Faust I + II: Gesamtausgabe. Johann Wolfgang von Goethe
immer vorwärts dringt, Und dessen übereiltes Streben Der Erde Freuden überspringt. Den schlepp ich durch das wilde Leben, Durch flache Unbedeutenheit, Er soll mir zappeln, starren, kleben, Und seiner Unersättlichkeit Soll Speis und Trank vor gier’gen Lippen schweben; Er wird Erquickung sich umsonst erflehn, Und hätt er sich auch nicht dem Teufel übergeben, Er müßte doch zugrunde gehn! (Ein SCHÜLER tritt auf.)
SCHÜLER. Ich bin allhier erst kurze Zeit, Und komme voll Ergebenheit, Einen Mann zu sprechen und zu kennen, Den alle mir mit Ehrfucht nennen.
MEPHISTOPHELES. Eure Höflichkeit erfreut mich sehr! Ihr seht einen Mann wie andre mehr. Habt Ihr Euch sonst schon umgetan?
SCHÜLER. Ich bitt Euch, nehmt Euch meiner an! Ich komme mit allem guten Mut, Leidlichem Geld und frischem Blut; Meine Mutter wollte mich kaum entfernen; Möchte gern was Rechts hieraußen lernen.
MEPHISTOPHELES. Da seid Ihr eben recht am Ort.
SCHÜLER. Aufrichtig, möchte schon wieder fort. In diesen Mauern, diesen Hallen Will es mir keineswegs gefallen. Es ist ein gar beschränkter Raum, Man sieht nichts Grünes, keinen Baum, Und in den Sälen, auf den Bänken, Vergeht mir Hören, Sehn und Denken.
MEPHISTOPHELES. Das kommt nur auf Gewohnheit an. So nimmt ein Kind der Mutter Brust Nicht gleich im Anfang willig an, Doch bald ernährt es sich mit Lust. So wird’s Euch an der Weisheit Brüsten Mit jedem Tage mehr gelüsten.
SCHÜLER. An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen; Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
MEPHISTOPHELES. Erklärt Euch, eh Ihr weiter geht, Was wählt Ihr für eine Fakultät?
SCHÜLER. Ich wünschte recht gelehrt zu werden, Und möchte gern, was auf der Erden Und in dem Himmel ist, erfassen, Die Wissenschaft und die Natur.
MEPHISTOPHELES. Da seid Ihr auf der rechten Spur; Doch müßt Ihr Euch nicht zerstreuen lassen.
SCHÜLER. Ich bin dabei mit Seel und Leib; Doch freilich würde mir behagen Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib An schönen Sommerfeiertagen.
MEPHISTOPHELES. Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen, Doch Ordnung lehrt Euch Zeit gewinnen. Mein teurer Freund, ich rat Euch drum Zuerst Collegium Logicum. Da wird der Geist Euch wohl dressiert, In spanische Stiefeln eingeschnürt, Daß er bedächtiger so fortan Hinschleiche die Gedankenbahn, Und nicht etwa, die Kreuz und Quer, Irrlichteliere hin und her. Dann lehret man Euch manchen Tag, Daß, was Ihr sonst auf einen Schlag Getrieben, wie Essen und Trinken frei, Eins! Zwei! Drei! dazu nötig sei. Zwar ist’s mit der Gedankenfabrik Wie mit einem Weber-Meisterstück, Wo ein Tritt tausend Fäden regt, Die Schifflein herüber hinüber schießen, Die Fäden ungesehen fließen, Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt. Der Philosoph, der tritt herein Und beweist Euch, es müßt so sein. Das Erst wär so, das Zweite so, Und drum das Dritt und Vierte so; Und wenn das Erst und Zweit nicht wär, Das Dritt und Viert wär nimmermehr. Das preisen die Schüler allerorten, Sind aber keine Weber geworden. Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben, Sucht erst den Geist heraus zu treiben, Dann hat er die Teile in seiner Hand, Fehlt, leider! nur das geistige Band. Encheiresin naturae nennt’s die Chemie, Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
SCHÜLER. Kann Euch nicht eben ganz verstehen.
MEPHISTOPHELES. Das wird nächstens schon besser gehen, Wenn Ihr lernt alles reduzieren Und gehörig klassifizieren.
SCHÜLER. Mir wird von alledem so dumm, Als ging, mir ein Mühlrad im Kopf herum.
MEPHISTOPHELES. Nachher, vor allen andern Sachen, Müßt Ihr Euch an die Metaphysik machen! Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt, Was in des Menschen Hirn nicht paßt; Für was drein geht und nicht drein geht, Ein prächtig Wort zu Diensten steht. Doch vorerst dieses halbe Jahr Nehmt ja der besten Ordnung wahr. Fünf Stunden habt Ihr jeden Tag; Seid drinnen mit dem Glockenschlag! Habt Euch vorher wohl präpariert, Paragraphos wohl einstudiert, Damit Ihr nachher besser seht, Daß er nichts sagt, als was im Buche steht; Doch Euch des Schreibens ja befleißt, Als diktiert, Euch der Heilig Geist!
SCHÜLER. Das sollt Ihr mir nicht zweimal sagen! Ich denke mir, wie viel es nützt; Denn, was man schwarz auf weiß besitzt, Kann man getrost nach Hause tragen.
MEPHISTOPHELES. Doch wählt mir eine Fakultät!
SCHÜLER. Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.
MEPHISTOPHELES. Ich kann es Euch so sehr nicht übel nehmen, Ich weiß, wie es um diese Lehre steht. Es erben sich Gesetz’ und Rechte Wie eine ew’ge Krankheit fort; Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte, Und rücken sacht von Ort zu Ort. Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage; Weh dir, daß du ein Enkel bist! Vom Rechte, das mit uns geboren ist, Von dem ist, leider! nie die Frage.
SCHÜLER. Mein Abscheu wird durch Euch vermehrt. O glücklich der, den Ihr belehrt! Fast möcht ich nun Theologie studieren.
MEPHISTOPHELES. Ich wünschte nicht, Euch irre zu führen. Was diese Wissenschaft betrifft, Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden, Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift, Und von der Arzenei ist’s kaum zu unterscheiden. Am besten ist’s auch hier, wenn Ihr nur einen hört, Und auf des Meisters Worte schwört. Im ganzen—haltet Euch an Worte! Dann geht Ihr durch die sichre Pforte Zum Tempel der Gewißheit ein.
SCHÜLER. Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.
MEPHISTOPHELES. Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen Denn eben wo Begriffe fehlen, Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Mit Worten läßt sich trefflich streiten, Mit Worten ein System bereiten, An Worte läßt sich trefflich glauben, Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
SCHÜLER. Verzeiht, ich halt’ Euch auf mit vielen Fragen, Allein ich muß Euch noch bemühn. Wollt Ihr mir von der Medizin Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen? Drei Jahr ist eine kurze Zeit, Und, Gott! das Feld ist gar zu weit. Wenn man einen Fingerzeig nur hat, Läßt sich’s schon eher weiter fühlen.
MEPHISTOPHELES (für sich). Ich bin des trocknen Tons nun satt, Muß wieder recht den Teufel spielen. (Laut.) Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen; Ihr durchstudiert die groß, und kleine Welt, Um es am Ende gehn zu lassen, Wie’s Gott gefällt. Vergebens, daß Ihr ringsum wissenschaftlich schweift, Ein jeder lernt nur, was er lernen kann; Doch der den Augenblick ergreift, Das ist der rechte Mann. Ihr seid noch ziemlich wohl gebaut, An Kühnheit wird’s Euch auch nicht fehlen, Und wenn Ihr Euch nur selbst vertraut, Vertrauen Euch die andern Seelen. Besonders lernt die Weiber führen; Es ist ihr ewig Weh und Ach So tausendfach Aus einem Punkte zu kurieren, Und wenn Ihr halbweg ehrbar tut, Dann habt Ihr sie all unterm Hut. Ein Titel muß sie erst vertraulich machen, Daß Eure Kunst viel Künste übersteigt; Zum Willkomm tappt Ihr dann nach allen Siebensachen, Um die ein andrer viele Jahre streicht, Versteht das Pülslein wohl zu drücken, Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken, Wohl um die schlanke Hüfte frei, Zu sehn, wie fest geschnürt sie sei.
SCHÜLER. Das sieht schon besser aus! Man sieht doch, wo und wie.
MEPHISTOPHELES. Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, Und grün des Lebens goldner Baum.
SCHÜLER. Ich schwör Euch zu, mir ist’s als wie ein Traum. Dürft ich Euch wohl ein andermal beschweren, Von Eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
MEPHISTOPHELES. Was ich vermag, soll gern geschehn.
SCHÜLER. Ich kann unmöglich wieder gehn, Ich muß Euch noch mein Stammbuch überreichen, Gönn Eure Gunst mir dieses Zeichen!
MEPHISTOPHELES. Sehr wohl. (Er schreibt und gibt’s.)
SCHÜLER (liest). Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum. (Macht’s ehrerbietig zu und empfiehlt sich.)
MEPHISTOPHELES. Folg nur dem alten Spruch und meiner Muhme, der Schlange, Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange! (Faust tritt auf.)
FAUST. Wohin soll es nun gehn?
MEPHISTOPHELES. Wohin es dir gefällt. Wir sehn die kleine, dann die große Welt. Mit welcher Freude, welchem Nutzen Wirst du den Cursum durchschmarutzen!
FAUST.