Der perfekte Sündenbock. Irene Dorfner
„Und? Was haben wir damit zu tun?“
„Es ist unsere Pflicht, der Polizei zu helfen.“
„Wie denn? Wir haben nichts mitbekommen!“
„Trotzdem müssen wir uns den Fragen stellen. Vielleicht können wir einen wichtigen Hinweis geben, wer weiß?“
„Dummes Gewäsch!“
„Sie haben eine reizende Gattin, herzlichen Glückwunsch“, grinste Hans, um die Wogen etwas zu glätten. Entweder hatte Lutz Taubmann heute schlechte Laune, oder er war von Haus aus ein Kotzbrocken. Die Frau errötete, verschwand in der Küche und kam mit einem vollen Tablett wieder zurück. Während sie weg war, sagte Lutz Taubmann kein Wort. Es war totenstill, was den Beamten unangenehm war. Sie hätten ihre Fragen stellen können, wollten aber noch auf die Frau warten.
„Hier ist frischer Tee. Ingwer, Kardamom und Pfefferminze, meine eigene Mischung. Sie trinken doch Tee?“
„Sehr gerne, danke.“
„Die Polizisten sind nicht hier, um sich bewirten zu lassen, schließlich ist das hier unser Haus und keine Teestube. Wage es ja nicht, mir Tee einzuschenken! Du weißt doch, dass ich keinen mag. Ich möchte Kaffee.“
„Du darfst keinen Kaffee trinken, mein Lieber, das weißt du doch.“
„Setz dich endlich, damit die beiden ihre Fragen stellen können. Je eher wir antworten, desto schneller sind sie wieder weg“, sagte Taubmann unfreundlich.
Johanna Taubmann kümmerte sich nicht um das, was ihr Mann sagte. Sie schenkte in aller Seelenruhe Tee ein und setzte sich mit einem Lächeln direkt neben ihren Mann.
„Sie haben Ihrer Aussage nichts hinzuzufügen?“
„Nein, das sagte ich bereits!“ Taubmann hatte keine schlechte Laune, der war so.
“Schrecklich, was mit Josef passiert ist. Er war kein angenehmer Zeitgenosse, trotzdem trifft mich sein Tod“, sagte die Frau betroffen und bekreuzigte sich.
„Zum Glück hat es einmal den Richtigen getroffen“, murmelte Taubmann.
„Lutz! Versündige dich nicht!“ Frau Taubmann war erschrocken und bekreuzigte sich erneut.
„Ist doch wahr. Josef und sein missratener Sohn waren die Pest und haben uns das Leben schwergemacht. Sie haben sich mit jedem in der Nachbarschaft angelegt, ganz besonders mit Fritz. Wir haben die Klappe gehalten und alles hingenommen, was ich meiner Frau zu verdanken habe. Nur ihr zuliebe blieb ich ruhig und habe nichts gegen die Zimmermanns unternommen. Fritz war der einzige, der sich nichts gefallen ließ. Er hat Eier gezeigt, während mich meine Frau quasi kastriert hat. Hätte ich heute Nacht irgendetwas mitbekommen, hätte mich meine Frau sicher zurückgehalten und mir nicht einmal erlaubt, die Polizei zu rufen.“ Lutz Taubmann sah seine Frau vorwurfsvoll an.
„Nun übertreib doch nicht, Lutz. Es stimmt, was mein Mann sagt. Ich bin gläubige Christin und jedes böse Wort widerstrebt mir. Außerdem verabscheue ich körperliche Gewalt. Ich habe meinen Mann eindringlich gebeten, sich zurückzuhalten, was ich immer noch für sinnvoll halte.“ Dass ihr schmächtiger Mann gegen die kräftigen Zimmermanns keine Chance gehabt hätte und sie ihn nur schützen wollte, behielt sie lieber für sich. Er gab ihr die Schuld und das war für sie in Ordnung. Johanna Taubmann lächelte und tätschelte ihrem Mann die Hand, die er ihr mit einer genervten, fast angewiderten Grimasse entzog.
„Ein vorzüglicher Tee“, warf Hans ein; schon allein deshalb, um den ätzenden Mann zu ärgern. Johanna Taubmann wurde knallrot, sie freute sich. Es kam offensichtlich nicht oft vor, dass man sie lobte.
„Stimmt, der Tee ist wirklich gut“, unterstützte Leo seinen Kollegen, da er genau wusste, dass der den Mann ärgern wollte, auch wenn der Tee tatsächlich sehr widerlich schmeckte.
„Vielen Dank, Sie sind sehr freundlich. Ich trinke schon immer nur Tee und habe Freude daran, meine eigenen Mischungen zu kreieren.“
„Können wir endlich wieder zur Sache kommen?“ maulte Lutz Taubmann. „Die sinnlose Teeleidenschaft meiner Frau muss hier doch nicht besprochen werden. Es reicht, wenn sie mich täglich damit belästigt.“
„Sie haben recht, Herr Taubmann, bitte entschuldigen Sie“, sagte Hans und zwinkerte dessen Frau zu, was sie erneut erröten ließ. „Was können Sie uns über die Zimmermanns berichten?“
Es folgten Geschichten und Vorkommnisse, die teilweise viele Jahre zurücklagen und ähnlich klangen wie die, die die beiden bereits gehört hatten. Die Taubmanns hatten das Haus vor vierzehn Jahren geerbt und hübsch renoviert. Beide waren Ende fünfzig. Während Herr Taubmann bereits in Rente war, arbeitete Frau Taubmann in der Poststelle in Mühldorf - nur stundenweise, denn lange wollte sie ihren kränklichen Mann nicht alleine lassen. Ohne sie war er in vielen Situationen hilflos, was die Beamten noch nicht wussten.
„Mehr können wir Ihnen nicht sagen. Von Fritz erfahren Sie sicher mehr, er hatte am meisten mit den Zimmermanns zu tun. Ist Fritz nicht zuhause? Der arme Mann arbeitet viel zu viel, das sage ich ihm immer wieder.“ Johanna Taubmann trat ans Fenster. „Sein Auto steht in der Einfahrt, er müsste zuhause sein.“
„Ihr Nachbar kommt so schnell nicht wieder, er wurde verhaftet.“
„Fritz? Warum?“
„Er steht in dringendem Tatverdacht, Josef Zimmermann getötet und dessen Sohn schwer verletzt zu haben.“
„Fritz soll das getan haben? Das kann ich nicht glauben!“, rief Frau Taubmann und ihr Mann stimmte ihr in diesem Punkt zu.
Es folgten ausführliche Geschichten über Friedrich Fuchs voller Lob und Anerkennung, die teilweise sehr amüsant gewesen wären, wenn die Lage nicht so ernst wäre.
„Vielen Dank“, sagte Hans und stand auf. Er war es leid, sich immer wieder dieselben Geschichten anzuhören. Auch hier schienen sie nicht weiterzukommen.
Leo hatte ebenfalls genug gehört.
Frau Taubmann begleitete die beiden zur Tür, wo sie ihre Schuhe anzogen.
„Ich möchte mich für meinen Mann entschuldigen, er meint es nicht so“, flüsterte Johanna Taubmann den beiden zu. „Er ist schwer krank, er hat einen Tumor im Kopf. Krebs“, schob sie erklärend hinzu.
„Das tut uns leid. Nochmals vielen Dank für den Tee und für Ihre Gastfreundschaft. Wenn weitere Fragen auftauchen, melden wir uns. Hier ist meine Visitenkarte. Melden Sie sich, wenn Ihnen noch etwas einfällt“, sagte Hans.
„Warum hast du ihr deine Visitenkarte gegeben? Ich hatte ihr meine überreicht, als ich sie begrüßt habe. Hast du das nicht gesehen?“
„Ist doch egal, doppelt hält besser. Was meinst du?“, wollte Hans wissen, als die beiden am Wagen standen.
„Schon komisch. Hier stehen nur die paar Häuser in einer idyllischen Lage. Trotzdem hat keiner etwas gesehen oder gehört, was kaum zu glauben ist. Alle sind erschüttert über die Tragödie, die sich in der letzten Nacht abgespielt hat, keine Frage. Aber niemand weint dem Toten oder gar dem Verletzten eine Träne nach. Es liegt auf der Hand, dass keiner die Zimmermanns mag und man nicht traurig darüber wäre, wenn Olaf Zimmermann auch nicht mehr zurückkäme.“
„Irgendwie ätzend, aber auch verständlich“, sagte Hans. „Ich habe mir immer Nachbarn gewünscht. Wenn ich so etwas höre, bin ich froh, dass ich bei meiner Wohnsituation keine habe, mit denen ich mich herumschlagen muss.“ Hans hatte den Bauernhof seiner Eltern nach deren Tod übernommen und renoviert. Der Hof lag außerhalb Mühldorfs eingebettet zwischen Äcker und Wiesen, die längst verpachtet waren.
„Nicht jeder hat das Glück, so gut wohnen zu dürfen wie wir beiden“, sagte Leo, der auf dem Hof von Hans‘ Tante bei Altötting unter ähnlichen Bedingungen lebte. Er hatte viel Glück gehabt, dass die liebe Tante Gerda, die er in sein Herz geschlossen hatte, gerade eine frisch renovierte Wohnung zur Verfügung hatte und nach einem geeigneten Mieter suchte. Die beiden hatten