LIEBE FÜR ZWEI. Ute Dombrowski
eine Weile dicht nebeneinander. Marylin streckte sich.
„Ich möchte nie wieder hier weg. Es gefällt mir ausgesprochen gut und deine Familie mag ich sehr.“
„Ich würde gerne mit dir hierbleiben. Wenn ich meine Lehre beendet habe und du auch fertig bist, dann können wir hier leben. Man kann sogar das Dachgeschoss über uns noch ausbauen.“
Marylin strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und seufzte zufrieden. Sie verlebten ein ruhiges und entspanntes Wochenende.
5
Gina hatte sich gewundert, dass ihre Schwester Marylin an keinem Wochenende mehr daheim war. Da sie immer öfter bei Claire wohnte, sahen sich die Schwestern lange Zeit gar nicht. Ihre Mutter hatte nur gesagt, dass Marylin einen Freund namens Lukas hätte.
Claire hatte sich nach einem Jahr von ihrem älteren Schauspieler-Freund getrennt, nachdem sie herausgefunden hatte, dass er auch mit allen anderen Schauspielschülerinnen ins Bett ging. Die beiden jungen Frauen hatten beschlossen, nun erst ihre Schule zu beenden und sich bis zum Abitur nicht mehr mit der Liebe abzugeben. Sie hielten sich akribisch daran und ließen alle Anwärter abblitzen.
Nun saßen sie mit einem Eis bei Gina im Garten und überlegten, was sie nach dem Abitur machen wollten. Für Claire war klar, dass sie ihr Hobby zum Beruf machen würde, also hatte sie begonnen, sich an allen bekannten Schauspielschulen zu bewerben. In zwei Wochen sollte das nächste Vorsprechen sein.
Gina hatte noch keine genaue Vorstellung. Sie wollte auf keinen Fall etwas machen, was schmutzig war oder wo sie sich ständig auf Neues einlassen musste. Andererseits fand sie die Vorstellung schrecklich, dass sich ihr und Claires Weg einmal trennen würden. Sie hatte schon überlegt, sich auch für die Schauspielerei zu bewerben, aber sie befürchtete, nicht genügend Talent zu haben. Sie hatte zwar immer Erfolg, die Freunde ihrer Schwester zu täuschen, denn Jungen oder Männer waren in ihren Augen sowieso leicht zu verwirren, doch dies als Beruf zu machen, konnte sie sich nicht vorstellen.
Aber als was wollte sie denn ein ganzes Leben lang arbeiten? Es war eine schwierige Frage: Kosmetikerin oder ein medizinischer Beruf gingen nicht, denn da hatte sie körperlichen Kontakt mit fremden Menschen, Tiere gingen schon überhaupt nicht, denn die stanken und sabberten, mit Kindern konnte sie gar nichts anfangen, sie waren schmutzig und laut und wollten immer im Mittelpunkt stehen. Altenpflege kam auch nicht infrage, alte Leute dachten immer, sie wären besser und klüger als die jungen Menschen.
Während Marylin jedes Mal gerne in den Ferien bei ihren Großeltern war, hasste Gina diese Aufenthalte. Marylin wurde von Oma und Opa geliebt und verwöhnt, denn sie zeigte Oma und Opa ihre Liebe ungehemmt und von ganzem Herzen, aber Gina fühlte sich immer unwohl, wenn sie dort war. Sie hatte einmal ein Gespräch von ihrer Oma und ihrer Mutter belauscht.
„Marylin ist so ein liebes und herzliches Mädchen“, hatte Oma gesagt. „Bei Gina weiß ich nie, woran ich bin. Ich würde fast sagen, sie ist böse.“
Roswitha hatte darauf wütend geantwortet: „Wie kannst du so etwas sagen, Mutter! Gina ist ein Kind und nicht böse. Sie ist halt nur stiller als ihre Schwester.“
In diesem Moment hatte Gina ihre Mutter geliebt. Sie war gegen die gemeine Oma für sie eingetreten. Gina wusste, dass sie ihren Vater um den Finger wickeln konnte, aber bei ihrer Mutter hatte sie immer das Gegenteil vermutet. Als Papas Lieblingskind reichte es, artig zu sein, nichts kaputt zu machen und zu lächeln, an der Liebe ihrer Mutter hatte sie immer gezweifelt.
„Wie wäre es denn mit Architektur?“, riss Claire sie aus den Gedanken.
Gina rollte mit den Augen.
„Auf einer Baustelle im Matsch rumlaufen? Nein, ganz sicher nicht!“
Claire ließ sich nicht von ihrer Idee abbringen.
„Es gibt doch auch Innenarchitektur. Da kannst du Zimmer gestalten oder Möbel entwerfen. Zeichnen kannst du doch auch gut!“
Gina war nicht restlos überzeugt, aber sie gingen gemeinsam zum „Tag der offenen Tür“ an der Hochschule in Mainz. Es gefiel den beiden ganz gut.
„Und wenn ich hier in Mainz an die Schauspielschule gehen kann, dann studieren wir keine fünf Kilometer voneinander entfernt“, versuchte Claire, es Gina noch schmackhafter zu machen.
Auf dem Heimweg brütete Gina noch vor sich hin, aber bei Claire im Garten platzte sie plötzlich heraus: „So machen wir das: Ich werde Innenarchitektin und dann richte ich das Haus der berühmten Schauspielerin Claire von Doranisky ein.“
Die beiden umarmten sich glücklich. Nach dem Abitur schlugen die Freundinnen genau jenen wohldurchdachten Weg ein.
6
Marylin machte ihren Abschluss und begann, in der Apotheke einer Tante in Geisenheim zu arbeiten. Sie wohnte weiterhin unter der Woche daheim und am Wochenende bei Lukas auf dem Weingut. Von ihrem ersten Geld hatte sie sich ein kleines Auto gekauft, ihr Vater hatte zuvor den Führerschein für die beiden Schwestern bezahlt.
Lukas hatte begonnen, intensiv Französisch zu lernen. Marylin hatte Spaß dabei, ihm zuzuhören und ihn abzufragen, wenn er Vokabeln lernte. Sie verlebten Weihnachten und Silvester auf dem Weingut. Am ersten Sonntag im Neuen Jahr saß er mit ihr in der kleinen Ferienwohnung, die ein Zuhause für die beiden geworden war, beim Kaffee.
„Ich muss dir etwas sagen“, begann Lukas vorsichtig.
Marylin hatte ein ungutes Gefühl im Bauch. Was kam jetzt? Sie sah Lukas an, der nun zu Boden schaute, während er sprach.
„Ich werde nach meiner Ausbildung ein längeres Praktikum machen.“
Marylin atmete auf und sah ihn freudestrahlend an.
„Das ist doch toll, ich freue mich für dich. Hier im Rheingau gibt es da doch viele Möglichkeiten, oder? Dann kommst du ab und an zu mir in die Apotheke und …“
„Das Praktikum ist in Bordeaux“, unterbrach Lukas sie und senkte seinen Kopf.
Marylin schluckte. In dem Moment war ihr eines ganz klar: Er würde nach Bordeaux gehen und sie verlassen.
„Wann?“
„Ich bin im Herbst weg.“
Marylin schwieg. Sie wusste, dass ihm seine Ausbildung wichtig war, er war mit Herzblut Winzer und würde sich nicht damit zufriedengeben, nur das Nötigste zu lernen, er wollte alles: Mit der bestmöglichen Ausbildung in den Familienbetrieb einzusteigen, war seine Chance, den großen Namen zu ehren.
Lukas hatte nun auch geschwiegen, denn er wollte Marylin nicht verletzen. Aber so, wie es aussah, würden sich ihre Wege trennen. Er wollte sich ganz auf die Arbeit konzentrieren und zog die Möglichkeit, sie mitzunehmen, nicht in Betracht.
Seine Mutter hatte gesagt: „Genieße die erste Liebe, aber manchmal trennen sich die Wege. So ist das Leben.“
Er hatte mit sich gekämpft und am Ende hatte er Constanze Recht gegeben. Erst einmal etwas werden und dann eine Familie gründen.
„Süße, wollen wir bis dahin noch ein bisschen Spaß haben oder möchtest du, dass wir uns trennen?“
Marylin schaute ihn entsetzt an.
„Spinnst du? Ich bin doch keine Frau für deinen Spaß. Es ist aus, leb wohl.“
Sie stand auf, packte ihre Sachen und fuhr heim.
Lukas ließ sie gehen. Er wusste, dass sie Zeit brauchte zum Nachdenken, dann würde sie wieder zu ihm kommen.
Aber Marylin kam nicht.
7
Gina war allein daheim und wollte sich gerade einen Tee kochen, als es an der Tür klingelte. Vor ihr stand