Aus dem Reiche des Buddha. Paul Dahlke

Aus dem Reiche des Buddha - Paul Dahlke


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achtete er nicht darauf. Dieses wiederholte sich Morgen für Morgen und Suriyagoda tat nichts als täglich die Blumen wegzufegen.

      Eines Abends gegen Dunkelwerden hörte er ein Geräusch vor seiner Tür. Als er öffnete, sah er ein junges Weib auf den Knien liegen, die Hände anbetend vor dem Gesicht.

      Suriyagoda verharrte regungslos die schickliche Zeit. Denn der Mönch muß schicklicher Weise warten, bis der Laie seine Ehrfurchtsbezeugung vollendet hat.

      Als das Weib aber liegen blieb, sagte er:

      „Was ist?“

      Die blieb erst regungslos, dann sagte sie leise:

      „Das Glück, sagt man, Bhante, das Glück.“

      Einen Moment war es, als ob sie sich aufrichten wollte, aber sofort sank sie wieder zusammen.

      Suriyagoda schwieg betroffen. Dann sagte er ruhig:

      „Geh!“

      Und wieder das demütige, lockende:

      „Das Glück sagt man ja, Bhante, das Glück.“

      Dabei wiegte sie leise den tiefgesenkten Kopf, sodaß die Wellen bis zu den vollen Hüften zu gehen schienen.

      Suriyagoda blickte starr gerade aus.

      „Freilich, Weib! Das Glück, sagt man ja, das Glück. Aber was ihr da draußen Glück nennt, das ist Unrat und Verderben im Orden des Erhabenen. Und was ihr da Verderben nennt, das ist Glück und Schmuck im Orden des Erhabenen. Aber geh! Ich darf hier nicht zu dir reden.“

      Der Körper des jungen Weibes zuckte von unterdrücktem Schluchzen. Mitleidig neigte sich Suriyagoda. Berühren durfte er sie nicht, aber er wollte ihr im Näherkommen seiner Stimme Trost geben.

      Sei es nun, daß das Weib sehr erregt oder schnell gestiegen war: Indem Suriyagoda sich herabbeugte, stieg der Duft der Haut zu ihm empor. Verwöhnt, überempfindlich gemacht durch die strengen, aber keuschen Klostergerüche richtete er sich schnell auf. Dieser Duft war ihm zuwider. „Geh, geh!“ sagte er fast ungeduldig.

      Bei dieser dritten Aufforderung erhob das Weib sich; die gefalteten Hände vor dem Gesicht behaltend wandte sie sich schnell und verschwand in der Dämmerung.

      Gerade in diesen Tagen wurde das Kloster, in welchem Suriyagoda lebte, von einem schweren Schlag betroffen, indem der Abt, Suriyagodas Lehrer, plötzlich starb.

      Suriyagoda war sein Lieblingsschüler gewesen. Jahrelang hatten sie sogar dieselbe Zelle geteilt — der Ältere, um stets Belehrung geben, der Jüngere, um stets Belehrung empfangen zu können.

      Dem scharfen Auge des alten Denkers war Suriyagodas Charakter bis in seine Tiefen klar. Denn sobald man das Licht der eigenen Ichsucht ausgelöscht hat, sieht man jeden Schein im Innern des Anderen:

      Dem Abte war nicht entgangen, daß Suriyagoda, trotz seiner Aufnahmefähigkeit für die Lehre des Buddha doch immer noch durch das körperliche Material, das er auf Grund seines Karma verarbeiten mußte, am fessellosen Erkennen gehindert wurde; daß er immer noch an der Fessel des Gottesglaubens krankte, wenn auch in jener reinen, höchsten pantheistischen Form des Vedanta, die aber, wo es auf völliges Durchdringen des Dharma ankommt, eben so hinderlich ist, wie der rohe Glaube an einen persönlichen Gott.

      Eines Tages, nach längerer Unterredung sagte er zu Suriyagoda:

      „Die Liebe, vor der du dich durch den Palmblattfächer schützen willst, ist gar nicht eine solche Liebe, daß man sich vor ihr durch äußere Mittel schützen könnte.“

      Suriyagoda verstand nicht. Da jener aber nichts weiter sagte, so wagte er nicht zu fragen.

      Der war nun plötzlich gestorben, aufrichtig betrauert von seinen Mönchen und seiner ganzen Gemeinde. Und das Kloster war vorläufig ohne Abt. Mancher munkelte, daß Suriyagoda trotz seiner Jugend (er war damals noch nicht 30 Jahr alt) sein Nachfolger werden sollte. Suriyagoda selber würde eine solche Ehrung ausgeschlagen haben. Sein Streben ging nicht auf Amt und Würden, sondern auf ein Leben stiller Nachdenklichkeit. Wer erkannt hat, wozu er lebt, der weiß auch, daß jeder Augenblick aufgeht im Arbeiten an sich selber, im stillen zähen Kampfe mit sich selber.

      In der ersten Zeit nach dem Tode des Abtes, wenn die Mönche abends still und beklommen in der weiten Halle saßen, in welcher das flackernde irrende Kokosnuß-Lämpchen nur Schatten, nicht Licht zu geben schien, da tauchte leise immer wieder die Frage auf: „Wohin mag er wohl wiedergeboren sein?“, eine Frage, auf die freilich niemand eine andere Antwort geben konnte als die: „Dahin, wohin seine Taten ihn geführt haben.“ Denn nicht Vater und Mutter, sondern die Taten dieses Lebens wahrlich sind der Mutterschoß, aus welchem das nächste Leben hervorgeht. Deswegen ist es ja, daß der Buddha die Wesen „Karma-entsprossen“ nennt, nicht „Eltern-entsprossen.“

      Daß der Alte weiter wandern mußte im Samsara, daß er Nirwana, das Ende, das Verlöschen, noch nicht erreicht habe, darüber war ja freilich kein Zweifel. Er selber hatte es noch in seinen letzten Stunden gesagt, aber in Ruhe und Fassung, so daß man wohl die frohe Hoffnung heraus hörte, nicht in niederen Wesenheiten wiedergeboren zu werden. Man wußte auch, daß der Verstorbene nicht ganz frei war vom Hängen an gewissen kleinen Lüsten dieser Welt. Fast scherzhaft war seine Neigung für Süßigkeiten gewesen und seine Anhänger, die seine Vorliebe kannten, hatten ihn stets reichlich damit versorgt.

      Als nun eines Abends wieder die große Frage erörtert wurde: „Wohin mag er wohl wiedergeboren sein?“, da meinte einer der Klosterschüler, der mittags die Schalen der Mönche am Brunnen wusch, ein kleiner Knirps, aber keck wie einer:

      „Beim Zuckerbäcker!“

      Suriyagoda verwies ihm solche unziemliche Rede ernsthaft und sandte ihn zur Strafe aus der Halle; aber ein Weilchen herrschte Schweigen, weil jeder mit einem Lächeln kämpfte.

      Von diesem Abende an wurde die Frage der Wiedergeburt des Abtes nicht mehr berührt.

      Suriyagoda befand sich damals in einer merkwürdigen Verfassung. Im Verlauf jener Unterhaltung, an deren Schluß der Abt ihm gesagt hatte, daß jene Liebe, durch die er gehen müsse, nicht durch einen Palmblattfächer abzuwehren sei, hatten sie über den Wert der Religionen gesprochen und der alte Abt hatte das Christentum mit ungewohnter Schärfe abgetan. „Es befriedigt weder das Bedürfnis des Menschen nach Wissen, noch sein Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Laß dich,“ fuhr er eindringlich fort, „nicht durch dieses Aushängeschild der Liebe bestechen. Erste Pflicht der Menschen ist nicht die Liebe, sondern das Denken. Höchstes Menschtum liegt nicht im Lieben, sondern im Denken. Lieben tun die Tiere auch, denken tut nur der Mensch — und die Götter,“ fügte er mit einem Lächeln hinzu. „Liebe ohne denken ist, als ob der Karren den Ochsen zieht.“ Er meinte, Liebe solle stets vom Denken geleitet werden, nicht ihm vorauslaufen.

      Dann hat Suriyagoda um die Erlaubnis gebeten, die Upanishaden in der Ursprache lesen zu dürfen. Er war der beste Sanskrit-Kenner des ganzen Klosters.

      Der Alte hatte nicht gleich geantwortet. Die weichen Hände ein wenig fester zusammenpressend hatte er in den Klostergarten hinausgeblickt, wie interessiert in die letzten Regentropfen, die von den Palmblattwedeln an der Halle zur Erde fielen. Dann hatte er ruhig gesagt: „Wenn du willst, so lies.“ Nach diesem hatte er dann jene Worte von Suriyagodas Liebe gesprochen, die der Mönch nicht verstanden hatte.

      Noch am selben Abend hatte Suriyagoda seine Lektüre begonnen. Er las und las. Ihm war, als ob er ertrinken müßte in diesem Gedanken-Ozean. Was waren das für Menschen, diese Gott-Trunkenen, Yajñavalkya, der in Worten und Gedanken spricht, welche Himmel und Erde gleichsam mühelos in sich hineinsaugen; diese Maitreyi, die da sagt: „Gieb mir nicht, was man Weibern gibt — jenes große Wissen gib mir, das du hast.“ Sie meinte das Wissen von der Einheit zwischen Mensch und Gott. War es nicht etwas ungeheuerliches, mit einem einzigen Erkenntnisakt jenes Wissen zu erreichen, das Seligkeit gibt für immer! Denn kann der Mensch größere Seligkeit fühlen, als die Erkenntnis: „Ich und Gott, wir sind eines Wesens; ich Gottes, Gott meines Wesens und Täuschung, wahrlich, ist das, was mich von der All-Einheit


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