Game over. Elmer Eleonor Krogomo
Landeanflug einzuleiten. Sie verstand auch nicht, wo genau das Problem liegen sollte.
»Uslar, das kann es doch nicht sein. Das EU-Direktorat ist ermächtigt, jeden Streik mit Waffengewalt aufzulösen, wenn durch diesen Streik die Produktivität der Konzerne gefährdet ist. Und da das aus Prinzip immer und überall so ist, hat es seit 2027 keinen einzigen Streik gegeben, der länger als dreißig Minuten dauerte.«
Uslar schüttelte den Kopf, nahm in einer schnellen Bewegung den Kopfhörer ab und warf ihn hinter sich. Dann erklärte er ihr voller Abscheu auf die Gruppen, über die er sprach: »So einfach ist das diesmal nicht. Die Gewerkschaft Puccini bestreikt den Flughafen. Sie nennen es jedenfalls einen Streik. Das haben die offenbar gut geplant, denn es handelt sich um etwa siebentausend Teilnehmer. Die Polizei hat nicht genug Leute, weil sie in Köln gerade eine dieser Arbeitsplatz-Lotterien veranstalten. Durch diesen glücklichen Umstand fiel ihnen der Platz kampflos in die Hände, was den Burschen nicht oft gelingt, wenn sie an normalen Tagen eine zünftige Prügelei anfangen. Die Gewerkschafts-Fuzzis haben jedoch leider nebenbei durch irgendwas den Zorn der Deutschen Proletariatspartei erregt, weshalb die auch mit ein paar tausend Mann aufmarschiert sind, um die Brüder, quasi in privater Mission, zur Arbeit zu zwingen. Das haben die Gewerkschafter mit Gegenwehr beantwortet und jetzt ist da unter Aufsicht eines Sprengels EU-Miliz eine riesige Schlägerei im Gange. Mit allem, was dazugehört: Keulen, Messer, Ketten. Wie im alten Rom.«
Er legte deutliche Verachtung in die Stimme, weil er das aber immer tat, wenn es galt, die Aktionen anderer Leute zu kommentieren, sorgte sie sich nicht sonderlich.
»Fein, dann können wir unbemerkt landen und uns verkrümeln, bevor die Behörden Zeit finden, uns zur Kenntnis zu nehmen. Du kannst doch auch ohne Leitstrahl landen.«
Er wedelte abfällig mit der Hand: »So schön ist die Welt schon lange nicht mehr. Diese Genies prügeln sich mitten auf dem Rollfeld. Ich sagte doch: wie im alten Rom. Für gewöhnlich meine ich es genau so, wie ich es sage. Also schalten wir zweitausend Jahre zurück: Ein freies Feld, ein oder zwei Schlachtreihen stehen sich Auge in Auge gegenüber, wildes Gehaue und Geschrei, überall wimmernde Verletzte, alles rennt durcheinander, Chaos pur. Selbst wenn ich da lande und eine Schneise durch den Pöbel ziehe, haben wir anschließend den versammelten Rest am Hals, der uns als kleine Racheaktion lynchen will. Und da wir unsere Jerichos nicht dabei haben, schaffen die das auch. Und sollten wir wider Erwarten doch fliehen können, haben wir ein neues Problem in Gestalt unseres Chefs, der uns wegen der vielen unnötigen Toten zur Schnecke machen wird. Das ist die Lage. Irgendwelche Vorschläge?«
Nun sorgte sie sich doch. Wenn Uslar eine längere Rede hielt, dann gab es keinen Spielraum für schnelle Reaktionen. Andernfalls hätte er geschwiegen und gehandelt. Rasch ging sie die Möglichkeiten durch.
»Gibt es noch mehr, was da unten los ist? Es gibt doch in Köln-Bonn auch eine Rollbahn, die militärisch genutzt wird. Die ist vielleicht frei.«
Uslar zog die Maschine noch etwas weiter hinauf, warf einen Blick aus dem Seitenfenster, korrigierte die Einstellung für die Ruder, und sprach dann weiter.
»Bevor du dich übermäßig freust, auf dieser Rollbahn steht seit zwanzig Stunden ein Jet, der von der KIF gekapert wurde. Die stehen da mitten auf der Bahn, ein paar Unterhändler liegen im Gras, und immer wenn einer mit den Terroristen verhandeln will, grölen die unverständlichen religiösen Quatsch ins Mikro. Die müssen alle völlig besoffen sein.«
»Langsam komme ich durcheinander. Das ist aber nicht dieselbe Truppe, die unser Flugzeug kaperte, oder?«
Uslar zuckte die Achseln, er wusste es nicht und aus Prinzip war es ihm auch so egal. Ein hirnloser Fanatiker blieb ein hirnloser Fanatiker, ganz gleich, welche größenwahnsinnige Organisation ihn losgeschickt haben mochte. Der Zeitpunkt der Entscheidung raste heran, sie überflogen gerade das große Autobahnkreuz bei Siegburg. Uslars düstere Miene hellte sich plötzlich auf.
»Keine Ahnung, die sind wohl mehr von der allgemeinen durchgeknallten Sorte, nichts Spezielles. Ist auch egal. Ich habe eine Idee, was wir machen könnten.«
»Und zwar?«, fragte sie gedehnt. Glänzende Augen im scharf geschnittenen Gesicht ihres Begleiters machten sie immer misstrauisch.
»Ich mache doch zwei Überflüge. Das sollte sie verscheuchen.«
Johimbe riss die Augen auf, deutete seinen plötzlichen Wechsel von angespannter Genervtheit zu freudiger Erregung richtig und schnallte sich mit fliegenden Händen fest. Keinen Augenblick zu früh, mit einem entschlossenen Grunzen nahm Uslar die Schubhebel fast ganz zurück und drückte die Maschine wieder tiefer, so abrupt, dass es sie vom Sitz hob und hart gegen die Gurte drückte. In der Kabine gab es diesmal kein Geschrei, es breitete sich lediglich so etwas wie ein kollektives Luftanhalten aus. Ein Blick in die Miene ihres Nebenmannes riet ihr, die Augen zu schließen, doch das wäre gegen ihre Gewohnheiten gewesen. Der kleine Mann schwitzte stark, Schweiß tropfte von der Spitze seiner beeindruckenden Nase und draußen stürzte das Rollfeld heran.
Die darauf herumwogenden Flecken vergrößerten sich mit rasender Geschwindigkeit und entpuppten sich als umfangreiches Kampfgetümmel. Als sie meinte, fast schon das Weiße in den Augen der Kämpfenden zu erblicken, gab Uslar vollen Schub und fing den Fall ab. Im Vorbeiflug überkam sie die Erinnerung an Weizenfelder, vom Sturm flach gelegt. So sah es da unten jetzt aus. Unter und neben der dahintobenden Supercruise warfen sich Hunderte zu Boden und diese Reaktion pflanzte sich fort wie eine Windbö im Weizenfeld. Dann endete das Rollfeld und Uslar ließ die Boeing steil steigen. Fast unmittelbar danach kippte er die Maschine nach links in eine enge Kurve, sodass Johimbe sehr zügig ihren Blick auf den Flugplatz zurück erhielt.
Was sie sah, beruhigte sie ein wenig. Die wabernden Flecken bewegten sich in schöner Eintracht in Richtung der Grasflächen zu beiden Seiten der Rollbahn. Dann fuhr auch schon das Fahrwerk aus, Uslar schwenkte mit kurzen, ruppigen Manövern auf die korrekte Richtung ein und im nächsten Moment verstummten die Triebwerke. Uslar fluchte wild, das Flugzeug setzte mit einem heftigen Krachen auf und sprang wieder in die Höhe. Die zweite Bodenberührung fiel kaum sanfter aus, doch diesmal gelang es ihm, die Nase der Boeing zu senken und beim dritten Aufsetzen auch am Boden zu halten. Trotzdem blieb ein Problem. Uslar sah sich auf eine merkwürdig unbeteiligte Weise die Menschenmassen an, die ihrerseits dem antriebslos vorbeipreschenden Flugzeug entgeistert hinterherschauten. Durch das laute Poltern des Fahrwerks zum schreien gezwungen, herrschte Johimbe den kleinen Mann an: »Bremsen, Uslar, bremsen! Häng hier nicht rum, es ist noch nicht vorbei.«
Uslar hatte wieder seinen normalen Gesichtsausdruck angenommen und so antwortete er auch wieder auf die gewohnte Art: »Stimmt. Ich kann aber erst ab hundertfünfzig Knoten abwärts die Bremsen benutzen, sonst verglühen sie.«
Mit einem aggressiven Knurren fuhr sie den kleinen Mann an: »Du blöder Hirsch! Was nützen intakte Bremsen, wenn wir zerschellen? Brems jetzt. Sofort!«
Die beiden sahen sich zwei Sekunden lang in die Augen. Uslar zuckte mürrisch die Achseln und tat, wie sie es forderte. Die Landebahn endete fast, da packten die Bremsen und mit lauten, schabenden Geräuschen wurde der Jet langsamer. Allerdings genügte die Wirkung nicht ganz. Unter enormer Lärmentwicklung stürmte die Maschine über den Asphalt hinaus in die Grasflächen hinein, riss nacheinander zwei Zäune weg und bahnte sich ihren Weg durch die angrenzende Heidelandschaft. Mit angehaltenem Atem verfolgte Johimbe, wie die Waldgrenze schnell näher rückte. Dann brach das Bugfahrwerk, der Rumpf krachte zu Boden und pflügte eine Schneise durch den weichen Boden. Dies bewirkte eine zusätzliche Bremsleistung und so kam die ganze Fuhre kurz vor den ersten Bäumen in einer mächtigen Wolke aus Dampf und Erdbrocken zum Stillstand. Im Cockpit atmeten beide im gleichen Augenblick aus. Johimbe öffnete den Mund, um dem kleinen Mann ordentlich die Meinung zu geigen, doch der kam ihr zuvor.
»Bevor du dich hier aufbläst, solltest du dich vordringlich um die Rettung deines Hinterns kümmern. Wir müssen hier flott verschwinden, bestimmt kommt gleich eine größere Abordnung unserer Freunde vom Rollfeld hier an, um uns überschwänglich für die Spielpause zu danken.«
Das sah sie ein und verzichtete vorläufig auf Maßnahmen gegen ihren unsäglichen Partner. Gemeinsam begaben sie sich hastig in die Kabine,