Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich

Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser - Gerstäcker Friedrich


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Saum, der ihren Horizont umzog.

      Hell und klar funkelten die Sterne schon vom sonst wolkenreinen Himmel nieder und zu ihrer Rechten wurde ein rotschimmernder Punkt dicht über dem Wasserspiegel sichtbar – ein Leuchtfeuer der englischen Küste, unter der sie hinsegelten. – Wie das so still und freundlich zu ihnen herüberglühte von dem fernen Strand, der sichere Führer nach dem Hafen dort. Aber ihr Ziel lag weiter; kein gastliches Ufer konnte sie ablocken von der bestimmten Bahn, und weiter und weiter zurück blieb das Wachtlicht dort drüben, bis andere vor ihnen auftauchten, die Bahn bezeichnend, die sie nahmen.

      Der Tanz hatte jetzt aufgehört; die Tänzer waren allerdings so wenig müde geworden wie der Geiger, aber die Saiten des Instruments – wenn der violinartig geformte Kasten wirklich einen solchen Namen verdiente – weigerten längeren Dienst, mussten, da sie in der feuchten Abendluft mehr und mehr nachgaben, höher und höher hinaufgeschraubt werden und platzten endlich. Nur die Holzschuhe waren einmal in Gang und Taktgekommen und klapperten fort, bis endlich des Kapitäns lauter Ruf auch ihre Fröhlichkeit unterbrach und den misshandelten Schiffsplanken Ruhe gönnte.

      Es wurden Leute nach oben geschickt, die leichteren Segel einzunehmen und ein paar gegen Abend ausgesetzte Leesegel wieder einzuholen; die Wolkenwand im Westen hob sich höher und drohender, und der vorsichtige Seemann wollte sein Segelwerk bei doch etwa eintretendem andern Wind besser in der Gewalt haben.

      Die Oberbramsegel flatterten und schlugen im nächsten Augenblick an ihren Rahen, die „leichten Matrosen“ sprangen nach oben, um sie an ihren Hölzern festzuschnüren; die Leesegel kamen ebenfalls blähend an Deck und wurden dort geborgen, und die nächste Wache, die von acht bis zwölf zu stehen hatte, lag, ihre Antrittszeit erwartend, vorn auf der Back, den Erzählungen des Segelmachers lauschend, der einst an Bord eines englischen Kriegsschiffes gedient hatte und die nötige Gabe besaß, ein „Garn zu spinnen“, d. h. eine Erzählung mit der fabelhaftesten Phantasie auszuschmücken und zu würzen.

      Die Auswanderer hatten sich indessen ebenfalls in kleinen Gruppen gesammelt. In Lee (Die der Richtung, von welcher der Wind herkommt, entgegengesetzte Seite des Schiffes) stand eine Anzahl von ihnen zusammen und sang ihre heimischen Weisen; andere lehnten über Bord und schauten still und schweigend zu den einzelnen Leuchtfeuern hinüber, die jetzt auch von der französischen Küste sichtbar wurden und untergehenden Sternen glichen, und wieder andere lagen über die an Deck festgeschnürten Wasserfässer zerstreut, oder im großen, zwischen dem Haupt- und Fockmast befestigten Boot, bliesen den Rauch ihrer Pfeifen oder Zigarren in die stille Nachtluft hinein und schauten zu den Sternen und den schwankenden Masten hinauf.

      Ein eigentümlich schriller Laut pfiff da über die See, und das Schiff neigte sich plötzlich und scharf nach Lee hinüber, dass, wer nicht fest stand, zur Seite rutschte und rollte und alles an Deck stehende lockere Geschirr und Gerät polternd nach Larbord über kollerte.

      „Steht bei den Fallen! Los mit den Bramfallen, um euer Leben, los mit den Marsen!“ schrie in diesem Augenblick die Stimme des Kapitäns gellend über Deck. Die Matrosen sprangen erschreckt herbei, aber sie selber hatten Not, sich im ersten Augenblick der Überraschung festzuklammern und nicht ebenfalls nach Lee zugeworfen zu werden, und ehe sie nur die Falle, an denen die oberen Rahen befestigt waren, erreichen und, wie der Befehl lautete, abwerfen konnten, brach es und knatterte es oben in den Stengen und kam, unter dem Heulen der plötzlich aufgesprungenen Bö, rasselnd an Deck nieder, zwischen die ängstlich aufschreienden Passagiere hinein.

      Noch standen die unteren Masten, und durch die niedergeschmetterten Stengen hatte der so plötzlich herangebrauste Sturm wenigstens seine größte Macht auf das Schiff verloren, das sich langsam wieder aufrichtete. Aber die „CAPTAUBE“ trieb auch, ein halbes Wrack, auf den Wellen, und unter dem Flattern der Segel, da der Mann am Steuer in plötzlichem Schreck das Schiff gerade in den Wind hineingedreht hatte, dass es nicht den mindesten Fortgang mehr durch's Wasser machte, sprangen die Matrosen jetzt an ihre Plätze, lösten die Schoten des großen Segels und den Fock, ließen den Clüver nieder – der Clüverbaum war ebenfalls abgebrochen – und warfen das Besansegel los.

      In furchtbarer Schnelle hatte sich indessen die im Westen aufgekommene Wand gehoben; von der Windsbraut getragen, kam sie herauf, und wie die Leute nahe dabei waren, das indessen wieder seinem Steuer gehorchende Schiff von Allem frei zu kappen, was darum herging, an Deck zu ziehen, was zu retten war, und das Übrige über Bord zu schneiden, kam ein flutender Regen wolkenbruchartig niedergeströmt, sammelte sich an Deck und schlug, da er so rasch gar nicht durch die jetzt überdies noch mit Segel und Tauwerk verstopften Speygaten ablaufen konnte, in die noch offenen Luken hinein.

      Die Passagiere hatten den ersten Anprall des Sturmes mit dumpfem, starrem Schweigen hingenommen. So plötzlich war das Unwetter aus vollkommen heiterer Luft über sie hereingebrochen, so wild und toll schlugen ihnen die Stengen und Segel dazu um die Köpfe, dass sie die Größe des Unfalls nicht einmal gleich begriffen. Nur die Frauen bemächtigten sich instinktartig zuerst der Kinder, um diese vor den fallenden Hölzern, wenn es sein musste mit dem eigenen Körper zu decken, gewannen aber auch zuerst ihre Stimmen wieder und schrien und wehklagten jetzt in das Heulen und Brausen der Elemente hinein.

      Hatten die Seeleute übrigens die Passagiere, die ihnen mehr als je überall im Wege waren, noch bis jetzt unbelästigt an Deck gelassen, so war das die alleinige Ursache gewesen, dass sie auch noch nicht einen Augenblick Zeit bekommen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Jetzt aber, wo der niederströmende Regen seine Flut selbst auch in die noch offenen Luken des Zwischendecks ergoss und die darunter liegende Fracht zu beschädigen drohte, änderte sich die Sache, und die Passagiere wurden beordert, nieder zu klettern, damit die Luken geschlossen werden konnten.

      Unter dem Schreien und Jammern der Frauen und Kinder, und dem Fluchen der Männer, die sich größtenteils nur ungern dem Befehle fügten, wurde das endlich bewerkstelligt, und die übergehobenen Luken deckten wenige Minuten später den unteren, dunkeln, dumpfigen Raum des Zwischendecks mit Nacht und Schweigen. Die Mannschaft an Deck bekam freien Raum, das zerrissene Takelwerk wie die zersplitterten Masten so viel als möglich in Ordnung zu bringen, um das Schiff wenigstens regieren zu können, und als das geschehen war, änderte der Kapitän den Kurs. Mit den wenigen noch möglichen Segeln konnten sie sich aber nur langsam durch die rasch erregte Flut fortbewegen, und das Sicherste für sie war, nach Norden hinauf zu laufen, um mit Hilfe der Leuchttürme einen schützenden Hafen zu erreichen, wo der erlittene Schaden wieder ordentlich repariert werden konnte. Mit dem Wrack durfte er nicht wagen, seine Reise durch den Atlantischen Ozean fortzusetzen.

      An Deck arbeiteten die Matrosen jetzt mit unermüdlichem Eifer, ihr Schiff von allem, was es noch behinderte, nicht allein frei zu bekommen, sondern auch die noch stehenden kurzen Masten und das Takelwerk zu untersuchen, das Schiff auszupumpen, ob die Erschütterung nicht vielleicht irgendwo eine „Naht“ aufgerissen habe, und dann soviel als möglich Segel zu setzen, um rascheren Fortgang zu machen. Die so plötzlich hereingebrochene Bö hatte sich indessen wieder vollständig gelegt; die See brauste und wogte allerdings noch heftig und unruhig, und weiße Schaumadern zischten durch die aufgeregten Wasser, aber die Luft war ruhig geworden, und nur im Nordwesten dichteten sich die Wolken mehr und mehr, und sandten von dort aus breite Schattenstreifen ab, hinter denen die funkelnden Sterne bald vollständig verschwanden. Nur die jetzt aufgehende Mondessichel warf dann und wann einmal einen flüchtigen matten Schein durch die zerrissenen Schleier nieder und beleuchtete das rege, tätige, ängstlich schaffende Leben an Bord des Wracks.

      Im Zwischendeck sah es indessen traurig aus. Abgeschlossen von Luft und Licht, mit den nassen Kleidern nach unten geschickt, die jetzt einen feuchten, unangenehmen Dunst ausströmten, in vollständiger Dunkelheit dabei, hatten die armen Auswanderer, unter dem Wimmern und Schreien der Frauen und Kinder und dem Stöhnen Einzelner, die von der Seekrankheit wieder erfasst worden, eine traurige Stunde zu verbringen. Durch das ruhige Wetter sorglos gemacht, war eine Masse von Geschirr, halbgefüllte Flaschen, Gefäße mit Wasser oder Tee und anderen Sachen, im Laufe des Abends oberflächlich auf die Kisten gestellt oder nur leicht verwahrt worden, dem geringen Schaukeln des Schiffes zu begegnen. Wie aber dem Steward in der Kajüte, bei dem plötzlichen Überwerfen des Fahrzeugs, ein ganzer Korb Geschirr nach Lee hinübergeworfen und meist zertrümmert worden, so stürzte hier unten mit dem ersten Stoß das ebenfalls über den Haufen,


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