Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation – bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch

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       Nicht nur infolge der Erziehung, sondern auch von Natur war er durchaus unkriegerisch und hatte keinen Funken politischer Leidenschaft.

      In diesem Punkt war Ludwig ihm weit überlegen. Er besaß, was den Eroberer macht: einen festen auf ein festes Ziel gerichteten Willen. Dies Ziel war durch die großen Minister, die ihm vorausgegangen waren und ihm vorgearbeitet hatten, vorgeschrieben: die Rheingrenze und folglich die Einverleibung derjenigen Gebiete, die Frankreich vom Rhein trennten. Darüber hinaus gab es einen fernen Gipfel, den schimmerndes Gewölk verhüllte: die Kaiserkrone, die noch immer das edelste Diadem der Christenheit war, und dann, was vielleicht jedes Eroberers heimlicher Endwunsch ist, die Weltherrschaft, wenn man den erreichbaren Erdkreis Welt nennen will. Diese Herrschaft konnte nicht unmittelbare Aneignung sein, wohl aber wirksamer Einfluss, schiedsrichterliche Stellung. Ludwig als Kaiser würde der wahre Dominus mundi sein, dem selbst der Papst Untertan wäre. Gab es irgendeine Macht, die ihm erfolgreichen Widerstand hätte leisten können? Über England regierte der Stuart Karl II., den seine Absicht, England wieder zu katholisieren und ein absolutistisches Regiment aufzurichten, zum Gefolgsmann Frankreichs machte, und der ohnehin durch seinen Charakter wie durch das gegensätzliche Verhältnis zu seinem Volk ein gering zu schätzender Feind gewesen wäre. Holland hatte soeben einen großen Seekrieg mit England ruhmreich beendet, durch welchen England Hollands Übergewicht zur See zu brechen versucht hatte.

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      König Stuart Karl II. England (1630 – 1685)

      Wie natürlich war der Anschluss an Frankreich für einen Staat, der sein Entstehen einem 80jährigen Kampf gegen Spanien verdankte!

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      Johan de Witt (auch Jan de Wit; * 24. September 1625 in Dordrecht; † 20. August 1672 in Den Haag) war als Ratspensionär von Holland für nahezu 20 Jahre der dominierende niederländische Staatsmann, und damit einer der ersten Nicht-Monarchen an der Spitze einer europäischen Großmacht.

       Jan de Witt, der Ratspensionär von Holland, ein kultivierter, bedeutender Mann, glaubte im herkömmlichen Anschluss an Frankreich den Frieden am besten erhalten zu können, und Frieden erschien der ersten europäischen Handelsmacht als wichtigstes Erfordernis. Den Frieden und die durch den Kongress von Osnabrück und Münster notdürftig geordneten Verhältnisse zu erhalten, war der allgemeine Wunsch im Reich, das Ludwig auch ohnehin durch den Rheinbund beherrschte. Die meisten Reichsfürsten waren außerdem noch durch Subsidien an Frankreich gefesselt. Es blieb Österreich als etwa zu fürchtender Gegner; aber gegen Österreich konnte Ludwig die Ungarn und die Türken hetzen. Regent, Diplomaten, Feldherren, Finanzen waren überhaupt derart in Österreich, dass der König von Frankreich ohne Mühe mit ihnen fertig werden zu können glaubte.

       Seit Leopold die Regierung angetreten hatte, war er außerordentlich fleißig; aber wenn er stundenlang Berichte gelesen und Briefe geschrieben und die disgusti, die die Politik mit sich bringt, ausgehalten hatte, glaubte er eine recreazion verdient zu haben und ergab sich mit frohem Herzen dem, was das Eigentliche war. Das Eigentliche waren Musik und Liebe. In seine jeweilige Frau war er sehr verliebt, besonders wenn sie seine Cousine war. Seine erste Frau, eine spanische Prinzessin, war so vielfach mit ihm verwandt, dass sie fast wie eine Schwester war, und doch eine Fremde, etwas unwiderstehlich Anziehendes. In der Musik war er selbst ausübend, und Musik zu hören konnte er nicht entbehren. Wenn eine Oper aufgeführt wurde, stahl er sich selbst dann hin, wenn die Hoftrauer um irgendein Glied seiner Familie es ihm eigentlich verbot. Auch den Balletten, den Turnieren, den Jagden und sonstigen Festlichkeiten widmete er sich mit Hingebung. Neben einem steifen und pompösen Zeremoniell, das streng nach den Gebräuchen der Vorfahren eingerichtet war und unerschütterlich gehandhabt wurde, ging es am Hof wienerisch gemütlich zu. Viele fanden es anstößig, dass Leopold in Frankfurt während der Kaiserwahl sich mit Kegelschieben unterhalten und dabei vertraulich mit seinen Begleitern verkehrt hatte. Er konnte das tun, weil er wusste, dass sie nie die Grenze überschreiten würden, die zwischen dem Herrn und seinen Dienern gezogen war. Vielleicht war es eine Art Hochmut, dass er sich so unbekümmert in seiner Menschlichkeit gehen ließ; aber jedenfalls war es ein Hochmut, der ihm die Menschen näherbrachte, anstatt sie von ihm zu entfernen. Die Dietrichstein, Portia, Lobkowitz, Liechtenstein, Piccolomini, Esterhazy, Österreicher, Reichsdeutsche, Italiener, Böhmen, Ungarn, die die Hufe ihrer Pferde mit Silber beschlagen lassen konnten, die viele Güter besaßen und reicher waren als der Kaiser, hielten sich in Wien auf, weil sie nur am Hof ihres Lebens froh werden konnten. Zu den Beschäftigungen, die dem Kaiser am Herzen lagen, gehörte auch das Besuchen von Kirchen und Klöstern, die Wallfahrten, die gottesdienstlichen Verrichtungen. Er war sehr kirchlich und aus Überlieferung und Gewohnheit fromm. Gott war für ihn ein besonders vornehmes Glied der Familie, eine Art sagenhafter Ur-Habsburger, der wohl einmal, temperamentvoll, wie er war, die Zuchtrute über ihm schwingen konnte, der aber doch schließlich ein Einsehen haben und die Seinigen gut hinausführen würde.

      Dem leidenschaftlichen Erobererwillen Ludwig XIV. hatte er diese Frömmigkeit und sein Pflichtgefühl entgegenzusetzen, und etwas, was freilich auch Magie war: das habsburgische Cäsarenbewusstsein, das sich mit seiner kindlich-spielerischen Natur wunderlich vereinte. Dadurch, dass er nichts tat, ermöglichte er es zuweilen der Zeit und dem Zufall, etwas für ihn zu tun. Etwas österreichischer Skeptizismus und Fatalismus war auch dabei; er sah um sich herum so viele Leute, auch seine eigenen Kinder, sterben, sah so viele Glückswechsel, Erwartungen und Enttäuschungen: basta, pazienza, man musste es geschehen lassen, man konnte nichts tun, als hoffen, dass es besser komme.

       So war es aber doch nicht, dass sich Leopold des Gegensatzes zu Frankreich, der ein Erbteil seiner Familie war, nicht bewusst gewesen wäre. Frankreich gegenüber fühlte er sich deutsch und erhob sich auch wohl zu dem Gefühl der Verantwortung, die er als Kaiser für das Reich übernommen hatte. Seine Briefe waren, wie gewiss auch seine Rede, gespickt mit lateinischen, italienischen, spanischen Brocken, denn diese Sprachen beherrschte er und hatte viel Gelegenheit, sie zu brauchen; aber nie kommt ein französischer Ausdruck vor. Es musste ihn erbittern, dass Ludwig ihm in Spanien den Rang ablief und die Hand der ältesten Tochter des spanischen Königs errang, die er schon als die seinige betrachtet hatte. Durch unablässiges Werben und Drängen setzte er die Vermählung mit der zweiten, Margarethe Theresia, durch, einem zarten, gebrechlichen Wesen, das nach mehreren Geburten geduldig starb. Einstweilen jedoch bestanden zwischen Versailles und Wien gute Beziehungen, Leopolds vertrautester Rat, Lobkowitz, war sogar ein Bewunderer des französischen Königs.

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      Wenzel Eusebius Fürst Lobkowitz (1609–1677)

      Vergleicht man die Persönlichkeit der beiden Regenten, so musste, wenn es sich um kriegerische Entscheidungen handelte, Leopold hinter Ludwig zurückstehen; noch weit mehr aber war das der Fall, wenn man den Unterschied in der Verfassung der Länder bedenkt. Ludwig verfügte über alle finanziellen und militärischen Kräfte Frankreichs; wenn auch Leopold keinen Widerstand der Stände mehr zu befürchten hatte, so war doch Österreich bei weitem nicht so zentralisiert wie Frankreich, und auf den österreichischen Adel musste viel mehr Rücksicht genommen werden. Als Kaiser bedeutete Leopold militärisch überhaupt nichts. Ob das Reich, das unter einem Führer eine fast unwiderstehliche Macht ins Feld hätte schicken können, sich ihm anschließen wollte, hing vom Belieben der einzelnen Reichsstände ab, von denen ein großer Teil an Frankreich verkauft war. Ohne Verbindung mit einer auswärtigen Macht konnte Leopold kaum einen Krieg mit Frankreich wagen.

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      Ludwigs erster Raubkrieg

       Ludwigs erster Raubkrieg

       Wie rasch ein großes und mächtiges Reich zur Bedeutungslosigkeit herabsinken kann, davon ist das Spanien des 17. Jahrhunderts ein Beispiel. Nach dem 80jährigen Krieg mit Holland und dem 24jährigen mit Frankreich, den der Pyrenäische Friede im Jahr 1659 abschloss, konnte die einst so stolze, gefürchtete Macht nicht mehr handelnd und richtunggebend in die Welthändel eingreifen.


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