Aus dem Reiche des Buddha. Paul Dahlke

Aus dem Reiche des Buddha - Paul Dahlke


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beiden Seiten hin!“

      Er lachte kurz auf.

      Wogiswera warf ihm einen scheuen Seitenblick zu. Er war ein Mann, fast doppelt so alt als der Mönch. Früher selber Mönch gewesen, war er vor langen Jahren, kurz ehe Suriyagoda in Mihintale in den Orden trat, in die Fesseln der Liebe gefallen, hatte geheiratet und Kinder gezeugt und erwarb sich jetzt seinen Unterhalt mit Unterrichten der Kinder des Dorfes und mit dem Heilen von Krankheiten.

      Von Natur redselig, fiel ihm nichts schwerer als das Schweigen. So benützte er den Augenblick, wo Suriyagoda auflachte und sagte:

      „Es ist schwer, Herr, es ist schwer.“

      Der Mönch sah auf. Sein Blick blieb auf dem weißen Bündelchen Wogisweras hängen.

      Unvermittelt fragte er:

      „Was hast du denn da in dem Bündelchen?“

      Sofort begann Wogiswera:

      „Seht hier, es sind Kräuter darin; Heilkräuter für meine Frau. Sie ist krank, schwer krank und fünf Kinderchen! Es ist schwer. Ein gutes Weib, Herr! Das beste Weib der Welt. Ich will euch erzählen, wie sie krank wurde. Sie war guter Hoffnung, müßt ihr wissen. Da bekommt sie neulich Verlangen auf Zucker, weißen Zucker. Schickt den Diener hin. Weil ihr der zu lange bleibt, tritt sie selber in die Gartenpforte, um nach ihm auszusehen. Da sieht sie ihn, am Zucker naschend. Um ihn nicht zu beschämen — bedenkt, Herr, um ihn nicht zu beschämen, bückt sie sich schnell zur Erde, als ob sie da was zu schaffen hätte. Und dabei ist das Unglück gekommen. Sie war immer schwach und zart. Jetzt diese Last! Fünf Kinderchen und kein Weib im Hause, nur Unruhe und Geschrei. Ach, Herr, wenn ihr wüßtet, wie oft ich an den Klosterfrieden zurückdenke.“

      „Möchtest du wieder in den Orden zurücktreten?“

      „Ach, wie gern Herr! Aber kann ich! Jetzt sind es tausend Fäden, damals war es einer, ein einziger. Ich hätte ihn zerreißen können — so!“ Damit nahm er einen dürren Grashalm und zerriß ihn zwischen den Fingern. „So leicht ist es im Anfang, der Lust zu widerstehen. Je später, je schwerer.“

      In diesem Augenblick drang der Ton der Klosterglocke von oben her zu ihnen, tief dunkel, dröhnend, die letzte Tagesstunde anzeigend.

      Unwillkürlich blieben beide stehen und lauschten. Beide zählten die Schläge, einen nach dem andern.

      Nachdem der letzte Schlag verklungen war, begann Wogiswera wieder:

      „Seht, Herr, es ist im Leben gerade wie hier. Ein Schlag ist wie der andere, — einfach ein Schlag. Zählt ihr aber mit, so bekommt eben ein Schlag Sinn und Wert aus dem andern. Was ist der letzte Schlag anderes wie der erste? Ein Schlag schlechthin. Habt ihr aber vom ersten Schlag ab mitgezählt, so ist es der höchste Schlag, den es schlägt. So ist es im Leben, Herr. Es ist eines wie das andere, ein Schlag schlechthin. Zählt man aber mit, so bekommt eines aus dem anderen Sinn und Bedeutung und je länger man mitzählt, um so höher wird der Wert. Man muß sich nun fügen. Es ist zu spät jetzt. Bin ich mehr als der Buddha! Er verließ ein Söhnchen, kann ich fünf verlassen?“

      „Habt ihr fünf Söhne?“ fragte Suriyagoda zerstreut.

      „Das nicht Herr. Ich meine nur so. Fünf Kinderchen.“

      Er schwieg und Suriyagoda verfiel wieder in sein Grübeln.

      Plötzlich begann er:

      „Fürchtest du dich nicht im Djungel?“

      Wogiswera schüttelte den Kopf. „Nein, Herr. Ich kenne den Schlangenzauber und ich kenne den Elefantenzauber, und der Elefantenzauber ist so stark, sagen sie, daß er für die Bären mit hilft.“

      „Er glaubt,“ dachte Suriyagoda. „Darum fürchtet er sich nicht.“

      Indem stießen sie auf den Hauptweg, der nach rechts hin zum Kloster hinauf, nach links hin zum Dorf hinabführte.

      „Hier geht euer Weg, Herr,“ meinte Wogiswera, bergauf zeigend. „Ich muß mich eilen. Es ist schon fast dunkel.“

      Dabei legte er Stock und Bündelchen abermals schnell beiseite, kniete nieder und verabschiedete sich von dem Mönch. Wie urplötzlich alles eigenen Willens beraubt, wandte der sich sofort zur rechten und stieg den bekannten Weg zum Kloster hinan, während der andere halb springend bergab eilte.

      Im Kloster angelangt, begab Suriyagoda sich sofort, ehe er noch seine Zelle betreten hatte, zum Abt, jetzt fest entschlossen, alles rückhaltlos zu beichten. Seinen Plan, das Kloster und den Orden ohne vorherige Ankündigung zu verlassen, mußte er doch beichten.

      Der Abt saß in seinem hohen, luftigen Gemach, das durch die spärliche Beleuchtung noch größer aussah, auf einem sehr niedrigen Stühlchen, das Suriyagoda sich nicht erinnerte, je bei ihm gesehen zu haben. Es war so niedrig, daß Suriyagoda, als er vor ihm niederkniete, fast in gleicher Höhe mit ihm sich befand.

      Der Abt hatte ein Palmblatt-Manuskript vor sich und schien darin zu lesen oder doch darüber nachzudenken. Das Licht stand hinter ihm, so daß sein Gesicht im Dunkeln war, während auf Suriyagodas Gesicht voll der Schein der Flamme fiel.

      Es war weder Neu- noch Vollmondtag. Trotzdem, als der Mönch seine Bitte aussprach, heute beichten zu dürfen, gab jener durch Schweigen seine Zustimmung.

      In innerer Hast begann Suriyagoda, weit ausholend, aber Jahre zusammendrängend. Er erzählte vom Fakir, der ihm die große Liebe prophezeit habe, vom Palmblattfächer, vom alten Abt. Dann, wie ein vulkanischer Ausbruch, stoßweise, unzusammenhängend rang sich aus ihm das Bekenntnis seiner inneren Kämpfe, dieses schreckliche Ringen zwischen Verstand und Gemüt, das ihn zu entmannen drohe. An den heutigen Fluchtversuch dachte er gar nicht mehr; er wäre auch zu erschöpft gewesen, noch von ihm zu sprechen.

      Der Abt saß regungslos. Man hätte ihn für einen Schlafenden halten können, wenn das Auge nicht voll, aber mit eigenartiger Starrheit auf einen Lichtreflex gerichtet gewesen wäre, den die hinter ihm stehende Flamme auf dem Metallbeschlag des kleinen Schreines, der die heiligen Schriften enthielt, spielen ließ. Es war wie ein mildes aber starkes Sprühen, ein Licht-Wogen. Wie ein mächtiges Auge leuchtete es aus der Tiefe des dunklen Zimmers heraus.

      Als der Mönch geendet, herrschte langes Schweigen. Der Abt starrte unentwegt in den glänzenden Lichtknauf vor ihm. Endlich begann er leise und eintönig:

      „Ich höre dieses und du, Bruder, höre auch. Es ist, als ob die Glocke die letzte Tagesstunde verkündet. Ein Schlag, noch einer — noch einer — zwölf Schläge. Jedes ein Schlag schlechthin. Zählt man aber mit, so erhält ein Schlag aus dem andern Wert und Sinn — ja so ist es: Wert und Sinn einer aus dem andern.“

      Weit aufgerissenen Auges starrte Suriyagoda den Sprecher an. Dessen Augen hingen immer noch starr am Lichtknauf. Tiefer noch als sonst lagen die harten Furchen des mageren Gesichtes. Die Lippen bewegten sich lautlos, gleichsam mechanisch den letzten Worten nachschwingend.

      Plötzlich ging es wie ein Erwachen durch seine Züge. Das Auge, bisher gleichsam auf eine Unendlichkeit eingestellt, nahm Leben an. Er seufzte leicht auf und alles schien vorüber. Mit seiner gewöhnlichen milden Freundlichkeit blickte er auf den zu seinen Füßen knieenden Mönch. Er nahm jetzt einen höheren Sitz und es lag fast wie ein schelmisches Lächeln auf seinen Zügen, als er sagte:

      „Bruder, müssen wir nicht alle durch eine große Liebe gehen? Der eine nennt sie Weib, der andere Kind; der eine Geld, der andere Ehre, und noch ein anderer nennt sie Gott. Aber alles dieses, mag es heißen wie es will, es ist ja nichts als die Liebe zum eigenen Ich. Denn: ‚Nicht um der Gattin willen ist die Gattin lieb — um des Selbstes willen ist die Gattin lieb.‘“ Und an diese Worte aus den Upanishaden anschließend fuhr er fort:

      „Nicht um des Göttlichen willen ist das Göttliche lieb — um des Selbstes willen ist das Göttliche lieb. Was aber ist das Selbst? Ist, Bruder, dir wohl ganz klar geworden, was das Selbst ist? Ist, Bruder, dir wohl das Verständnis aufgegangen, daß das Ich wesenlos ist, wie die Flamme sich selbst unterhaltend durch die Nahrung, die es in jedem


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