Faust I + II: Gesamtausgabe. Johann Wolfgang von Goethe
(Er wirft sich auf den ledernen Sessel am Bette.)
O nimm mich auf, der du die Vorwelt schon Bei Freud und Schmerz im offnen Arm empfangen! Wie oft, ach! hat an diesem Väterthron Schon eine Schar von Kindern rings gehangen! Vielleicht hat, dankbar für den heil’gen Christ Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen, Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt. Ich fühl o Mädchen, deinen Geist Der Füll und Ordnung um mich säuseln, Der mütterlich dich täglich unterweist Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt, Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln. O liebe Hand! so göttergleich! Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich. Und hier! (Er hebt einen Bettvorhang auf.)
Was faßt mich für ein Wonnegraus! Hier möcht ich volle Stunden säumen. Natur, hier bildetest in leichten Träumen Den eingebornen Engel aus! Hier lag das Kind! mit warmem Leben Den zarten Busen angefüllt, Und hier mit heilig reinem Weben Entwirkte sich das Götterbild!
Und du! Was hat dich hergeführt? Wie innig fühl ich mich gerührt! Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer? Armsel’ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
Umgibt mich hier ein Zauberduft? Mich drang’s, so grade zu genießen, Und fühle mich in Liebestraum zerfließen! Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?
Und träte sie den Augenblick herein, Wie würdest du für deinen Frevel büßen! Der große Hans, ach wie so klein! Läg, hingeschmolzen, ihr zu Füßen.
MEPHISTOPHELES (kommt). Geschwind! ich seh sie unten kommen.
FAUST. Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!
MEPHISTOPHELES. Hier ist ein Kästchen leidlich schwer, Ich hab’s wo anders hergenommen. Stellt’s hier nur immer in den Schrein, Ich schwör Euch, ihr vergehn die Sinnen; Ich tat Euch Sächelchen hinein, Um eine andre zu gewinnen. Zwar Kind ist Kind, und Spiel ist Spiel.
FAUST. Ich weiß nicht, soll ich?
MEPHISTOPHELES. Fragt Ihr viel? Meint Ihr vielleicht den Schatz zu wahren? Dann rat ich Eurer Lüsternheit, Die liebe schöne Tageszeit Und mir die weitre Müh zu sparen. Ich hoff nicht, daß Ihr geizig seid! Ich kratz den Kopf, reib an den Händen— (Er stellt das Kästchen in den Schrein und drückt das Schloß wieder zu.) Nur fort! geschwind! Um Euch das süße junge Kind Nach Herzens Wunsch und Will zu wenden; Und Ihr seht drein Als solltet Ihr in den Hörsaal hinein, Als stünden grau leibhaftig vor Euch da Physik und Metaphysika! Nur fort! (Ab.)
MARGARETE (mit einer Lampe.) Es ist so schwül, so dumpfig hie (sie macht das Fenster auf) Und ist doch eben so warm nicht drauß. Es wird mir so, ich weiß nicht wie— Ich wollt, die Mutter käm nach Haus. Mir läuft ein Schauer übern ganzen Leib— Bin doch ein töricht furchtsam Weib! (sie fängt an zu singen, indem sie sich auszieht.)
Es war ein König in Thule Gar treu bis an das Grab, Dem sterbend seine Buhle Einen goldnen Becher gab.
Es ging ihm nichts darüber, Er leert ihn jeden Schmaus; Die Augen gingen ihm über, Sooft er trank daraus.
Und als er kam zu sterben, Zählt er seine Städt im Reich, Gönnt alles seinem Erben, Den Becher nicht zugleich.
Er saß beim Königsmahle, Die Ritter um ihn her, Auf hohem Vätersaale, Dort auf dem Schloß am Meer.
Dort stand der alte Zecher, Trank letzte Lebensglut Und warf den heiligen Becher Hinunter in die Flut.
Er sah ihn stürzen, trinken Und sinken tief ins Meer, Die Augen täten ihm sinken, Trank nie einen Tropfen mehr.
(Sie eröffnet den Schrein, ihre Kleider einzuräumen, und erblickt das Schmuckkästchen.)
Wie kommt das schöne Kästchen hier herein? Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein. Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne sein? Vielleicht bracht’s jemand als ein Pfand, Und meine Mutter lieh darauf. Da hängt ein Schlüsselchen am Band Ich denke wohl, ich mach es auf! Was ist das? Gott im Himmel! Schau, So was hab ich mein Tage nicht gesehn! Ein Schmuck! Mit dem könnt eine Edelfrau Am höchsten Feiertage gehn. Wie sollte mir die Kette stehn? Wem mag die Herrlichkeit gehören?
(Sie putzt sich damit auf und tritt vor den Spiegel.)
Wenn nur die Ohrring meine wären! Man sieht doch gleich ganz anders drein. Was hilft euch Schönheit, junges Blut? Das ist wohl alles schön und gut, Allein man läßt’s auch alles sein; Man lobt euch halb mit Erbarmen. Nach Golde drängt, Am Golde hängt Doch alles. Ach wir Armen!
Spaziergang
Faust in Gedanken auf und ab gehend. Zu ihm Mephistopheles.
MEPHISTOPHELES. Bei aller verschmähten Liebe! Beim höllischen Elemente! Ich wollt, ich wüßte was Ärgers, daß ich’s fluchen könnte!
FAUST. Was hast? was kneipt dich denn so sehr? So kein Gesicht sah ich in meinem Leben!
MEPHISTOPHELES. Ich möcht mich gleich dem Teufel übergeben, Wenn ich nur selbst kein Teufel wär!
FAUST. Hat sich dir was im Kopf verschoben? Dich kleidet’s wie ein Rasender zu toben!
MEPHISTOPHELES. Denkt nur, den Schmuck, für Gretchen angeschafft, Den hat ein Pfaff hinweggerafft! Die Mutter kriegt das Ding zu schauen Gleich fängt’s ihr heimlich an zu grauen, Die Frau hat gar einen feinen Geruch, Schnuffelt immer im Gebetbuch Und riecht’s einem jeden Möbel an, Ob das Ding heilig ist oder profan; Und an dem Schmuck da spürt sie’s klar, Daß dabei nicht viel Segen war. “Mein Kind”, rief sie, “ungerechtes Gut Befängt die Seele, zehrt auf das Blut. Wollen’s der Mutter Gottes weihen, Wird uns mit Himmelsmanna erfreuen!” Margretlein zog ein schiefes Maul, Ist halt, dacht sie, ein geschenkter Gaul, Und wahrlich! gottlos ist nicht der, Der ihn so fein gebracht hierher. Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen; Der hatte kaum den Spaß vernommen, Ließ sich den Anblick wohl behagen. Er sprach: “So ist man recht gesinnt! Wer überwindet, der gewinnt. Die Kirche hat einen guten Magen, Hat ganze Länder aufgefressen Und doch noch nie sich übergessen; Die Kirch allein, meine lieben Frauen, Kann ungerechtes Gut verdauen.”
FAUST. Das ist ein allgemeiner Brauch, Ein Jud und König kann es auch.
MEPHISTOPHELES. Strich drauf ein Spange, Kett und Ring’, Als wären’s eben Pfifferling’, Dankt’ nicht weniger und nicht mehr, Als ob’s ein Korb voll Nüsse wär, Versprach ihnen allen himmlischen Lohn— Und sie waren sehr erbaut davon.
FAUST. Und Gretchen?
MEPHISTOPHELES. Sitzt nun unruhvoll, Weiß weder, was sie will noch soll, Denkt ans Geschmeide Tag und Nacht, Noch mehr an den, der’s ihr gebracht.
FAUST. Des Liebchens Kummer tut mir leid. Schaff du ihr gleich ein neu Geschmeid! Am ersten war ja so nicht viel.
MEPHISTOPHELES. O ja, dem Herrn ist alles Kinderspiel!
FAUST. Und mach, und richt’s nach meinem Sinn, Häng dich an ihre Nachbarin! Sei, Teufel, doch nur nicht wie Brei, Und schaff einen neuen Schmuck herbei!
MEPHISTOPHELES. Ja, gnäd’ger Herr, von Herzen gerne. (Faust ab.)
So ein verliebter Tor verpufft Euch Sonne, Mond und alle Sterne Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft. (Ab.)
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