Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes. Bettina Reiter
der Flasche wegzubringen.“
„Dad würde Mutter sofort zurücknehmen, so sehr liebt er sie“, erinnerte sich Annie an ihr Gespräch in der Küche. „Wenn Mom ihn allerdings so sehen müsste … er würde sich in Grund und Boden schämen. Dad, ein Schatten seiner selbst und sie, die sich mitten im zweiten Frühling befindet. Der Schuss würde nur nach hinten losgehen.“ Annie richtete sich auf. „Beenden wir das unsinnige Gespräch. Die beiden lassen sich scheiden und damit basta.“
„Apropos Scheidung“, wurde Jeremy hektisch, „in einer Stunde erwarte ich ein junges Paar zum Traugespräch.“ Schwerfällig erhob er sich. „Melde dich, wenn du mich brauchst … oder Geld. Viel habe ich nicht, doch es reicht, um euch eine Weile über Wasser halten zu können. Vom Geschäft ganz zu schweigen. Mein Dad hat es dir vermacht und nicht der Bank. Also, wenn ich etwas tun kann, lass es mich wissen.“
2. Kapitel
Das fade Mittagessen lag Jack noch jetzt im Magen. Gebackene Makrele mit Stachelbeersauce gehörte angeblich zu den Spezialitäten Cornwalls und hatte sich vorzüglich angehört. Nur wusste der Koch scheinbar nicht, wie man die Speise schmackhaft zubereitete. Abgesehen davon war das Frühstück ebenfalls ein Hohn gewesen. Dünner Kaffee, harte Brötchen, ein Butterstückchen und Marmelade. Es würde dauern, bis seine Geschmacksknospen nicht mehr beleidigt waren, allerdings wunderte ihn in diesem Hotel gar nichts mehr.
Genervt starrte Jack auf seine Unterlagen. Es gelang ihm nicht, sich darauf zu konzentrieren. Dabei hatte er sich extra in den kleinen Saal gesetzt, weil dieser weniger frequentiert war als das von Küchengerüchen verpestete Restaurant. Vor zehn Minuten war jedoch eine Jugendgruppe eingetroffen. Nun lümmelten einige von ihnen in den unbequemen himmelblauen Stoffstühlen mit weißen Sternchen und unterhielten sich lautstark. Dazwischen hörte man ständig das Läuten von Handys oder schallendes Gelächter.
„Tut mir leid, ich wurde aufgehalten“, erklang Michaels krächzende Stimme, der seine gelbe Krawatte lockerte und sich aufatmend in den Stuhl gegenüber plumpsen ließ, als hätte er einen Marathon hinter sich.
„Ich hoffe, deine Verspätung hat einen guten Grund“, begrüßte Jack ihn nicht gerade freundlich und sah sich in Gedanken bereits in der klimatisierten Limousine sitzen, die geradewegs auf das gebuchte Fünf-Sterne-Hotel zufuhr.
„Wie man es nimmt.“ Michael schaute ihn an, als würde er abwägen, was er ihm zumuten konnte und was nicht. „Der Mechaniker hat von ein paar Tagen gesprochen“, ließ er schließlich die Katze aus dem Sack.
„Ein paar Tage?“, entfuhr es Jack. „So lange halte ich es in diesem Kaff nicht aus. Kannst du ihm keinen Druck machen?“
„Was denkst du, was ich getan habe? Mein Mund ist trocken wie die Sahara, so sehr habe ich auf den Mann eingeredet“, verteidigte sich Michael. „Bedauerlicherweise ist er Südländer, wenn du verstehst, was ich meine. Deshalb würde ich eher in Wochen denken als in Tagen.“ Michaels Stirn glänzte. Seit drei Jahren arbeitete er für Flatley & Son. Die Firma hatte ihren Sitz in New York. Jacks Vater hatte sie gegründet und zu einem der erfolgreichsten Unternehmen Amerikas aufgebaut. Selbstredend, dass sein Dad nach wie vor mitmischte, trotz seiner fünfundsechzig Jahre. Jack konnte es nur recht sein, da er noch viel von ihm lernen konnte. Zudem wurde sein Dad nicht müde, neue Ideen zu entwickeln. So auch die, ihren Radius zu erweitern und sich in Europa etwas aufzubauen. Kurz zuvor hatte er Jack zu seinem Teilhaber gemacht und vertraute ihm nun dieses riesige Projekt an.
„Dann sieh zu, dass wir eine andere Limousine bekommen“, forderte Jack. Er hasste nichts mehr als Dinge, die er nicht beeinflussen konnte. „In zwei Stunden soll ich bei Mister Winter sein. Wenn ich ihn wieder vertröste, springt er womöglich ab.“
„Vor morgen früh hat keine einzige Leihfirma in der Gegend ein Auto frei. Ich habe alle abgeklappert.“
„Was ist mit dem Ferrari, den wir vor einem halben Jahr in London bestellt haben?“
„Den kriegst du frühestens in zwei Wochen.“
„Und jetzt?“, fragte Jack ohne jegliches Verständnis. „Soll ich etwa mit dem Bus nach St. Agnes fahren?“
„Das wäre zumindest eine Idee.“ Michael grinste.
„Ich bin nicht in Stimmung für deine albernen Witze. Außerdem habe ich mein Leben lang noch nie einen Bus von innen gesehen und denke nicht daran, jetzt damit anzufangen.“
„Schon gut.“ Michael hob abwehrend die Hände. Sein goldener Ehering blitzte auf. „Mir gegenüber musst du nicht den hartgesottenen Geschäftsmann raushängen lassen.“
Jacks Laune stieg wieder. Er wusste, dass ihm sein Ruf vorauseilte und in geschäftlichen Angelegenheiten kannte er kein Pardon. Das Leben war zu kurz, um sich mit halben Sachen zu begnügen. Deswegen kämpfte er notfalls mit harten Bandagen. Insofern fühlte er sich von Michaels Aussage geschmeichelt. „Wie ich dich kenne, hast du bestimmt eine andere Lösung parat“, meinte er und schaute zu einem dunkelhaarigen Mädchen, das sich auf den Schoß eines pummeligen Jungen mit Pusteln im Gesicht setzte, der seine Hand besitzergreifend auf ihre Oberschenkel legte. Die Kleine war vermutlich im ähnlichen Alter wie seine Tochter, aber bis zu den Zähnen geschminkt. Ihr knapper schwarzer Minirock ließ wenig Spielraum für Fantasie und das bauchfreie rote Top musste früher ein BH gewesen sein, der nach dem Waschen aus dem Leim gegangen war. „Hast du eigentlich Leni gesehen?“
„Sie sitzt in der Lobby und spielt auf ihrem Handy.“
Beruhigt lehnte sich Jack zurück. „Also, was ist nun? Wie komme ich auf schnellstem Weg zu Mister Winter?“, verlagerte sich sein Interesse wieder auf das Geschäftliche.
Michael schälte sich aus seiner grauen Anzugjacke, die er auf den leeren Stuhl neben sich warf. „Der Hotelchef würde dir seinen Geländewagen leihen“, ließ er verlauten.
„Tatsächlich?“ Wenn das Fahrzeug im ähnlichen Zustand war wie das Hotel, würden sie es keine zehn Meter weit schaffen, obwohl es vermutlich die ärgste Schrottkiste nicht mit der Karre dieser Annie aufnehmen konnte.
„Worüber amüsierst du dich?“, erkundigte sich Michael.
Jack schaute ihn verwirrt an. „Über nichts. Warum?“
„Du schmunzelst.“
„Ich schmunzle nicht.“ Jack verdrängte den Gedanken an die Frau mit dem komischen Auto und der noch komischeren Uhr. „Vielmehr sondiere ich die Lage. Hast du dir den Wagen angesehen? Taugt er etwas?“
„In dieser Hinsicht lässt sich der Hotelchef nicht lumpen. Das Feinste vom Feinsten, sage ich dir. Deswegen ist der Wagen natürlich nicht umsonst“, druckste Michael auf einmal herum, beugte sich vor – wodurch der Tisch in leichte Schieflage geriet – und spielte mit dem Salzstreuer, in dem fast nur Reiskörner zu sehen waren. „Pro Tag verlangt er fünfhundert Pfund.“
„Das ist Wucher“, empörte sich Jack. „Du hast diesem Halsabschneider hoffentlich die Meinung gesagt.“
„Wir haben keine andere Wahl, und es ist ja nicht so, als könntest du dir die Summe nicht leisten. Die Hauptsache ist doch, dass du den Termin mit Mister Winter erfolgreich hinter dich bringst.“
„Das Geld ist nicht mein Problem. Ich mag es diesem Harry nur nicht in den gierigen Rachen werfen. Er ist nicht gerade ein Sympathieträger.“
Michael schob den Salzstreuer neben den Aschenbecher mit roter Werbeaufschrift und musterte Jack. „Sieh an. Du vermischst Persönliches mit Geschäftlichem.“
„Das mache ich nicht.“
„Doch, das tust du“, blieb Michael grinsend bei seiner Meinung.
„Und wenn schon. Ein geliehenes Fahrzeug ist kein Millionengeschäft. Deshalb darf ich mir etwas menschliche Regung durchaus leisten.“ Schwungvoll schlug Jack die