Aus dem Reiche des Buddha. Paul Dahlke

Aus dem Reiche des Buddha - Paul Dahlke


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das Stillstellen der ewig mahlenden Räder, die sich selber mahlen, wirft man kein Korn zwischen sie. Wie eine Art Wollust überkam es ihn, wenn er an die Geheimnisse jenes mystischen Lautes dachte, den der Gott-Ergriffene von der zitternden Lippe schweigt. Kurz: Er sehnte sich aus der harten Arbeit des ewig wachen Denkens in die mollige Ruhe des Gottfriedens, wie der Knecht nach den Fleischtöpfen des Herrn.

      Alle diese Stimmungen und Gefühle fanden ihr ständiges Gegengewicht im Dasein seines Lehrers. Mit dessen Tode ging das Steuer seines Lebensschiffes verloren. Immer tiefer arbeitete er sich in diesen Zwiespalt zwischen Verstand und Gemüt, zwischen Belehrung und natürlicher Neigung. Immer wieder freilich sagte ihm der Verstand: „Die Wahrheit lehrt der Tathāgata. Nur hier, wo gezeigt wird, daß ich selber Frucht meiner Taten bin, nur da ist Gesetz; nur wo Gesetz ist, ist Gerechtigkeit; nur wo Gerechtigkeit ist, ist Befriedigung.“ Aber das Erdige an ihm, das von Vater und Mutter stammte, hing sich wie ein Gewicht an den Flug dieses reinen Erkennens. Immer wieder raunte es in ihm: „Wenn es doch ein Ewiges gäbe! Wenn es doch eine Seligkeit gäbe, jenseits! Wenn dieses „Neti, Neti“ der Upanishaden doch dereinst unerhörte Wirklichkeit werden könnte! Wenn die alten Rishis doch Lehrer wären und nicht Schwärmer!“

      Eines Tages ging er, müde vom fruchtlosen Denken, gegen Abend zum Ort hinunter. Er fühlte das Bedürfnis, andere Menschen um sich zu sehen, auch wollte er sich am Ufer des Sees, der einem großen Lotusteich glich, ergehen.

      An einem abgelegenen Winkel, von den überhängenden Zweigen eines wilden Mangobaumes halb verdeckt, sah er einen Mönch aus dem Nachbarkloster sitzen. Der saß, die Beine gekreuzt, die Hände ineinander gefaltet, hoch aufgerichtet, da, und wiederholte immer das eine Wort: „Wasserkranich, Wasserkranich!“

      Erstaunt hörte Suriyagoda ihm eine Weile zu; dann, weil der Andere ihn gar nicht bemerkte, räusperte er sich, trat höflich näher und ließ sich zu seiner Rechten nieder. Dann begann er:

      „Bruder, ist wohl eine Frage erlaubt?“

      „Freilich, Bruder.“

      „Weshalb sagtest du eben in einem fort das Wort ‚Wasserkranich, Wasserkranich‘?“

      Der sah ihn verdutzt an, dann erwiderte er:

      „Bruder, nicht ‚Wasserkranich, Wasserkranich,‘ sondern ‚Vergänglichkeit, Vergänglichkeit‘ habe ich gesagt.“

      „Verzeih, Bruder. Du sagtest ‚Wasserkranich, Wasserkranich‘.“

      Da schlug sich der andere vor die Stirn und rief:

      „Schöne Geschichte! Der Abt hat mir als Aufgabe zum Meditieren ‚Vergänglichkeit, Vergänglichkeit‘ gegeben, nun sitze ich hier und sehe die Kraniche auf dem Wasser hin- und herziehen, und statt, ‚Vergänglichkeit, Vergänglichkeit‘ sage ich ‚Wasserkranich, Wasserkranich‘.“ (Beide Worte unterscheiden sich nämlich nur durch einen Laut, so daß sie leicht zu verwechseln sind.)

      Dabei lachte er lustig und auch Suriyagoda lachte so kräftig, wie er seit Jahren nicht gelacht hatte. Denn stille Heiterkeit gehört sich wohl im Orden des Erhabenen, aber hörbares Lachen ist nicht schicklich.

      Als er zurückkehrte, dachte er bei sich: „So ist das nun, und das wird daraus.“ Er meinte: So ist die Lehre beschaffen, daß sie in dieser geistlosen Weise verarbeitet werden kann. Er fühlte auch nicht einmal, daß er ungerecht urteilte; denn zu geistloser Verarbeitung bietet auch die Lehre der Upanishaden Anhalt zur Genüge.

      Der Zufall wollte es, daß er auf dem gleichen Spaziergange in der Nähe der großen Eingangspforte, auf dem Wege, der zum Rajagiri-Lena führt, zwei Männer traf, die auf einer Stange einen Sack trugen. Als sie an Suriyagoda vorbeigingen, sagte der eine: „Bhante, verzeiht, daß wir heute nicht Ehrfurcht erweisen können. Es ist dieses wegen da.“ Dabei zeigte er auf den Sack.

      „Was habt ihr denn in dem Sack?“ fragte Suriyagoda.

      „Herr“, antwortete derselbe Mensch, der vorhin gesprochen hatte, „es ist eine Cobra, dick wie mein Arm. Wir sollen sie töten.“

      „Seit wann tötet ihr denn Lebendiges?“ fragte Suriyagoda erstaunt.

      Der Mensch schwieg.

      „Herr,“ begann der andere, „wir sind arm; es ist des Lohnes wegen.“

      Damit schien sich dem ersten die Zunge wieder zu lösen und er begann eilfertig:

      „Herr, die Sache ist die: Der Alte, unten am See, der die Lotusblüten auf dem Brett feil hält, hat uns gedungen, sie zu töten. Er sagt, es ist eine schlechte Schlange. Vor vier Jahren ist sie zu ihm an den Feuerplatz gekommen, da hat er ihr gesagt: ‚Was willst du hier? Das ist nicht dein Haus. Du weißt, dein Haus ist das Djangel‘. Darauf wendet sich die Schlange schnurstracks und huscht zum Walde zurück. Sie war damals noch eine gute Schlange. Gestern Abend nun tritt der Alte auf seine Plattform. Was liegt da? — die Cobra! — aufgerollt und zischt. Sie ist dick wie mein Arm, Herr. Er nimmt ein Steinchen und wirft es ihr zu. Ist so erschrocken, daß er ihr nicht zureden kann. Sie geht weg. Heute ist sie wieder da, zischt wieder. So meint der Alte, wenn er mal im Dunkeln auf sie tritt, wird sie ihn töten. Deswegen bat er uns, sie zu fangen und im Sack auf die Straße zu legen, daß ein Elefant sie zertritt.“

      „Weiß denn der Alte unten, daß es die nämliche ist, wie vor vier Jahren?“

      „Sicherlich Herr!“

      „War sie denn damals schon ebenso dick?“

      „Nicht doch Herr; sie war damals klein.“

      „Wie kennt er sie denn wieder?“

      „Er weiß es eben, Herr.“

      Und wie zur Bekräftigung fügte der andere hinzu:

      „Es ist so, Herr.“

      Suriyagoda ging weiter und die beiden gingen die Straße entlang. Er hatte nicht das Recht, diesen Menschen zu sagen: „Ihr dürft nicht töten! Laßt das Tier frei! Seid ihr ihm wirklich wohlgesinnt, so wird es nicht beißen.“ Aber wieder deutete er parteiisch. Er dachte bei sich: „Ein Brahmane würde das nicht tun. Er würde eher sterben.“

      In der nächsten Nacht hatte Suriyagoda einen Traum. Er sah den verstorbenen Abt, seinen Lehrer, greifbar deutlich vor sich stehen. Der sagte zu ihm:

      „Suriyagoda, gehst du früh zum Eßsaal, ohne vorher im Vihara gewesen zu sein?“

      Der Mönch erwachte mit einem Schreck, den Traum noch lebendig vor sich. Fast verdrossen fragte er sich:

      „Was soll das? Ich bin doch nie zum Eßsaal gegangen, ohne vorher im Vihara gewesen zu sein.“ Aber da sein Gewissen der Lehre wie dem Lehrer gegenüber nicht rein war, so begann er seine Betübungen zu verlängern. Er entzog sich Schlaf, woran er nicht gewohnt war, — denn die Jünger des Buddha sind wohl an ein strenges, aber nicht an ein asketisches Leben gewöhnt — und wurde matt und überreizt dabei.

      Die Mönche badeten damals im Naga-Pokana, dem Schlangenbad, so benannt, weil an der Felswand der einen Seite eine mächtige, dreiköpfige Cobra ausgemeißelt war.

      Eines Tages geschah es, daß er sein Bad außer der Zeit d. h. gegen Abend nahm und infolgedessen allein badete.

      Als er, wie es bei den Mönchen Sitte ist, mit dem losen Untergewand bekleidet, langsam ins Wasser stieg, sah er aus der Tiefe eine weibliche Person sich entgegenschweben, schön wie eine der Asparasen. Als er aber hinblickte, da sah er, daß es sein eigenes Spiegelbild war. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie mager und großäugig er geworden war. Halb belustigt, halb verächtlich lachte er auf:

      „Soweit hätte ich es also gebracht, daß ich am hellen Tage von Weibern phantasiere.“

      Still setzte er sich auf einen Fels und blickte auf dieses unvergleichliche Landschaftsbild zu seinen Füßen. Die Sonne ging zur Rüste, glorreich wie ein Held, in einen schier überwältigenden Strahlenmantel gehüllt. Über der unendlichen Waldfläche lag ein duftig violetter Schimmer und scharf hoben sich zur Linken


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