Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes. Bettina Reiter
meinem Zuhause vor? Wollen Sie es umbauen und so verändern, dass man es nicht mehr wiedererkennt?“
„Wo denken Sie hin?“, log Jack. „Ich möchte alles so belassen wie es ist. Meine Tochter und ich werden uns hier bestimmt sehr wohlfühlen, denn ehrlich gesagt habe ich schon lange nach einem Sommerhaus wie diesem gesucht.“ Herrgott, dieser Mann brachte ihn langsam aber sicher in die Bredouille.
„Wo ist Ihre Frau, wenn ich mir die Neugier erlauben darf?“ Mister Winter zog die Hand von Jacks Schulter, der zu seiner Tochter schaute, die mit gesenktem Kopf dastand.
„Carol starb bei Lenis Geburt“, antwortete er leise. Meinetwegen, hämmerte es in seinem Inneren und er versuchte die Bilder zu verdrängen. Bilder, die ihm jede Nacht den Schlaf raubten und ihn auch untertags häufig verfolgten.
„Dann versprechen Sie mir in Carols Namen, dass Sie diese Villa in Ehren halten werden.“
Jack war wie vom Donner gerührt. „Lassen Sie meine Frau aus dem Spiel.“
„Das geht nicht.“ Mister Winter sah ihm streng in die Augen. „In diesen Mauern steckt ein halbes Leben. Eines voller Liebe und Vertrauen. Auch ein erfülltes. Meine zwei Mädchen sind hier aufgewachsen und haben im Garten geheiratet. Jede Einzelne. Weil sie den Zauber dieses Hauses nie vergessen haben. Egal, wohin das Leben sie geführt hat. Deshalb war es auch ihr Wunsch, dass ich es nur an jemandem verkaufe, der diese Liebe spüren kann. Als Sie Ihre Frau erwähnten, tat ich es. Aber Sie haben dieses Gefühl mit ihr begraben.“ Nun wurde sein Blick beschwörend. „Holen Sie es sich zurück, bevor Sie ein unglücklicher alter Mann werden.“
Hatten sich denn alle gegen ihn verschworen?
„Damit sind Sie bei Dad an der falschen Adresse.“, mischte sich Leni ein, wofür sie Jacks zornigen Blick erntete. „Was denn?“, schob sie zu allem Überfluss nach. Das war es dann wohl mit dem Geschäft!
Mister Winter lachte jedoch, was Jack überrascht zur Kenntnis nahm. „Ihre Tochter gefällt mir“, stellte er schließlich fest, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. „Sie erinnert mich an meine Frau. Die ließ sich auch nie etwas sagen und hat mich in die unmöglichsten Situationen gebracht.“
„Wem sagen Sie das.“ Jack lächelte. Noch schienen die Felle nicht endgültig davongeschwommen zu sein.
„Steht Ihnen übrigens gut.“
„Was?“
„Wenn Sie lächeln. Das sollten Sie öfter tun. Wie alt sind Sie? Ende dreißig?“
„Ich bin vor einem Monat vierzig geworden.“ Jacks persönliche Grenze war schon bei Weitem überschritten. Andererseits, was tat man nicht alles für ein gutes Geschäft?
„Dann haben Sie genügend Zeit, um das Glück wiederzufinden“, meinte Mister Winter mit einem gespannten Schmunzeln. „Ich verkaufe Ihnen die Villa.“
Nun war Jack perplex. „Sind Sie sicher?“
„Ja, das bin ich. Weil ich fest daran glaube, dass Sie hierherkommen mussten, damit Ihr Herz wieder auftaut. Und das wird es, Mister Flatley. Ein Sommer in St. Agnes kann vieles verändern. Ich weiß, wovon ich spreche. Allerdings möchte ich im Vertrag, den Sie mir vorab geschickt haben, eine Passage hinzufügen.“
„Die da wäre?“ Jack schwante Böses.
„Sie müssen meine Putzfrau übernehmen. Das Mädchen ist eine Perle und hat es nicht leicht.“
„Ich brauche keine Putzfrau.“
„Irrtum. Das tun Sie. Sonst ist der Deal gestorben.“
„Eine Putzfrau ist doch super, Dad“, stellte sich Leni auf die Seite von Mister Winter und tauschte einen Blick mit ihm, als hätten sie die absurde Forderung gemeinsam von langer Hand geplant.
„Nun? Sind wir im Geschäft?“
Jack nickte widerwillig. „Meinetwegen. Ich füge die mündliche Vereinbarung händisch im Vorvertrag hinzu. Alles weitere machen unsere Anwälte.“
„Schön.“ Mister Winter grinste und zeigte eine Reihe gelber Zähne. „Es wird Ihnen in St. Agnes gefallen, mein Junge.“ Die vertraute Anrede berührte Jack. Aber nur kurz. Hier ging es um ein Geschäft. Nicht mehr und nicht weniger.
„Davon gehe ich aus“, murmelte Jack und schlug ein, als ihm Mister Winter die Hand entgegenstreckte.
„Dann lassen Sie uns unterzeichnen.“ Er drückte Jacks Hand, bevor er sie losließ. „Ich muss nämlich dringend zum Flughafen, ehe ich es mir anders überlege.“
„Wohin fliegen Sie?“, fragte Leni, die beinahe traurig klang. Dabei kannten sich die beiden kaum. Jack indes hatte eine leise Ahnung. Mister Winter verkörperte einen Großvater, wie man ihn sich vermutlich in Lenis Alter vorstellte. Gemütlich, bedächtig, gütig – vom Äußeren her ähnelte er Carols Dad Robert, den Leni viel zu selten zu Gesicht bekam, obwohl sie sehr an ihm hing. Doch bisher hatte Jack den Kontakt eher unterbunden, als ihn zu fördern. Auch auf den Rat seines Vaters hin, der das genaue Gegenteil war. Sogar in der Freizeit trug er Anzüge, war penibel, ordentlich und achtete auf gute Umgangsformen.
„Nach Berlin“, gab Mister Winter bereitwillig Auskunft, während sich Leni das Handy in die ausgebeulte Hosentasche schob. „Dorthin, wo ich aufgewachsen bin. Sozusagen eine letzte Reise in die Vergangenheit und zu meinen Wurzeln. Ein Gedanke, mit dem ich schon lange spiele. Bisher schreckte ich jedoch davor zurück. Angst vor der eigenen Courage nennt man das wohl. Manchmal sollte man aber über den eigenen Schatten springen und neue Wege gehen.“ Beim letzten Satz hatte er Jack angesehen, der sich fragte, ob sich Michael und der alte Mann hinter seinem Rücken ausgetauscht hatten. Allerdings verwarf er den Gedanken gleich wieder, weil er völlig abwegig war. Ferner war es sein Leben und das ging keinen von beiden etwas an!
♥
Eine halbe Stunde später war Jack mit Leni alleine in der Villa und hatte sämtliche Anspielungen des alten Mannes wieder vergessen. Besser gesagt wurden sie von der Freude über das gelungene Geschäft verdrängt. Dem Wermutstropfen mit dem Passus maß Jack nicht allzu viel Bedeutung bei. Solche Schönheitsfehler konnte man ausmerzen, sein Dad fand immer Möglichkeiten. Das war bisher so gewesen und das würde auch in diesem Fall nicht anders sein. Außerdem war ein Abriss der beste Grund, um jemandem zu kündigen. Noch dazu hieß die Putzfrau Annie Murphy. Wenn es nicht zwei Frauen mit diesem Namen in St. Agnes gab, musste es sich um die Besitzerin des Geschäftshauses handeln, auf das er ein Auge geworfen hatte. Ohne diesen Job würde sie womöglich in finanzielle Schieflage geraten, was seinen Plänen mehr als entgegenkam. Tja, scheinbar hatten es Frauen namens Annie in Cornwall nicht leicht.
Ein Glas Champagner wäre jetzt genau das Richtige, denn das Schicksal meinte es gut mit ihm und während Jack einer Annie geholfen hatte, würde er der anderen den Gnadenstoß versetzen.
„Daddy?“ Leni zog ihn am Hemdärmel. Jack blieb vor der Küchentür stehen. „Hörst du mir eigentlich zu?“
„Natürlich“, schwindelte er.
„Dann bekomme ich wirklich eine YouTube-Ausstattung mit allem Drum und Dran?“ Ihre blauen Augen schimmerten feucht, als hätte er bereits zugesagt. Hatte er? „Oh, das wird klasse. Ich werde richtig durchstarten und zur einflussreichsten Influenza werden, die diese Welt je gesehen hat.“
„Noch ist das letzte Wort darüber nicht gesprochen“, wand sich Jack, der seiner Tochter kaum etwas abschlagen konnte. In diesem Fall lag die Sache jedoch etwas anders. Leni steckte mitten in der Pubertät und entwickelte sich langsam zur Frau. Auf der anderen Seite konnte sie ziemlich kindlich sein und war gesprächig wie eine Plaudertasche. Deswegen war abzusehen, dass sie alles über YouTube in die weite Welt hinausposaunen würde. Selbst ihre Auseinandersetzungen, die sich in der letzten Zeit häuften. Sogar dieses Geschäftsgespräch wäre nicht vor ihrem Plappermäulchen sicher. Von Bildern in Bikinis und Miniröcken ganz zu schweigen.
„Bitte!“ Leni zog ihren berühmt-berüchtigten Schmollmund. „Meine besten Freunde haben auch