Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation – bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch
Kanzleien zu bedienen pflegten, die aber nur Schein wären, nichts Wesentliches bedeuteten. Wie konnte denn, fragt er, das Reich, das eine Aristokratie sei, den Schein der Monarchie annehmen? Daran sei die Einführung des Römischen Rechtes schuld. Die Juristen, die aus der unreinen Pfütze, der Mistjauche des Römischen Rechtes geschöpft hätten, wendeten den Unrat auf das Römische Reich deutscher Nation an, um es zur Monarchie zu erheben. Mit Recht lehnte Chemnitz die absolute Monarchie für das Reich ab; aber dass es ebenso wenig eine Aristokratie im aristotelischen Sinn war, diese Einsicht hatte er wohl, er schob sie aber beiseite.
Nach der theoretischen Feststellung konnte er zur Anklage übergehen. Die Habsburger, meinte er, seien diejenige Dynastie, die von Anfang an danach gestrebt hätte, das Amt, das sie im Auftrag der Stände führte, in eine erbliche Macht zu verwandeln, die Schlangenbrut, die zu einer Zeit, als andere Dynasten schon herrschten und mächtig waren, als geringes Geschlecht aus dem Dunkel des Schwarzwaldes hervorgebrochen sei. Sie habe sich dabei der List sowie der Gewalt bedient. Zum Beispiel habe sie die Türkenkriege benutzt, um den Ständen Geld zu entlocken, das sie dann für eigennützige Zwecke gebraucht hätte, ja sie hätte die Türken selbst zum Angriff gereizt, um sich dieses Vorwandes bedienen zu können. Ein anderer Kunstgriff sei die Gründung des Reichshofgerichts gewesen, wodurch sie sich der Gerichtsbarkeit im Reich habe bemächtigen wollen. Als Vorbilder für den Kaiser stellte Chemnitz den Dogen von Venedig und den König von Polen hin und führte eine Stelle aus der Rede eines polnischen Magnaten beim Tode des Königs Sigismund von Polen, eines energischen, herrschsüchtigen Fürsten, an, dass die unter monarchischer Herrschaft gepfiffenen Trauerlieder der Sklaverei sich zu der Regierungsform eines freien Staates nicht schickten und daraus gänzlich zu verbannen seien. Der König von Polen sei nichts als gleichsam der Mund des Königreiches, der Mund aber dürfe sich nicht bewegen und kein Wort sprechen, als was aus dem Herzen des ganzen Körpers, nämlich der polnischen Magnaten, hervorgegangen sei. Diese Art der Machtverteilung, findet Chemnitz, sei dieselbe wie im Römischen Reich deutscher Nation. Es klingt wie Hohn, wenn er sagt, soviel Macht wie der polnische König habe, möge man dem deutschen Kaiser wohl gönnen.
Es versteht sich nach Chemnitz von selbst, dass die Reichsstände, welche im Vollbesitz der Regierungsgewalt sind, den Kaiser absetzen können. Die Absetzung des Hauses Habsburg, das ist es, was er mit seinem Buch bezweckt. Es ist mitten im Krieg geschrieben, ein Kampfmittel, und geht auf die Vernichtung des Gegners aus. Zu erörtern bleibt, ob die Entthronung ebenso ausführbar, wie sie nach Chemnitz rechtlich erlaubt und durch die Umstände geboten ist.
Karl V.
Die Habsburgischen Tyrannen, besonders Karl V. und Ferdinand II., haben es so weit gebracht, dass ihr Geschlecht ohne Anwendung von Gewalt nicht gestürzt werden kann. Deshalb ist es vor allen Dingen nötig, dass die Fürsten fest zusammenhalten. Chemnitz sieht ein, dass die Kaiser aus dem Haus Österreich auch nicht den Schein der Macht, geschweige denn die Macht, über die sie wirklich verfügten, hätten erlangen können, wenn nicht die Kurfürsten sie immer wieder gewählt, und wenn nicht alle Fürsten durch ihre gegenseitigen Zwistigkeiten, vor allem aber durch die Kirchenspaltung, sich selbst geschwächt und den Kaisern Gelegenheit zu Übergriffen gegeben hätten. Deshalb müsse zu allererst Einigkeit unter sämtlichen Fürsten hergestellt werden. Dass man um Religion zu kämpfen vorgebe und teilweise auch glaube, sei wiederum eine List des Hauses Habsburg, das dadurch mächtige katholische Staaten auf seine Seite gezogen habe. In Wahrheit handle es sich nicht um Religion, sondern darum, ob die Reichsstände, die Fürsten, Leibeigene des Kaisers werden sollten oder ob sie ihre edle Hoheit und Freiheit wiedererlangen könnten. Wenn sie nur den Vorwand, als kämpften sie um die Religion, fallen ließen, könnten sie das umso eher, als die Kronen von Frankreich und Schweden bereit wären, sie mit ihren Waffen zu unterstützen. Vereint mit dem alten unauslöschlichen Hass Frankreichs und dem neuen Schwedens könnten die Fürsten das Haus Habsburg mit den Wurzeln ausgraben.
Allerdings entsteht die Frage, wer dann Kaiser werden soll? Der Grund, weshalb die Kurfürsten immer wieder Habsburger wählten, war eben das, was man fürchtete: die Macht dieses Hauses. Da die Kaiser ihre Domänen und das Reichsgut längst verschenkt hatten, verfügten sie als solche über kaum nennenswerte Einkünfte; nur ein mächtiger Reichsstand, meinte man deshalb, könne die Last der Kaiserkrone tragen. Chemnitz weiß einen Vorschlag zu machen, wie es künftig möglich werden solle, bei der Kaiserwahl einzig auf die guten Eigenschaften des zu Erwählenden zu sehen: man entreiße den überwältigten Habsburgern ihre Erblande und versehe daraus den jeweiligen Kaiser mit den Mitteln, seinen Stand zu erhalten. Sollte dies Ziel erreicht werden, musste das Haus Habsburg in der Tat mit den Wurzeln ausgerottet werden.
Wie in allem, was er anführte, hatte Chemnitz ein wenig Recht und viel Unrecht auch in der Frage, ob der Krieg, der geführt wurde, ein Religionskrieg sei oder nicht. In einem Krieg, der, als das Buch erschien, bereits 22 Jahre gedauert hatte, war die gegenseitige Feindschaft tief eingefleischt: jeder hatte ein triefendes Schwert in der Hand und sah durch Blut. Man erkannte nicht mehr klar, um was es ging, man hasste und tötete blindlings den Gegner; aber im ganzen waren sich doch alle, mochte auch die alte Frömmigkeit geschwunden sein, ihres Bekenntnisses bewusst. Immerhin waren die Parteien nicht streng nach dem Glauben geschieden, und wenn es auch hauptsächlich Protestanten waren, die die Gesinnung des Chemnitz teilten, so waren doch auch Katholiken Feinde des Hauses Habsburg oder sahen wenigstens seine Macht mit Sorge und Eifersucht. Im Allgemeinen herrschte nach dem Krieg im ganzen Reich außerhalb der österreichischen Erblande eine ablehnende Stimmung gegen den Kaiser, wenn sie auch nicht zu dem erbitterten Hass gesteigert war, den die Dissertatio des Hipolythus a Lapide zu verbreiten suchte.
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Brandenburg
Brandenburg
Ganz in der Atmosphäre des Buches von Chemnitz, hatte er es nun gelesen oder nicht, lebte der junge Graf Georg Friedrich von Waldeck.
Georg Friedrich von Waldeck (* 31. Januar 1620 im Residenzschloss Arolsen; † 19. November 1692 ebenda) war ein deutscher Generalfeldmarschall und holländischer Generalkapitän. Er erhielt 1682 als erstes Familienmitglied des Hauses Waldeck den Fürstentitel.
Seinem Tatendrang genügte sein Ländchen nicht, es wurde ihm eng und dumpf zumute, wenn er sich dort aufhalten und mit den Nöten seines durch den Krieg ausgesogenen, verarmten Gebietes herumschlagen musste. Er hatte in Holland Kriegsdienst getan; das war die hohe Schule für diejenigen jungen Fürsten und Adligen, die einst selbst Armeen anzuführen hofften. Als der junge Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der im Jahr 1640 die Regierung angetreten hatte, ihn in seinen Dienst zu ziehen wünschte, griff er zu. Wie so manches Mal staatsmännisch begabte Männer ihre Kraft im Namen eines Teilhabers ausüben, der den Titel und die Macht hat, und den sie mit ihrem Genie beseelen, ahnte er in Brandenburg die Möglichkeit, Taten zu tun, wie sie ihm vorschwebten. Man kann es merkwürdig finden, dass er Hoffnungen auf einen Staat setzte, der sich im Dreißigjährigen Krieg besonders unkräftig gezeigt hatte und durch Preußen Vasall Polens war, der Pommern mit dem Seehafen Stettin an Schweden hatte abtreten müssen und dessen Bewohner arm und roh waren.
Stettin
Die Umstände waren es, die Brandenburg darauf hinwiesen, protestantische Vormacht zu werden. Pfalz und Sachsen, die die Führung der Protestanten vor dem großen Krieg gehabt hatten, waren zurückgegangen, Pfalz war ein notdürftig zusammengeflicktes Ländchen geworden, das nur eben seine Selbständigkeit behauptete, Sachsen hatte durch seine zum Kaiser hinneigende unentschlossene Politik an Ansehen eingebüßt; so wurden die Blicke der Protestanten auf Hannover und Brandenburg gelenkt. Der junge Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, ließ sofort merken, dass er die Absicht hatte, die Macht seines Landes zu erhöhen. Der kaiserliche Gesandte Lisola, ein scharfsichtiger Beobachter, sagte von ihm, er sei nicht bedeutenden Geistes, habe aber den Wunsch, als ein großmütiger Fürst