Der perfekte Sündenbock. Irene Dorfner
Öffentlichkeit, damit jedem klar war, wie ich zu den beiden stehe. Und ich habe mich gewehrt. Aber nicht körperlich, sondern mit Anzeigen, die alle begründet waren. Niemals hätte ich die beiden auch nur angefasst, das ist nicht mein Stil. Ja, ich habe mich den Zimmermanns entgegengestellt, was mein gutes Recht war. Alle anderen Nachbarn haben vor denen gekuscht, aber ich nicht. Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich weder den Alten umgebracht, noch den anderen mit einer Axt verletzt habe. Wie kommt die Polizei nur darauf?“
„Weil alle Indizien dafürsprechen.“
„Welche Indizien sollen das sein? Raus mit der Sprache!“
Dr. Grössert stöhnte. Fuchs war einer der schwierigen Mandanten, das war klar.
„Ich habe mir die Unterlagen angesehen und ehrlich gesagt bin ich immer noch erschrocken darüber, was ich lesen musste.“
„Ach ja? Dann nennen Sie mir doch diese Indizien, von denen Sie gesprochen haben. Los! Ich warte!“
War Fuchs tatsächlich so ahnungslos, wie er tat? Dr. Grössert musste den Mann nun endlich mit der Wahrheit konfrontieren, damit der endlich begriff, worum es ging. Er legte ihm mehrere Fotos vor.
„Ihnen gehört diese Axt?“
„Ja, das habe ich diesem Wild gegenüber bereits zugegeben. Allerdings habe ich sie schon seit Jahren nicht mehr benutzt. Sie lag in meinem Schuppen und staubte dort ein.“
„Die Axt wurde nicht im Schuppen gefunden. Sie wurde vergraben. Und es sind auch Ihre Fingerabdrücke drauf. Nicht viele, aber sie wurden nachgewiesen.“
„Logisch, die Axt gehört mir ja, schon vergessen? Und wer das Ding in meinem Garten vergraben hat, weiß ich nicht. Wenn ich aber denjenigen erwische, dann kann der was erleben! Wo kommen wir denn hin, wenn jeder in meinem Garten graben darf. Das ist schließlich mein Privatgrund und fällt unter den Tatbestand des Hausfriedensbruches!“
Dr. Grössert musste sich zusammenreißen, er durfte sich von dem Mann nicht aus der Ruhe bringen lassen.
„Josef Zimmermann lag tot auf Ihrer Terrasse, er wurde mit Ihrer Axt erschlagen.“
„Ja, auch das habe ich von Wild bereits erfahren. Ich habe keine Ahnung, wie Zimmermann dort hinkommt und wer ihn getötet hat. Die Polizei soll nach demjenigen suchen, der sich erdreistet, Menschen auf meinem Grund und Boden zu töten. Wie sieht meine Terrasse eigentlich aus? Die Blutflecke gehen doch nie wieder raus!“ Fuchs war genervt. All das wusste er bereits. Was sollte das? Hatte er nicht deutlich ausgesagt, dass er nichts damit zu tun hatte?
„Es ist erwiesen, dass Sie sich nicht mit Ihren Nachbarn verstanden haben…“
„Nur mit den Zimmermanns nicht, mit allen anderen verstehe ich mich sehr wohl.“
„Trotzdem gibt es eine Verbindung zwischen den Taten und Ihnen…“
„Kommen Sie mir jetzt nicht schon wieder mit dieser Axt, die kann mir jeder entwendet und im Garten vergraben haben. Sie wissen sehr gut, dass das alleine für eine Anklage nicht ausreicht. Holen Sie mich hier endlich raus!“
„Das würde ich sehr gerne, aber mir sind momentan die Hände gebunden. Es gibt ein Beweisstück, das Sie in Verbindung mit dem Mord und der Körperverletzung bringt und das in Ihrem Haus gefunden wurde.“ Dr. Grössert schob ein Foto über den Tisch. Fuchs besah es sich genau.
„Das ist mein Jackett“, sagte er. „Was sind das für Flecken? Das ist nagelneu. Was…?“
„Blut von Josef und Olaf Zimmermann.“
„Aber wie …?“ Fuchs starrte Dr. Grössert fragend an.
„Das ist die Frage. Wie kommt das Blut beider auf Ihr Jackett?“
Fuchs war kreidebleich geworden. Jetzt verstand er die Beweiskette, die nur ihn als Täter zuließ. Er selbst wäre zu keinem anderen Ergebnis gekommen.
„Ich schwöre Ihnen, dass ich nichts damit zu tun habe.“
„Deshalb bin ich hier.“
„Herr Krohmer hat Recht gehabt, ich brauche einen Anwalt.“ Endlich unterzeichnete Fuchs die Vollmacht, wodurch er nun offiziell einen Verteidiger hatte. „Danke, dass Sie hier sind, Dr. Grössert. Unternehmen Sie alles in Ihrer Macht stehende, um mich hier rauszuholen, ich bin mit allem einverstanden.“
„Das höre ich gerne, denn ich habe eine Idee, die teuer werden könnte.“
„Sofern Sie nur den Funken einer Chance darin sehen, machen Sie es. Geld spielt keine Rolle.“
Dr. Grössert war irritiert. Der sonst so zurückhaltende, kühle und mürrische Mann flehte ihn geradezu an. Er schien endlich begriffen zu haben, dass seine Lage aussichtslos war.
5.
Leo und Hans brauchten nicht klingeln, eine Frau erwartete sie bereits mit einem breiten Grinsen.
„Sie sind von der Polizei, stimmt’s? Ich bin Henriette Albrecht.“
Die beiden zeigten ihre Ausweise vor, die die Frau nicht interessierten.
„Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“
„Gerne! Ich wurde heute früh zwar schon befragt, aber der nette Polizist wollte nicht viel wissen. Ihm ging es nur darum, ob ich von den Verbrechen an den Zimmermanns etwas mitbekommen habe, was ich verneinte. Aber das wissen Sie ja, Sie kennen sicher meine Aussage. Ich hätte dem jungen Mann gerne mehr erzählt, aber er schien in Eile, was ich verstehen kann. Das ist alles so aufregend! Sie müssen wissen, dass ich ein riesiger Fan von Krimis bin, sowohl von Filmen, als auch von Büchern. Ich liebe es, wenn man nicht weiß, wer der Täter ist.“
„Dürfen wir reinkommen?“, fragte Hans mit einem charmanten Lächeln. Die Frau vor ihm war weit über siebzig, aber noch recht rüstig für ihr Alter. Sie war über und über mit Schmuck behängt, der nicht nur glitzerte und funkelte, sondern bei jeder Bewegung laut klimperte. Und sie bewegte sich viel, denn beim Sprechen redete auch der Körper mit.
„Entschuldigen Sie meine Manieren! Bitte, kommen Sie herein, ich mache uns Kaffee. Setzen Sie sich in den Wintergarten, dort brennt ein wärmendes Feuer. Das ist mein liebster Platz im Haus. Als mein Mann noch lebte, war er immer gegen einen Wintergarten. Auch von einem offenen Kamin war er partout nicht zu überzeugen. Nach seinem Tod konnte ich mir meinen Traum erfüllen. Mein Mann war ein ganz lieber und ich vermisse ihn sehr. Er hatte einen tiefschwarzen Humor und teilte die Krimileidenschaft mit mir. Allerdings war er Neuem gegenüber immer sehr skeptisch.“ Die Frau redete ohne Punkt und Komma. Sie ging einfach weiter in die Küche und redete lauter.
Leo und Hans setzten sich in den gemütlichen Wintergarten.
„Der Kaffee kommt gleich. Bitte setzen Sie sich doch“, sagte Frau Albrecht und strahlte die Beamten an. „Legen Sie los. Stellen Sie Ihre Fragen.“
„Ist Ihnen zu dem, was heute Nacht geschah, noch irgendetwas eingefallen?“
„Nein, ich habe wirklich nichts davon mitbekommen. Der Anruf meines Nachbarn hat mich geweckt. Bis ich zum Fenster kam, war schon fast alles vorbei.“ Sie schüttelte den Kopf. „Der alte Zimmermann ist tot und der Olaf ist verletzt. Es musste ja irgendwann so weit kommen, mich wundert das nicht.“
„Wie müssen wir das verstehen?“
„Sie wissen nicht, dass sich die beiden, wenn sie gesoffen haben, ständig an die Gurgel gegangen sind? Ein Geschrei war das immer, das können Sie sich nicht vorstellen. Die haben sich nicht nur in ihrem Haus, sondern auch im Garten und auf der Straße geprügelt. Wenn die so richtig in Fahrt waren, konnte man die nicht trennen. Mein Mann hatte es einmal versucht, so wie Karl, Lutz und sogar der schmächtige Wolfi. Aber dann haben die Zimmermanns auch auf die Streitschlichter eingeprügelt. Wir haben uns in den letzten Jahren alle zurückgehalten, nur der Fritz, also Herr Fuchs, hat den Zimmermanns immer die Stirn geboten. Der hat sich nichts gefallen lassen, den haben die Drohungen