Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich

Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser - Gerstäcker Friedrich


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schwerste Zeit an Bord haben die Frauen, denn außer der Sorge um die kleine Brut, die lustig tobend über Deck schwärmt und klettert und steigt und ewige Aufsicht erfordert, nicht dennoch zu Schaden zu kommen, nagt ihnen das, was sie verlassen haben, auch am meisten am Herzen. Die Frau ist weit mehr an die Scholle gebunden als der Mann; ihr ganzes Leben und Wirken schon liegt in der Häuslichkeit, in dem engen Kreis ihres eigenen Herdes, und nur mit Mühe und tiefem Schmerz reißt sie sich von diesem los. Hätten die Frauen darüber zu bestimmen, nicht der zehnte Teil der Auswandernden würde das Vaterland verlassen, und lieber ertrügen sie das Schwerste, ehe sie die wohnliche Stätte mieden, die ihre Heimat geworden. Bei ihnen wurzelt die Erinnerung an das, was sie verloren, auch am tiefsten; die Sorge für die Zukunft müssen sie doch dem Manne überlassen, und all' ihr Sinnen und Grübeln gehört der Zeit, die hinter ihnen liegt. Die Frauen sind deshalb gewöhnlich die stillsten Passagiere an Bord, und wenn sie auch nicht klagen und jammern über etwas, das nun doch einmal nicht mehr zu ändern ist, spricht die heimlich zerdrückte und rasch und ängstlich wieder entfernte Träne, die ihnen nur zu oft die Wange feuchtet, desto lebendiger das aus, was ihnen auf der Seele liegt.

      Gleichgültig gegen alles Derartige sind natürlich die Matrosen, Steuerleute und Kapitän mit eingerechnet. Die See ist ihre Heimat, sie kennen keine andere, und das Schiff ist der Gegenstand, um den sich ihre ganze Sorge dreht.

      Der Seemann gehört auch wirklich mit zu den Amphibien, d. h. zu den Wesen, die auf dem Lande und im Wasser oder wenigstens auf dem Wasser leben können, sonderbarerweise aber sämtlich das Wasser vorziehen und zu ihrem Hauptaufentaltsort wählen.

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      Am Lande sind sie unbehilflich und linkisch, man kann sie auf den ersten Blick erkennen: der schwankende Gang, die vom Körper abhängenden Arme, die etwas gedrückte Haltung selbst, machen die Burschen überall kenntlich, wo sie sich auf festem Boden sehen lassen. Sie fühlen sich auch dort nicht wohl, sie wissen, wie das ihr Element nicht ist, und halten sich wie Seehund, Frosch, Alligator, Schildkröte etc. etc. immer dicht am Ufer auf, zu neuer Ausfahrt jeden Augenblick bereit. Ein echter Matrose würde sich im inneren Lande gerade so wohl da fühlen wie ein Fisch auf einer Wiese.

      Der echte Matrose wechselt auch sein Schiff nicht gern. Wenn er es nur irgend mit Kapitän und Steuermann aushalten kann und diese es ihm eben nicht gar zu bunt machen, bleibt er an Bord des einmal gewählten Fahrzeugs und gewinnt das lieb, wie wir die eigene Heimat lieb gewinnen. Er wird sogar stolz darauf und fühlt sich bitter gekränkt, wenn ein anderes Schiff besser aufgeriggt, reinlicher gehalten wäre, oder gar, das Schlimmste von Allem fast, schneller segelte, als das seine, und mit gleicher Anzahl von Segeln auf offener See an ihm vorbeiliefe. Es ist ein Teil seiner selbst geworden, und was dem Schiff geschieht, geschieht auch ihm.

      Einen besonderen Hass hat der Seemann, der echte, richtige Matrose wenigstens, auf Passagiere – oder, wenn er sie auch nicht gerade wirklich hasst, verachtet er sie doch gründlich. Ein Passagier ist ihm das nutzloseste, unbequemste, störendste und fatalste Stück Fracht, das sich auf der weiten Gotteswelt nur denken lässt, und einem ordentlichen Matrosen wird es auch nie einfallen – wenn er das irgend ändern kann – sich ein Schiff auszusuchen, das regelmäßige Passagierfahrten macht – er ginge ebenso gern auf einen Walfischfänger.

      Überall im Wege, wo sie nicht gebraucht werden, alles beschmutzend und verderbend, woran sie die Hände legen können, auf allen Reisen fast Ungeziefer brütend, machen ihm die Passagiere das Schiff zu einer Hölle, und haben selber genug dabei von seinem Unmut und Schabernack zu leiden. Wozu, um Gottes willen, ist solch ein Passagier auch nütz? – Er kann nicht nach oben gehen, denn wenn er das Deck wirklich einmal verlässt, um in die Wanten zu steigen, hat er alle Hände voll zu tun, sich nur selber festzuhalten; er kann kein Segel nähen, kaum einen Reefknoten machen, kann nicht steuern, noch eine der gerade verlangten Brassen (Die Taue zum Anholen der Rahen) finden, und wenn er Monate lang an Bord wäre, und ist zu faul, Schiemanns Garn zu drehen oder Werg zu zupfen. Was also in der weiten Welt ist mit ihm anzufangen? Gar nichts. Dabei sitzt er gewiss immer an den Stellen, wo er gerade nicht sitzen sollte, hängt die gewaschene Wäsche an das laufende Tauwerk, dass die Falle, wenn sie einmal recht rasch angeholt werden sollen, in den Blöcken hängen bleiben und einklemmen, hat natürlich immer nägelbeschlagene Schuhe und zertritt die frisch gestrichenen Decks, und trampelt regelmäßig zur Unzeit über dem „Logis“ herum, in dem der Teil der Mannschaft, der „seine Wache zur Koje hat“, liegt und die paar Stunden schlafen will.

      Außerdem kann er nur einen Menschen verachten, der seekrank wird, und zwar so seekrank, wie es eben nur ein Passagier werden kann. Und in der Zeit hat der Matrose auch wirklich seine wahre Last und Not mit dem unglückseligen Volk in Zwischendeck und Kajüte, das, wie er nur kaum einmal das Deck rein gewaschen hat, aus irgend einer Luke vorgestürzt kommt, nur selten im Stande ist, die Reling zu erreichen, und seiner Krankheit den Lauf lässt, wo er eben liegt. Wer dann wieder mit Eimer und Scheuerbesen hinterher kommen muss, ist natürlich der Matrose, und die einzige Erleichterung, die er sich dabei verschaffen kann, ist, seinem Herzen durch eine unbestimmte, ungemessene Anzahl von Flüchen Luft zu machen.

      Und wie sieht so ein Auswanderer-Schiff in der Zeit von außen aus! – Was müssen die Fische denken, wenn sie vorüberschwimmen! – denn von der Schiffmannschaft schaut gewiss keiner über Bord. Doch genug von den Leuten; wir wollen an Bord selber zurückkehren.

      Es war Abend – eigentlich der erste warme, freundliche und stille Abend, den die Auswanderer gehabt, seit sie in der Schelde ihren Anker gelichtet, und die Passagiere versäumten nicht, ihn zu genießen. Der kleine dicke Schuster besonders war unter ihnen tätig, einen Ball zu arrangieren, holte aus den Tiefen seiner Kiste eine alte Violine – eine „Schwester von Paganini's Instrument“, wie er behauptete –, setzte sich damit auf den Windlass, der hinter dem Hauptmast stand und dessen blank gescheuerter Messingknopf mit einer ledernen Überkappe bedeckt war, und begann eine wahrhaft nichtswürdige Polonaise zu spielen.

      Wo sich aber, bei wirklich guter Musik, mancher nach der so kurzen Trennung von der Heimat gescheut haben würde zu tanzen, überwand das Komische dieser kreischenden, ohrzerreißenden Melodie, die kein anderes Verdienst hatte, als ihre Misstöne wenigstens im richtigen Takt herauszustoßen, bald jede weitere Bedenklichkeit. Selbst die sonst Ernstesten lachten erst über die wirklich entsetzlichen Passagen, die der Schuster mit einer unzerstörbaren Ruhe und endlich, als er mehr in Hitze kam, selbst im Schweiße seines Angesichts herausarbeitete, und traten dann langsam selber mit zu der endlosen Polonaise an, die sich um den Windlass herum am Larbordgangweg (Larbord = Backbord – Statbord = Steuerbord) hin, vorn vor dem Logis vorüber und dann auf dem Starbordgangweg zurück wieder zu dem Platze bewegte, von dem sie ausgegangen war. Selbst einige hannöversche Bauern in Holzschuhen nahmen an dem Tanze teil, und wie der Schuster erst einmal sah, dass er sie alle in Bewegung hatte, sprang er mit seinen Dissonanzen plötzlich in einen munteren Rutscher über, dessen Erfolg über sein Erwarten gut ausfiel.

      Eine Masse junger Leute, Burschen und Mädchen, waren an Bord, bei denen es eben keiner besonderen Einladung bedurft hätte, sie zum Tanz zu bringen, und die fingen natürlich rasch an, sich lustig im Kreise zu drehen. Die Übrigen folgten, wenn auch etwas langsamer, dem gegebenen Beispiel, und selbst von den Matrosen mischten sich einige zwischen die wie von der Tarantel Gestochenen, griffen sich die hübschesten Mädchen heraus und flogen im Takt herum, den jetzt die Holzschuhe der Hannoveraner, selbst ohne die dazwischen quietschende Violine, auf dem Deck der „CAPTAUBE“ schlugen und stampften.

      Der Kapitän hatte nichts gegen das fröhliche Treiben an Bord; bis acht Uhr, wo doch sämtliche Mannschaft an Deck versammelt war, konnten sie toben, die Bewegung war ihnen überdies gesund, dann freilich, mit dem Ton der Glocke, war Feierabend – die Schiffs-Polizeistunde – und die Nacht begann. Die Zeit bis dahin musste also nach besten Kräften benutzt werden.

      Rasch und schäumend, über die nur leise wogende See, verfolgte indessen das wackere Schiff seine Bahn; der Wind hatte sich nach Nordosten gedreht, und mit allen Segeln gesetzt, bis in die obersten Stengen hinauf, durchschnitt der scharfe Bug lustig die zischend und spritzend zur Seite schlagende Flut. Vorn im Westen erhob sich zwar eine dunkle Wolkenschicht, hinter der die Sonne jetzt glutrot niedersank, aber die obere


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