Isargrauen. Max Winter

Isargrauen - Max Winter


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auf. An mehreren Bars mixten Barkeeper auf Zuruf Cocktails, Kellner mit weißen Schürzen gingen umher und servierten Getränke. Am opulenten Dallmayr-Buffet reichten Köche feine italienische Speisen auf weißem Porzellan.

      Es mußten weit über zweihundert Gäste sein, die sich hier eingefunden hatten.

      „Ich mach mal ne Runde, such mal die anderen“, sagte Olli und stand auf, „Du kommst klar, Süße?“

      Ja. Sie nickte. Sie kam klar. Und es wunderte sie nicht, daß er gleich wieder aufsprang. Auch wenn sie gehofft hatte, daß er wenigsten heute abend weniger unruhig sein würde als die letzte Zeit über. Daß sie heute zusammen feierten. Olli verschwand im Getümmel.

      Jana fand, daß es Zeit war, etwas gegen ihren Hunger zu tun und steuerte die Terrasse an. Sie trug eine schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck Ramones und Springerstiefel. Damit hatte sie sich weniger in Schale geworfen als alle anderen Gäste, als all die Schönen des Films, die beim alljährlichen Sommerfest des Produzenten Wilhelm Winkler zeigen wollten, wie gut es ihnen ging. Man sah Anzüge von Armani, aufwendige Kleider mit Blumenmustern, Seidenblusen mit gewagten Schnitten.

      Das Buffet ließ keine Wünsche offen. Sie wählte in Ruhe aus und ließ sich die Köstlichkeiten anrichten. Als sie mit dem Teller und einem kühlen Hellen zurück zu ihrem Tisch ging, hörte sie eine Stimme.

      „Hey, Jana!“

      Sie drehte den Kopf und sah den Produktionsleiter Michael Gerstmann, der sie auf die Einladungsliste gesetzt hatte, und der ihr zuwinkte, sie solle zu ihnen kommen. An seinem Tisch saßen auch andere, mit denen sie schon gedreht hatte, eine Aufnahmeleiterin, ein Kameraassistent und außerdem zwei Männer, die sie nicht kannte.

      „Hallo“, sagte sie und setzte sich zu Michael, der ihr einen Stuhl hinschob.

      „Mahlzeit“, sagte der ältere Mann im schwarzen Anzug, und zeigte auf sich selbst.

      „Ich bin Max Helmer, Produzent. Und das neben mir ist Arthur, der Autor“, sagte er, schob dann „Arthur the author“ auf englisch nach und lachte.

      „Hallo“, sagte Jana.

      „Servus“, erwiderte Arthur. Er trug einen blauen Leinenanzug, der ihm gut stand. Er hatte einen intelligenten Blick.

      Die anderen unterhielten sich, und Jana machte sich erst über das Vitello Tonnato und dann über die erstklassige Lasagne auf ihrem Teller her. Zum Abschluß widmete sie sich einem schönen Stück Tiramisu. Der Kakao schimmerte matt und verführerisch. Die Dessertgabel glitt durch die verschiedenen Schichten, durch Mascarpone und getränkten Biskuit, und Jana genoß jeden Bissen. Sie blickte zu Arthur, der blickte zurück. Das kühle Augustiner Edelstoff, ihr Lieblingsbier, schmeckte vorzüglich.

      Vom Garten aus, wo sie saßen, blickte sie auf die Terrasse, die von Palmen in großen Töpfen flankiert wurde. Überall saßen Leute zusammen, aßen, tranken, rauchten, unterhielten sich. Sehr kurze Miniröcke über langen Beinen zogen Blicke auf sich, leicht gebräunte, durchtrainierte Schauspieleroberkörper in weißen T-Shirts zu Anzughosen ebenso. Man pflegte Kontakte, manchmal auch Freundschaften, sagte sich Bosheiten, tauschte den neuesten Branchenklatsch aus und streute Gerüchte. Was wurde gerade produziert, wer hatte Mist gebaut, wer ging Pleite, wer machte ein Vermögen. Immer wieder drang schrilles Lachen durch das Gemurmel, Namen wurden gerufen, das Fest lief glänzend.

      Als sie gegessen hatte, hatte sich das Gesprächsthema auf den Gastgeber verlagert.

      „Ich weiß nicht, wo der all das Geld her nimmt“, sagte Helmer, „aber jedes Jahr dieses Fest, er investiert ja auch ständig, was man so hört.“

      „Ja, und versenkt ziemlich viel“, sagte Gerstmann. „und zwar zielsicher. Rösler vom Filmzentrum sagte mir, wenn er höre, daß Winkler sich irgendwo beteiligt, weiß er, daß der Film nichts wird.“

      „Ja“, meinte Arthur, „ein Pleitenspürhund. Für seine neue Serie soll bald Drehbeginn sein. Da können wir gespannt sein“, sagte Arthur, „Wenn er ein Film wäre, müßte man ihn so pitchen: Schweinsäuglein meets Fleischmütze des Grauens“, sagte Arthur. Am Tisch brach Gelächter aus, auch Jana konnte sich nicht mehr halten.

      Er blickte zur Terrasse. „Wenn man vom Teufel spricht ...“, sagte er. Alle sahen zu dem Mann hin, der einen schwarzen Anzug mit Fliege trug. Er war klein und stämmig und gestikulierte raumgreifend mit seinen Armen. Er mochte Mitte fünfzig sein, hatte keine Haare mehr und tief in den Höhlen liegende, kleine Augen. Wilhelm Winkler war auf die Terrasse getreten und mit ihm seine Entourage. Die Leute in seiner Nähe grüßten ihn, gingen zu ihm hin, es wurden Hände geschüttelt, und man machte ihm die Aufwartung. Winkler hielt Hof und man merkte, daß er in seinem Element war. Aller Augen auf ihn gerichtet. Jeder wollte auf seinem jährlichen Sommerfest sein, wer eine Einladung bekam, war jemand in der Branche. Hier mußte man sein.

      So sehr Winkler in der Aufmerksamkeit badete, so froh war Jana, daß sie am Rand saß und alles von weitem beobachten konnte. Sie war nicht beim Film, weil sie wie Winkler war. Im Gegenteil. Sie wollte nicht die Weltherrschaft, sondern ihre Unabhängigkeit. Zwar galt die strenge Hierarchie beim Film auch für sie, aber Fahrer waren dem weniger ausgesetzt, weil sie doch die meiste Zeit unterwegs waren oder warteten. Sie war nie im Zentrum, wo sich der Streß konzentrierte, beim Regisseur und beim Kameramann. Natürlich hatte sie auch mit ekelhaften Aufnahmeleitern, launigen Schauspielern und zurückgebliebenen Blendern in allen Abteilungen zu tun, die durch Beziehungen auf ihre Positionen gelangt waren. Aber nie allzu lange. Dann gab es wieder ein neues Team. Nur einmal mußte sie wochenlang mit einer ausgesprochenen Mist-Crew drehen. Ein übellauniges Schicksal schien für jeden Posten die blödesten Personen aus ganz Deutschland versammelt zu haben. Das war unangenehm, aber sie hielt sich heraus, soweit es ging, machte möglichst professionell ihre Arbeit und versuchte, dabei niemandem auf die Nerven zu gehen. Während die Produktion lief, trank und kiffte sie nicht, Koks oder Speed nahm sie generell nicht. Sie war pünktlich. Sie stand nicht im Weg. Sie baute keine Unfälle. Sie konnte alles mit vier Rädern fahren, auch Siebeneinhalbtonner flüssig rückwärts einparken. Sie machte ihren Job gut.

      Überall wogte die Party, überall Gespräche und Gelächter. Und Olli nicht bei ihr. Wo war er? Sie sagte, sie schaue einmal nach ihm, stand auf und ging zur Terrasse, sah sich dort um, suchte ihn dann am Haus. Hier und da grüßte sie Leute. Eine Schauspielerin, die sie kannte, kam ihr entgegen und deutete schmatzend ein Bussi-Bussi an.

      „Hast du Olli irgendwo gesehen?“, fragte Jana.

      „Also vorhin war er noch da hinten ...“, sie griff sich an die Nase, machte ein Snief-Geräusch und wies mit dem Kopf in Richtung der hinteren Räume. Ihr Grinsen und ihr starrer Blick ließen vermuten, daß sie sich auch gerade schon bedient hatte.

      „Danke“, sagte Jana, „wir sehen uns.“

      Ein Gang führte ins Haus, sie folgte ihm, bis sie zu einer Tür kam, die offen stand. Im Türrahmen lehnte ein hochgewachsener Typ mit dünnen, blonden Haaren. Er trug einen dreiteiligen Anzug, der für Janas Geschmack etwas zu sehr glänzte. Er legte den Arm an den Türrahmen und verwehrte ihr so den Eintritt.

      „Bitte, junge Dame, Sie wünschen?“, sagte er ironisch und abweisend.

      Sie blickte an ihm vorbei, sah in den großen Raum, der als Spielzimmer eingerichtet war. Zwei Billardtische, mehrere Kartentische, entlang der Wände Sofas und Sessel, davor niedrige Glastische. Überall saßen und standen die Gäste, auf den Tischen Päckchen mit Gras und Tabak, Koks und Tabletten, Gläser mit Champagner und Whisky. Sie hörte das Stakkato, mit dem eine Kreditkarte auf einen Tisch klopfte.

      Sie sah Olli an einem der Tische, er winkte zu ihr rüber.

      „Ist okay, Frank!“, rief er.

      Aber Jana bedeutete ihm, zu ihr zu kommen. Dann ging sie zurück auf die Terrasse.

      Zu Durroux sagte sie: „Von dir gar nichts, Junge.“

      Olli kam ihr nach, sie sah den stieren Blick in seinen Augen.

      „Ich dachte, du wolltest es mit dem Koks langsamer angehen lassen.“


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