst einmal die Bücher lesen, die Sie da anführen«, sagte Harris.
»Die sind aber nur im Britischen Museum zu haben.«
»Die Bücher werden doch ausgeliehen?«
»Nein. Diese Bibliothek leiht kein einziges Buch aus.«
»Gegen genügende Sicherheit,«
»Nicht gegen Deponierung einer Million. Das ist so eins der eigentümlichen Gesetze im konservativen England. Der Gründer des Britischen Museums war Sir Sloane, der seine Sammlungen und seine kolossale Bibliothek dem englischen Volke vermachte, unter der Bedingung, daß nur Mitglieder der königlichen Familie Bücher mit nach Hause nehmen dürfen. Und das wird heute noch ganz wörtlich befolgt. Ich habe es erst selbst nicht glauben wollen, sprach erst gestern mit dem Generalkonsul darüber, als ich mich ihm vorstellte. Mir selbst ist die Sache äußerst unangenehm. Ich kann nicht aufmerksam lesen, wenn andere um mich herum sind, fremde Menschen, und so vortrefflich dort auch alles eingerichtet ist, ganz kleine Lesekabinetts, in denen nur einer Platz hat - es ist doch nicht dasselbe wie zu Hause in seinem stillen Studierzimmer. Eine Ausnahme kann nur ein Regierungsbefehl machen, oder sogar ein direkter Befehl des Königs muß es sein. Aber um den zu erlangen, das ist wieder eine ganz verzwickte Geschichte. Da nützt es noch nichts, daß ich deutscher Staatsbeamter bin. Da müßte erst die deutsche Gesandtschaft in förmlich politische Verhandlungen mit der englischen Regierung treten. Und so etwas wird wegen meiner Leserei natürlich nicht gemacht.«
Er sah nach der Uhr.
»Schon Mitternacht vorüber. Es ist wohl bald Zeit schlafen zu gehen.«
»Nicht für uns«, sagte Leonore, »für uns ist jetzt Mittag.«
»Wie meinen Sie?«
»Wir schlafen am Tage, stehen Nachmittags so gegen vier Uhr auf, warten die Dämmerung ab, wenn es genügend dunkel ist, gehen wir zusammen durch möglichst einsame Straßen spazieren, oder ins Theater, in ein Konzert, in einen Vortrag, oder ich gehe allein in so ein Gymnasium oder in eine Schwimmhalle, die bis Mitternacht offen ist. Um Mitternacht sind wir