Isargrauen. Max Winter

Isargrauen - Max Winter


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hatte, konnte Jana nichts sagen. Sie wollte schon, daß er in der Münchner Filmszene zurecht kam und als Beleuchter Jobs bekam. Aber mußten es ausgerechnet diese Typen sein? Als Olli sagte, sie werde schon noch sehen, daß Frank schon ganz in Ordnung sei, meinte sie, das glaube sie nicht.

      Der Fund der Leiche hatte für Aufregung im Polizeipräsidium gesorgt, bis ganz nach oben. Das hieß für Arnold Gassinger, daß er die Ermittlungen nicht so frei führen konnte, wie er es sich gewünscht hätte. Man würde ihm dabei immer über die Schulter schauen, auch wenn er der leitende Beamte war, sobald es sich um Mord handelte. Doch der Polizeipräsident sah es als seine Aufgabe an, seinen Untergebenen mehr als nur beratend zur Seite zu stehen. Und die Ruhe in der Bevölkerung war für ihn ein hohes Gut, das man nicht leichtfertig und durch unangebrachten Aktionismus aufs Spiel setzen durfte.

      Die Wahlen hatten zwar gerade stattgefunden, aber im Rathaus und in der Staatskanzlei war man schlechten Nachrichten immer abgeneigt. Es mußte grundsätzlich vermieden werden, daß die Kravallblätter von einer „Folter-Leiche auf Luxus-Baustelle“ berichteten und daß die Zeitungen, die vorgaben, seriös zu berichten, sich in langen Artikeln über böse Spekulanten ausließen und der Polizei Unfähigkeit unterstellten.

      Genau auf solche Gefahren war Gassinger von seinem Vorgesetzten aufmerksam gemacht worden. Der hatte ihm auch gleich das wahrscheinlichste Ermittlungsergebnis mitgeteilt. Es handelte sich um eine Einzeltat, bedauerlich natürlich, aber beruhigenderweise ohne Zusammenhang mit irgend etwas außer vielleicht dem Täter. Aber Gassinger war schon lange im Geschäft. Er hatte nicht nur einmal erlebt, daß beim Erklimmen der Karriereleiter eine wundersame Verwandlung vom kompromißlosen Bullen in ein weitsichtiges und alles abwägendes politisches Wesen stattfand.

      Und was die Ermittlungen anging, schufen ein paar Photos, die zur rechten Zeit auf geheimnisvolle Weise den Weg zu einer Zeitung fanden, unabweisbare Fakten.

      Als er wieder in sein Büro trat, wartete sein Assistent Rudolf Wörl bereits mit dem Obduktionsbericht auf ihn. Gassinger vertiefte sich darin und als er damit fertig war, machte er sich auf den Weg zu Dr. Werner Karg, dem Rechtsmediziner, der um diese Zeit im Institut war.

      Er fand ihn in dem kleinen Büro, das neben den gekachelten und mit stählernen Tischen versehenen Sezierräumen lag. Der Arzt war hager und sehnig, er wirkte wie ein Marathonläufer, hatte aber für Sport jeder Art nur Verachtung übrig. Dafür rauchte er drei Packungen Zigaretten täglich.

      Er bot Gassinger einen Stuhl an.

      „Einen Kaffee?“, fragte er.

      „Danke, mach dir keine Mühe.“, antwortete Gassinger.

      „Interessant, oder? Hatten wir so was schon mal?“

      „Nein, sieht nicht so aus. Im Bericht ist die Rede von über fünfzig Einzelverletzungen. Und die Todesursache ist ein Stich durchs rechte Auge.“, sagte Gassinger.

      „Ja, genau.“, antwortete Werner Karg.

      „Dann mal raus damit, laß hören“, meinte Gassinger.

      Deswegen war er zu Karg gegangen. Ihn interessierte, was er ihm im persönlichen Gespräch sagen würde, Vermutungen aller Art, vielleicht auch nur Eindrücke, die Rückschlüsse auf den Täter geben konnten. Er wollte gerade auch das wissen, was vielleicht nicht im Bericht stand, weil es zu spekulativ war.

      „Todeszeitpunkt etwa 24 Stunden vor dem Fund. Womit wir es zu tun haben, ist eine Folterung. Das Ganze hat sich über mehrere Stunden hingezogen, vier bis fünf. Das Opfer wurde auf einem Stuhl fixiert, und zwar an den Füßen, an den Händen und am Hals. Der letale Stich durchs Auge wurde mit einer Art Dolch ausgeführt, der nicht besonders scharf war. Die anderen Schnittverletzungen wurde mit zwei verschiedenen Werkzeugen zugefügt, einem ziemlich stumpfen Messer, vielleicht einem Kochmesser, und einem sehr scharfen Messer, könnte ein Skalpell gewesen sein. Die Brandverletzungen wurden mit Zigaretten, Zigarren und offenen Feuerquellen, zum Beispiel Feuerzeugen, beigebracht. Der Folterer hat kein medizinisches Fachwissen. Ein Koch ist da auch nicht dabei. Ich würde eher unter Grobmotorikern suchen.“ Er lächelte nicht ohne Bitterkeit.

      „Sprich weiter“, sagte Gassinger.

      Der Mediziner zündete sich eine neue Zigarette an der alten an.

      „Also, man muß es schon aushalten können, einen Menschen so lange leiden zu sehen. Das Opfer muß mehrfach vor Schmerz ohnmächtig geworden sein. Dann hat man gewartet, bis es wieder bei Bewußtsein war – und weitergemacht.“

      „Und das Koks im Blut?“, fragte Gassinger.

      „Das wurde zuletzt einen Tag vor den Verletzungen eingenommen, allerdings nicht regelmäßig. Und nur eine geringe Menge. Wie jemand, der es einmal probiert. Koks wäre auch kontraproduktiv – jedenfalls aus Sicht der Täter. Die wollten Schmerz erzeugen.“

      „Also ein Rachemotiv?“, fragte Gassinger.

      „Möglich. Aber eher kühl ausgeführt. Kein Affekt. Ein Sozio- oder Psychopath. Oder ein Auftrag.“

      „Mafia?“, fragte Gassinger.

      „Die foltern zwar, aber dann sieht das anders aus. Ich kann es dir nicht sagen. Sicher ist nur, wer immer beteiligt ist, zeichnet sich durch außergewöhnliche Empathielosigkeit aus. Ich meine, ich bin kein Psychiater. Aber das ist leicht zu sehen. Hier sind wir am oberen Ende der Skala. Extremer Narzißmus. Extremer Sadismus. Sehr gefährlich.“

      Bei ARRI

      Jana war häufig bei ARRI, das war ein ganzer Gebäudekomplex, in dem sich auch Studios und eine Post-Production befanden. Sie mußte dort meistens zum Kameraverleih. Die meisten Münchner, die dort hingingen, wollten ins gleichnamige Kino, das einen modernen Vorführsaal mit bequemen Sesseln hatte. Die wenigsten wußten, daß Arnold und Richter auch erstklassige Filmkameras bauten und dafür ständig Oscars bekamen. Die Münchner Produktionen liehen sich die ARRI-Kameras und die passende Ausrüstung dann eben beim Kameraverleih.

      Es war Aufgabe der Kameraassistenten, das Material abzuholen, meist am Tag vor Produktionsbeginn, und es dann gleich dort zu testen. Dafür gab es einen Raum neben der Ausgabe, wo sie die Kamera aufbauten, eine Optik daraufschraubten und dann auf eine Wand sahen, wo eine Graphik aufgemalt war, die ein wenig so aussah wie ein Testbild im Fernsehen. Wenn die Produktion viel Geld hatte, nahmen sie eine 35 mm-Kamera. Die Kamera, aber auch die passenden Objektive, kosteten mehr Miete, außerdem ging natürlich das Material ins Geld, dafür war die Bildqualität unvergleichlich gut. Wenn weniger Geld da war oder ohnehin fürs Fernsehen produziert wurde, wählte man die 16 mm-Variante.

      Das Testen der Ausrüstung war nicht nur wichtig, damit die Kameraassistenten nicht mit fehlerhaftem Equipment zum Dreh kamen und dann der ganze Drehtag im Eimer war, sondern auch, weil es teuer wurde, wenn etwas kaputt war. Wenn in Wohnungen oder Häusern gedreht wurde, rechneten die Produzenten eine Summe für Schäden mit ein, weil erfahrungsgemäß immer eine Vase zu Bruch ging, ein Stativ durch ein Fenster kippte oder ein Produktionsfahrer einen Zaun umfuhr. Das machte das Filmgeschäft genau aus: mörderischer Streß, wobei jeder Fehler fatal sein konnte, gewürzt mit einer ordentlichen Prise Streit.

      Jana lernte früh, daß es wichtig war, daß der Ruf alles war und sich Fehler in Windeseile herumsprachen. Ein Fahrer, der mehrfach irgendwo dagegen rumpelte, konnte sich etwas anderes suchen. Ein Regieassistent, der keine Menschenmassen dirigieren konnte, war für den Job ungeeignet, ein Produktionsleiter, der, wenn jemand plötzlich ausfiel, nicht ruckzuck einen Ersatz aus dem Hut zaubern konnte, war seiner Aufgabe eben nicht gewachsen.

      Wenn Jana sich bei einer Produktionsfirma bewarb, für die sie noch nicht gearbeitet hatte, schaute sie dort natürlich zu Bürozeiten vorbei, wenn nicht gerade alle mitten im Produktionsstreß waren. Sie gab ihren Lebenslauf ab, auf dem ihre bisherigen Jobs aufgelistet waren. Die neue Firma rief dann einfach jemanden von der Liste an, in der Branche kannte ohnehin jeder jeden, und fragte nach Jana. Dann hieß es: das macht sie gut. Das reichte. Wenn dann jemand gebraucht wurde, bot man ihr den Job an. Natürlich für etwas zu wenig Geld, dann sagte Jana, es müsse schon ein wenig mehr


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