Mord im Cockpit. Wolf Heichele
befanden sich eine Messerschmitt 109, sowie eine originale englische Spitfire in der Halle. Bei beiden Maschinen handelte es sich um berühmte Jagdflugzeuge aus dem II. Weltkrieg, mit denen der Flughafenboss eine Menge Geld verdienen würde. Die Messerschmitt 109 hatte Augusto, der Mechaniker, nach dreimonatiger Arbeit am heutigen Tage fertiggestellt.
Enzo musterte die Maschine mit großer Neugier.
»Du hast sie tatsächlich hinbekommen, Augusto?«
»Natürlich. Ich mache diesen Job seit fünfzig Jahren, mein Junge«, betonte der Mechaniker, »und mir ist bisher noch keine Maschine abgestürzt.«
»Weiß ich doch, Augusto.« Enzo winkte entschuldigend ab, warf aber gleichzeitig einen prüfenden Blick auf die Werkbank. Dort türmten sich, wie üblich, eine Menge Ramazottiflaschen. Augusto Manello war seit vielen Jahren dem Trinken verfallen und jeder auf dem Flughafen wusste davon. Allerdings wusste auch jeder, was für ein hervorragender Flugzeugmechaniker er war. Und noch nie war ein Pilot wegen ihm in Gefahr geraten, deshalb tolerierte man seine Trinksucht. Enzo fiel allerdings auf, dass sich Augustos Trinkverhalten in den letzten Monaten verschlimmert hatte. Hatte er früher eine Flasche während der Arbeit geleert, so waren es mittlerweile zwei – ja, manchmal drei. Vor einigen Wochen hatte Enzo ihn deshalb zum ersten Mal direkt darauf angesprochen, doch Augusto hatte sehr gereizt reagiert, sodass Enzo die Sache nicht weiterverfolgte.
Jetzt aber wurde er durch den Anblick der vielen Flaschen nochmals nachdrücklich daran erinnert, dass sein Flugzeugmechaniker ein extremer Alkoholiker war. Und dies ausgerechnet an dem Tag, an dem er eine alte Maschine fliegen musste, die Augusto gewartet hatte.
Hätte er seine leeren Flaschen nicht wenigstens wegräumen können?, ärgerte sich Enzo. Ein Pilot muss sich auf seine Mechaniker verlassen können, verdammt! Drei Flaschen Schnaps pro Tag? Ist das noch tolerabel? Der Pilot versuchte, seine negativen Gedanken wieder zu verwerfen und hämmerte sich ein, dass auf Augusto dennoch Verlass wäre – Alkoholsucht hin oder her.
Vermutlich könnte er ohne Alkohol gar nicht arbeiten, beruhigte sich Enzo.
Augusto riss ihn aus seinen Gedanken.
»Die Messerschmitt ist bereit für dich, Junge! Aber bist du auch bereit für sie?«
»Wie? Ach so, ja. Natürlich bin ich das!«
»Bene!«
Augusto strich gefühlvoll mit der Hand über die Heckpartie der 109er, jenem wohl berühmtesten propellergetriebenen Jagdflugzeug, das je gebaut wurde.
»Ihre Mercedes-Benz-Motoren sind achtzig Jahre alt, Enzo, aber sie klingen noch immer wie neu. Als ob sie nie gelaufen wären. Und auch der Rest ist in einem Topp-Zustand. Die Technik, die Mechanik, die Armaturen, alles. Ich habe sie drei Monate lang auf Herz und Nieren geprüft.«
Enzos Bedenken verflogen zunehmend. Dieser Mann wusste genau, wovon er sprach. Niemand liebte Flugzeuge mehr als Augusto. Niemand verstand sie besser. Er war eins mit ihnen, sie waren quasi seine Seelenverwandten, zum Leben erwecktes Stahl. Und selbst in betrunkenem Zustand würde er bessere Arbeit leisten als jeder andere Mechaniker in ganz Norditalien. Enzo beschloss, sich von nun an nicht mehr um Augustos Trinkerei zu kümmern und sich der Maschine voll anzuvertrauen.
»Jetzt bist du an der Reihe«, rief Augusto ihm euphorisch zu, »bring sie heil nach Montenegro. Sie ist ein PS-Monster und nicht ganz leicht zu fliegen. Sie giert gewaltig nach rechts beim Start. Du musst ordentlich gegenhalten.«
»Du kennst mich, Augusto. Es gibt keinen besseren Flieger als mich – genau wie es keinen besseren Mechaniker als dich gibt.«
Die beiden Männer sahen sich für einen kurzen, höchst intensiven Moment fest in die Augen. Ein Moment, der erfüllt von gegenseitigem Respekt war, sodass alles, was zwischen ihnen stand, im Nu ausgeräumt war. Ein Moment, wie es ihn nur zwischen außergewöhnlichen Menschen geben kann.
Jetzt strich Enzo der Messerschmitt ebenfalls liebevoll über den Rumpf.
»Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst! Findest du nicht auch, Nora?«
Er wandte sich seiner Frau zu.
»Ja, mein kleiner Prinz«, antwortete die zierliche Nora und gab ihm einen zarten Kuss auf die Wange.
»Sie ist wundervoll, Enzo. Schade nur, dass derartige Maschinen immer eine so dunkle Kriegsvergangenheit haben.«
Augusto intervenierte sofort.
»Papperlapapp! Das gilt ja wohl für fast jede Errungenschaft der Menschheit, denkst du nicht, Nora?«
Der Mechaniker mochte Nora’s Kritik nicht gelten lassen. Sein Weltbild war ein anderes, ein einfaches, geprägt vom Großvater, der ein glühender Verehrer des Duce gewesen war, sowie von seinem Vater, der nicht weniger fanatisch und als überzeugter Faschist durchs Leben gegangen war. Und Augusto selbst war zeit seines Lebens viel zu sehr mit Flugzeugen beschäftigt gewesen, als dass er Zeit gefunden hätte, die italienische Vergangenheit selbstkritisch aufzuarbeiten. Und wenn er doch einmal eine freie Minute gehabt hatte, so hatten seine geliebten Kräuterliköre tiefergehende Gedanken stets ertränkt.
Und so fügte er voller Überzeugung und mit Inbrunst hinzu: »Die größten Dinge wurden in Kriegszeiten entwickelt, Nora. Man darf nicht zimperlich sein. Denk nur an all die Schiffe, die Autos, die Panzer, die im Krieg entwickelt wurden. Not macht erfinderisch. Andernfalls würden wir heute noch zu Fuß gehen. Würdest du das wollen? Eine schöne junge Frau wie du? Sich im Morast die teuren Schuhe kaputt latschen, weil niemand je ein Auto erfunden hat?«
Wurden Autos denn wirklich im Krieg erfunden?, fragte sich Nora insgeheim, winkte dann aber genervt ab. Sie verspürte keine Lust, diese Art von Diskussion zu vertiefen. Augusto war eben Augusto! Zudem war er ihr mit jedem Wort ein Stückchen nähergerückt und seine Alkoholfahne roch schon am frühen Vormittag äußerst unangenehm.
Augusto warf einen Blick auf die riesige, weiße Bahnhofsuhr, die hoch oben – zwischen zwei Schwalbennestern – ihren Dienst tat. Der rote Sekundenzeiger arbeitete sich emsig voran.
»Du musst dich umziehen gehen, Enzo. Es ist gleich zehn! Und vergiss den Fallschirm nicht!«
»Natürlich nicht.«
Zwanzig Minuten später stand Nora mutterseelenallein am Rand der Startbahn, den Kragen wegen des auffrischenden Windes hochgestellt und den Blick auf die Messerschmitt 109 geheftet, die bereits laut dröhnte. In wenigen Augenblicken würde Enzo die Parkbremse lösen, das Flugzeug würde sich schütteln wie ein Biest und zweitausend PS würden die Kraft von einhundert Elefanten entwickeln und die Maschine wie einen ausgehungerten Raptoren über die Startbahn rasen lassen.
Enzo gab vollen Schub, die Messerschmitt setzte sich zitternd in Bewegung und schon bald hob das Heckrad vom Boden ab, während die Vorderreifen noch Bodenkontakt hielten. Dann – auf halber Höhe der Startbahn – zog Enzo sie ruckartig nach oben und stieg mit ihr empor wie Phoenix aus der Asche. Ein beispielloses Spektakel! Vollkommen surreal! Und doch fand es statt. Direkt vor Nora’s Augen.
Genau dafür war dieses Luder von einem Flugzeug gebaut worden. Es sollte katapultartig steigen können, um Feinden überlegen zu sein. Nora hörte das Brüllen des Motors. Es klang diabolisch, ungezähmt, wie ein Schrei Wotans. Ja, mit solch metaphorischen Worten hatte der Flughafenboss Aristo Venti die Maschine vor einigen Tagen beschrieben, als Nora mit Enzo den Hangar besucht hatte. Ein Schrei Wotans! Treffende Worte, wie Nora angesichts dieser Vorstellung fand.
Enzo flog eine scharfe Rechtskurve und setzte zu einer Platzrunde an. Diese flog er immer, wenn Nora ihm zusah. Allerdings kam das selten vor, denn Nora mochte Flugzeuge eigentlich nicht besonders gern. Sie hatte sogar große Angst vor dem Fliegen und hatte noch nie mit Enzo in einer Maschine gesessen. Enzo liebte seine Frau dennoch über alles, auch wenn sie seine Leidenschaft nicht mit ihm teilen konnte.
»Flieg wohl, mein kleiner Prinz«, flüsterte Nora und presste ihre Lippen nervös aufeinander, als Enzo an ihr vorbeiflog und dann wieder steil nach oben zog.
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