Isargrauen. Max Winter
bekamen. In allen Abteilungen war es das gleiche, gute Leute kosteten eben gutes Geld. Die Amerikaner sagten: if you pay peanuts, you get monkeys.
Aber als Jana anfing, war alles neu und ungewohnt und besonders. Als sie das erste Mal bei ARRI war, lief ihr dort eine Fernsehmoderatorin über den Weg. In einem der Studios wurde täglich eine Nachmittags-Talkshow aufgezeichnet. Einmal schaute Jana zu, wie ein Anheizer das Publikum mit Witzen in Stimmung brachte, bevor es losging. Während die Show lief, leuchtete immer wieder ein Applausschild auf, damit das Publikum auch wußte, wann es zu klatschen hatte.
Ein Woche später war sie wieder bei ARRI, da wurde im Studio daneben ein Werbespot gedreht. Sie mußte eine Schauspielerin vom Flughafen Riem abholen, die aus London eingeflogen wurde. Sie spielte die Hausfrau, die sich enorm freute, daß der Pulli nach dem Waschen wieder so weich war. Jana hatte eine Zeitlang nichts zu tun, also schaute sie beim Drehen zu. Der Regisseur trug wallende weiße Gewänder und bewegte sich eigentümlich. Jemand sagte ihr, wer es war. Jana war beeindruckt. Er hatte zwei Münchner Fernsehserien gemacht, die jeder kannte. In einer wurde das München der Schickeria aufs Korn genommen, mit dem sie selbst immer mehr in Berührung kam.
Durch irgend etwas wurde der Dreh aufgehalten und als klar war, daß es etwas dauern würde, bis weitergedreht werden konnte, sagte der Regisseur, sie sollten ihn holen, wenn es weiterginge und ging einfach davon. Er wohnte auf der Rückseite des Studios und wartete offenbar lieber in seiner Wohnung.
Jana wurde bald klar, daß in der Filmbranche nicht alles so war, wie es schien. Und darum ging es natürlich auch: Dinge anders aussehen zu lassen, als sie waren. Daß das aber mitunter sehr viel weiter ging, als sie sich vorstellen konnte, sollte sie bald erfahren.
Jana
Gassinger fuhr wieder in sein Büro in der Ettstraße. Sein Assistent Wörl kam ins Zimmer.
„Interpol ist jetzt informiert, ich habe unsere Anfrage übermittelt“, sagte Wörl.
„Gut“, meinte Gassinger, „dann schau, ob irgendwo in Europa in der letzten Zeit etwas Vergleichbares passiert ist. Ich denke vor allem an Italien, Frankreich, Österreich, Schweiz. Frag dort auch an. Die haben vielleicht etwas, was nicht über Interpol läuft, vielleicht auch etwas Älteres. Haben sich ansonsten noch Anlieger gemeldet, haben die Befragungen am Fundort etwas gebracht, haben wir Aussagen, hat irgend jemand etwas gesehen?“
„Nein“, sagte Wörl, „wir haben nichts. Alle haben brav geschlafen.“
Gassinger seufzte. Jetzt mußte er auf die Ergebnisse aus der Forensik hoffen. Die Untersuchung der Plastikfolie, des Klebebandes und der Kleidung der Leiche. Ausweise, Schmuck oder irgendwelche anderen Hinweise auf die Identität des Toten waren nicht gefunden worden. Das Opfer wurde auf Mitte dreißig geschätzt. Gassinger hoffte auf brauchbare Fingerabdrücke oder irgend etwas anderes, das Rückschlüsse auf die Identität des Toten, auf den oder die Täter oder wenigstens auf den Tatort liefern konnte.
Es war abzusehen, daß die Ermittlungen schwieriger würden als bei den Tötungsdelikten, mit denen er sonst zu tun hatte. Mord aus Leidenschaft, Mord im Affekt, Eifersucht, Jähzorn, ein kurzes Aufflackern und dann ein Leben lang Reue. Beziehungstaten. In einer überwältigenden Mehrzahl der Fälle gab es ein Näheverhältnis zwischen Opfer und Täter. Hier konnte es auf den ersten Blick auch so wirken. Aber dies war nicht, was man Übertötung nannte, niemand hatte im Zorn oder aus lange gehegtem Haß zehnmal geschossen oder wie wahnsinnig auf das Opfer eingestochen. Hier paßte nichts zusammen, es gab extreme Gewalt und doch wirkte es gestellt und seltsam. Gassinger konnte sich das nicht erklären. Aber er mußte es verstehen, um den Fall zu lösen.
Zwischen Jana und Olli lief es wieder besser. Die neue Produktion, bei der Olli jetzt Scheinwerfer schleppte, ließ sich gut an. Er wirkte zufrieden. Sie drehten in den Bavaria-Studios. Mit dem Oberbeleuchter kam Olli gut klar, der Kameramann namens Rollmann war verträglich, und das Essen war gut. Wenn er vom Dreh kam, war er exzellent gelaunt. Aber schon nach wenigen Tagen war die schöne Zeit wieder vorbei.
Am Mittwoch kam Olli erst spät vom Dreh nach Hause, bleich, nervös, sie wußte gleich, was los war. Snief-snief. Am Donnerstag das gleiche. Sie saß in ihrem Zimmer und wartete, daß er zu ihr kam. Aber das Warten war anders als früher. Sie entfremdeten sich.
Es war die Phase zwischen zwei Drehs, die Ruhephase, an die sie sich immer erst wieder gewöhnen mußte, wenn sie gedreht hatte. So ging es jedem, vom Fahrer bis zum Produzenten. Eine ständige Anspannung während der Drehzeit, die schon vor dem ersten Drehtag begann. Dann dauernd auf Adrenalin mit Spitzen von extremem Streß. Nach dem letzten Drehtag fiel man in ein Loch. Eine seltsame Leere, die nur langsam in echte Entspannung überging. Genau in dieser Phase war Jana jetzt. Sie hatte ein paar Tage frei, bevor der nächste Dreh begann. Zeit, um über sich und Olli nachzudenken.
Sie war zurückhaltend und öffnete sich Menschen nicht leicht. Er war da ganz unverkrampft, locker, schnell, berlinerisch: Weeste, weeste, haste, kannste. Als sie sich bei dem Dreh in Berlin kennengelernt hatten, hatte Jana als Set-Aufnahmeleiterin gearbeitet, was sie sonst nicht machte. Sie war eingesprungen, weil jemand kurzfristig erkrankt war und der Produktionsleiter Michael Gerstmann schnell Ersatz gebraucht hatte. Es war ohnehin ein üblicher Weg, beim Film Karriere zu machen. Erst war man Fahrer. Im Laufe der Zeit und durch die Erfahrungen bei vielen Produktionen lernte man, welche Abteilungen es gab, welche Aufgaben zu welcher Position gehörten und wie die einzelnen Räder ineinandergriffen, damit die komplizierte Maschinerie, die die Dreharbeiten waren, reibungslos funktionierte. Als Fahrer hatte man sowieso dauernd vor allem mit der Produktionsabteilung zu tun, also mit Aufnahmeleitern und Produktionsleitern, die einem die Tagesdisposition und die Fahrten gaben. Man sah, was sie machten und wie sie es machten. Irgendwann traute man sich das selbst zu und bekam eine Chance, wenn man wollte. Manche machten vorher noch eine Assistenz. War man längere Zeit Aufnahmeleiter, konnte man Produktionsleiter werden, und dann vielleicht irgendwann Produzent.
Jana wollte bei dem Dreh in Berlin nicht Karriere machen, sondern Gerstmann einen Gefallen tun. Die Bezahlung stimmte auch, drei Wochen Dreh in Berlin waren eine nette Abwechslung, das Hotel war in Ordnung und die Crew war nett.
Bei diesem Dreh lernte sie Olli kennen. Zum ersten Mal sah sie ihn beim Catering. Er biß von einer Wurst ab und sagte, ohne eine Miene zu verziehen: „Gar nicht mal so lecker.“ Jana verschluckte sich fast vor Lachen. Er war lustig, er sah toll aus. Gesund, fröhlich, fit. Sie wollte ihren Olli zurück. Aber es war zu spät. Er hatte sich verändert oder sie oder sie beide, jedenfalls ging es so nicht weiter.
Am nächsten Tag sprach sie mit Olli.
„Ich brauche eine Veränderung. Ich kann so nicht weitermachen. Vielleicht sollten wir mal eine Auszeit nehmen“, sagte Jana.
„Willst du dich trennen?“, fragte Olli.
„Ehrlich gesagt, eigentlich schon.“
Olli war überrascht, aber er fiel nicht aus allen Wolken. Er hatte bemerkt, daß sie ihm gegenüber zuletzt anders gewesen war. Vielleicht hatte er insgeheim sogar damit gerechnet.
„Okay, dann sollte ich heute vielleicht lieber bei Moritz schlafen“, meinte Olli, „aber bei unserem Filmabend bleibt es, oder?“
„Ja, klar“, sagte Jana.
Keine von Janas Beziehungen hatte allzu lange gedauert. Sie konnte nicht sagen, wieso, aber ihre Freundschaften und Liebschaften endeten immer bald, nachdem die ersten Enttäuschungen einsetzten. Dabei fand sie nicht, daß sie zu schnell aufgab. Ihr Vertrauen wurde mißbraucht und sie zog sich zurück. Ein Fluchtimpuls, der sich ihrer bemächtigte. Wenn die Beziehung beendet war, blieb oft das Gefühl zurück, dem Falschen vertraut zu haben. Sie hatte sich so sehr gewünscht, daß es diesmal klappen würde, daß Olli einer war, der ihr Vertrauen verdiente.
Die Sache mit dem mißbrauchten Vertrauen zog sich schon durch ihr ganzes Leben.
Am Abend ihres 15. Geburtstages war ihr Vater wie so oft schwer betrunken nach Hause gekommen, doch diesmal war es nicht beim üblichen Spannen geblieben. Diesmal bedrängte er sie körperlich