Isargrauen. Max Winter
war denn der Blonde?“
„Frank Durroux. Arbeitet für Willi Winkler. Ist eigentlich ganz nett“, sagte er.
„Zu mir nicht“, sagte Jana.
„Ach komm, das war sicher nur Spaß. Der hat sich auch schon was reingezogen, wir feiern doch alle.“
„Kommst du jetzt mit mir?“, fragte sie.
„Nee, da drin ist es gerade super, bißchen später, okay?“
„Wenn du nur da drin bist, werde ich hier nicht alt“, sagte Jana.
Olli zog ein Gesicht.
„Es fängt doch gerade erst an. Ist doch wirklich ein tolles Fest. So was ist ja auch nicht jeden Tag. Meine Berliner Kumpels kommen vielleicht auch noch. Komm schon.“
„Wie du meinst. Ich bleibe jedenfalls nicht mehr lange.“, sagte sie. „Schläfst du dann bei mir?“
„Ja, Süße, mach ich, wird aber vielleicht spät.“ Sie küßten sich zum Abschied. Er zog sie dabei an sich. Aber sie spürte, daß er nicht bei ihr war.
Er steuerte wieder sein Spielzimmer an. Sie ging zurück in den Garten, schlenderte herum, atmete die Nachtluft, die nach Wald roch, wenn sie nicht gerade am Qualm all der Zigaretten und Joints vorbeiging, die um sie herum brannten. Sie schaute nach Leuten, die sie kannte, fand aber weder Michael Gerstmann noch die anderen.
Vielleicht war es Zeit zu gehen. Olli wollte sich ohnehin lieber ohne sie zudröhnen. Den kleinen Joint, den sie dabei gehabt hatte, um ihn mit Olli zu rauchen, würde sie nun eben zu Hause alleine rauchen. Und dazu noch ein Augustiner trinken.
Als sie zur Einfahrt kam, herrschte dort reges Treiben. Autos suchten Parkmöglichkeiten, Taxis hielten und ließen Gäste aussteigen, die dann die Auffahrt hochgingen.
Auch Frank Durroux stand auf der Straße bei einem schwarzen Dreier-BMW und unterhielt sich mit zwei Männern. Sie sah, wie er ein Päckchen annahm. Ihre Blicke kreuzten sich. Es gefiel ihm nicht, daß sie gerade jetzt hier vorbei kam. Sie ging an den dreien vorbei, ohne sie weiter zu beachten. Sie kannte auch die beiden anderen. Der eine war Charlie, der Dealer, der regelmäßig an Drehorten auftauchte und offenbar viele Leute kannte. Der andere hieß Kerndl und war sein Aufpasser. Wenn man ihn sah, hinterließ er einen bleibenden Eindruck. Ziemlich klein, aber muskulös, zerschlagenes Gesicht, Blumenkohlohren, Boxernase, links nur eine halbe Augenbraue.
Als sie auf ihren Wagen zuging, sah sie, daß im Fiat-Cabrio, neben dem sie geparkt hatte, jemand saß, der gerade den Motor anließ. Sie erkannte, daß es Arthur war.
„Du mußt aufpassen, daß dein Elvis nicht wegfliegt, wenn das Dach offen ist“, sagte sie.
Er lächelte sie an.
„Der kann nicht wegfliegen, der ist zu schwer. Das ist der späte Elvis. Der dicke Elvis.“
„Ist das dein Talisman?“, fragte Jana.
„Genau, so was in der Art. Bringt Glück und vertreibt böse Geister.“
„Gibt es in dieser Gegend viele davon?“, fragte sie.
„Ja“, sagte er, „hier wohnen die Filmleute.“
Als sie im Wagen saß und Richtung München fuhr, fiel ihr ein, woran sie Durroux erinnerte. Er hatte das hagere, versteinerte Gesicht, an dem man die harten Kokser erkannte. Mit ausgebrannten, seelenlosen Augen. Aber in Durroux’ Blick lag noch etwas anderes, sie wußte nicht, was es war, nur, daß es ihr nicht gefiel.
Daß Olli dort geblieben war, war nicht das Problem, sondern warum er geblieben war. Sie machte sich keine Sorgen, daß er eine andere abschleppen könnte. Dabei gefiel er vielen Frauen. Jung, gutaussehend, locker, Typ Sonnyboy. Was an ihr nagte, war, daß er sich in letzter Zeit in genau den Typus verwandelte, den sie beim Film gerade nicht mochte. Und so war er vorher gerade nicht gewesen. Vor ein paar Monaten hätte er mit Durroux überhaupt nichts anfangen können. Jetzt ließ er sie wegen ihm alleine nach Hause fahren.
Sie hatte Olli bei einem Dreh in Berlin kennengelernt. Er hatte dort für eine gute Beleuchter-Crew gearbeitet. Als Beleuchter schleppte er den ganzen Tag im Rekordtempo die großen Scheinwerfer, die Brenner, die Stative und die Kabel. Sie waren immer früh am Set, bauten schnell auf, tagsüber schnell um, abends schnell ab. Wenn am Set nicht weitergedreht wurde, lag es nicht selten an dieser Abteilung, weil es eben dauerte, bis neu eingeleuchtet war. Harte Arbeit. Und die Beleuchter waren die, die wußten, wie man das Licht setzen mußte, damit es so aussah, wie der Regisseur und der Kameramann es wollten. Sie waren Lichtkünstler, wenigsten einige von ihnen, und die guten Oberbeleuchter waren sehr gefragt.
Sie mochte seinen harten Körper, seine unbeschwerte Art, seine Berliner Lockerheit. Aber Kokain machte schneller abhängig als Heroin und gab man dem nettesten Beleuchter, den man finden konnte, Koks, wurde sogar aus ihm schneller ein Arschloch, als man schauen konnte.
Sie kam am Haus der Kunst vorbei, dann überquerte sie die Ludwigstraße, auf der nur ein einsamer Radler unterwegs war. Dann bog sie in die Amalienstraße ein und kam zu der Baustelle, die zur Straße hin abgesperrt war. Niemand war zu sehen. Sie parkte und ging zum Rand der Baugrube. Eine Plane hatte sich etwas gelöst und gab die Sicht frei. Etwa fünf Meter unter ihr war die geschotterte Fläche, in der eine längliche Mulde zu sehen war. Sie fragte sich, was hier passiert sein mochte. Sie wußte nicht, daß hier ein Mensch verscharrt worden war, um mit Beton zugeschüttet zu werden, um in einem für hundert Jahre undurchdringlichen, steinernen Grab verhüllt zu werden, auf dem dann Menschen leben würden, die nicht wußten, daß unter ihnen ein namenloser Toter lag.
Plötzlich wurde Jana bewußt, daß sie unglaublich traurig war. Sie hätte heulen können. Wieder einmal entwickelte sich eine Beziehung, die vielversprechend begonnen hatte, nicht so, wie sie es sich gewünscht hätte.
Sie riß sich los von dem Blick nach unten, ins Dunkle, der sie sogartig fesselte und ging zu ihrem Wagen und fuhr heim.
In der Gerichtsmedizin
Jana hatte bereits zu Mittag gegessen, als Olli am nächsten Tag zu ihr kam. Er war völlig übermüdet und hatte eine Whisky-Fahne. Als erstes machte er sich ein Bier auf, dann drehte er sich einen Joint. Jana wußte nicht, daß es bereits sein dritter war, seit es hell geworden war. Das Problem war das Runterkommen nach dem High. Endlich schlafen können, wenn der Körper längst ausgelaugt war und das Hirn sich in sinnlosen Kreisen drehte.
Trotz ihrer Zweifel war Jana froh, ihn zu sehen.
Sie saß in der Küche, er ging hektisch auf und ab.
„Die suchen einen Beleuchter bei ihrer Produktionsfirma. Frank Durroux ist dort Produktionsleiter. Die machen eine Pilot-Folge für eine Serie. Sie haben mir einen Job angeboten. Hört sich nicht schlecht an.“
„Ich mache mal Kaffee“, sagte sie.
Den Nachmittag über sprachen sie wenig miteinander. Es war sinnlos, solange er so nervös war. Er war mit sich selbst beschäftigt.
Sie ging in den Englischen Garten laufen, in den großzügigen Park mitten in München, den sie liebte. Sie lief dort regelmäßig. Sie konnte dabei gut nachdenken, die Gedanken kamen und gingen. Die Bewegung tat ihr gut, sie baute so Streß ab. Als sie nach dem Laufen nach Hause kam, schlief er bereits.
Am Montag sagte Olli den neuen Job zu. Er meinte, daß er eine Zeitlang nichts gegen eine Daily Soap einzuwenden hätte. In der Branche kannten alle die Vorteile. Es war nine to five für Filmleute. Eine geregelte Arbeitszeit, keine Überstunden, keine Arbeit am Wochenende, leichte Dreharbeiten, weil man täglich viel Sendezeit drehen mußte, und das ging nur, weil vieles gleich blieb und man nicht allzu pingelig war. Das Licht war leicht zu setzen. Knallhell, voll ausgeleuchtet, keine Tiefe. Daily Soap-Licht eben.
Der Nachteil war, daß man seinen Namen mit etwas wenig Anspruchsvollem in Verbindung brachte und man dann vielleicht nicht mehr für Kinoproduktionen engagiert wurde, was die meisten Filmschaffenden wollten,