Der perfekte Sündenbock. Irene Dorfner

Der perfekte Sündenbock - Irene Dorfner


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frage Leo einen ihm bekannten Uniformierten, der darauf achtete, dass niemand unbemerkt das Krankenhaus verließ. Er ließ sich jeweils den Ausweis zeigen und machte Notizen.

      „Ein Mann wurde getötet. Die Landshuter Kriminalpolizei ist hier und reißt die Ermittlungen an sich. Sind nicht wir hier zuständig?“

      „Landshut? Wer wurde getötet?“

      „Olaf Zimmermann. Ich kenne den Typen, er ging mit meiner Schwester gemeinsam zur Schule. Ein schwieriger Charakter, der mit dem Vater nie eine Chance hatte.“

      Der Tod des Bekannten schien den Kollegen weder zu überraschen, noch sonderlich zu berühren. Er machte sich wieder an die Arbeit und kontrollierte Ausweise, wozu ihn die Landshuter Kollegen angewiesen hatten. Durften die das überhaupt?

      „Was meinst du, Leo? Sollen wir mit den Kollegen sprechen?“

      „Das gibt Ärger, den kann ich förmlich riechen.“

      „Ja, das ist mir klar. Trotzdem möchte ich wissen, was hier los ist. Du nicht?“

      „Auf jeden Fall!“

      Krohmer betrat ohne anzuklopfen das Büro der Mordkommission. Schon an seinem Gesichtsausdruck konnten Tatjana und Werner erkennen, dass er keine guten Neuigkeiten brachte.

      „Es gibt ein Beweisstück, dass den Tatverdacht gegen Fuchs untermauert“, sagte er und legte das Blatt auf den Tisch, auf das sich die beiden Kriminalbeamten sofort stürzten. Fassungslos sahen sie Krohmer an.

      „Blut von beiden Zimmermanns auf Fuchs‘ Jackett?“ Werner war kreidebleich geworden.

      Krohmer nickte nur.

      „Das Jackett wurde in Fuchs‘ Kleiderschrank gefunden“, murmelte Tatjana. „Das gefällt mir nicht. Leo hatte absolut Recht: Die Sache stinkt! Ich kenne Fuchs nur in alter, abgenutzter Kleidung, dieses Jackett sieht neu aus. Warum sollte Fuchs dieses Jackett anziehen, damit auf die beiden Nachbarn losgehen und es dann blutverschmiert wieder in den Schrank hängen? Nein, das passt nicht zu Fuchs, nie im Leben!“

      6.

      Staatsanwalt Eberwein war außer sich, als ihm berichtet wurde, dass die Mühldorfer Kriminalbeamten entgegen seiner Anweisung doch im Fall Fuchs ermittelten. Zuerst wollte er den Leiter der Mühldorfer Polizei sofort anrufen, aber das war ihm nicht genug. Er musste in Krohmers Gesicht sehen, wenn er ihn mit den Vorwürfen konfrontierte. Krohmer widersetzte sich seinen Anweisungen und das konnte er nicht durchgehen lassen. Der würde sein blaues Wunder erleben! Wie lange sollte er sich noch von dem Mann auf der Nase herumtanzen lassen? Er hatte endgültig genug davon, und das musste er Krohmer direkt ins Gesicht sagen. Eberwein fuhr wütend los. Seit Wochen kursierte das Gerücht, dass sein Name ganz oben auf der Liste zur Berufung zum Oberlandesgericht stand. Oder ging es sogar um einen noch höheren Posten? Eberwein hatte versucht, an Informationen zu kommen, aber hier kam er nicht weiter. Wenn es so war, dass ein riesiger Karrieresprung kurz bevorstand, durfte das unter keinen Umständen gefährdet werden. Er musste Krohmer und seine Leute zurückpfeifen und sie dringlichst ermahnen, sich an seine Anweisungen zu halten. Ein negativer Bericht aus Mühldorf und er konnte sich seine Beförderung in die Haare schmieren.

      Die neue Sekretärin, die fünfunddreißigjährige Maria Rettermaier, reagierte sehr resolut, als Eberwein versuchte, an ihr vorbei ins Büro des Chefs gehen zu wollen. Sie stellte sich ihm in den Weg und ließ sich auch nicht zur Seite schieben, als Eberwein das versuchte, indem er sie grob an den Schultern packte. Sie versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, was ihr nicht gelang. Eberwein kam ihr viel zu nahe, sie konnte seinen Atem spüren, was ihr sehr unangenehm war.

      „Lassen Sie mich los und nehmen Sie die Finger weg!“, schrie sie laut. Das war überzogen, aber alle schreckten davor zurück, Kolleginnen zu nahe zu kommen. Zu frisch waren die Berichte in den Medien über sexuellen Missbrauch, die aus Amerika herüberschwappten und auch in Europa bereits um sich griffen. Eberwein war immer noch sehr wütend und gab der Frau einen Schubs, wodurch sie gegen das Regal stieß. Maria Rettermaier schrie laut auf; weniger aus Schmerz, sondern weil sie sich erschrak. Erst jetzt kam der Staatsanwalt zu sich.

      „Entschuldigen Sie, Frau Rettermaier, ich wollte nicht…“, stammelte er. „Haben Sie sich wehgetan?“

      „Was erlauben Sie sich! Sind Sie nicht ganz dicht? Reißen Sie sich gefälligst zusammen! Hier wird nicht gebrüllt! Und hier wird auch niemand tätlich angegriffen oder gar angefasst! Außerdem stürmt man hier nicht unangemeldet in Herrn Krohmers Büro! Wenn Sie ein Anliegen haben, formulieren Sie dieses in einem anständigen Ton und in angemessenem Auftreten, haben wir uns verstanden?“ Die etwas pummelige, kleine und unscheinbare Frau Rettermaier stemmte die Hände in die Hüften. Es war klar, dass hier nach ihren Regeln gespielt wurde.

      „Entschuldigen Sie bitte mein Auftreten. Ich hoffe, ich bin Ihnen nicht zu nahe getreten. Das wollte ich nicht. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an.“

      „Naja…“, war Frau Rettermaiers Kommentar dazu, den sie mit einer hochgezogenen Augenbraue unterstützte. „Ob das noch ein Nachspiel geben wird, werde ich mir in aller Ruhe überlegen. Es geht nicht, dass Sie einfach versuchen, Ihren Willen durchzusetzen und sich aufführen wie ein Elefant im Porzellanladen. Ich bin enttäuscht, Herr Eberwein, von Ihnen hätte ich mehr erwartet. Warum sind Sie hier? Was wollen Sie? Ich sehe, dass Sie keinen Termin bei Herrn Krohmer haben. Das ist doch richtig, oder täusche ich mich etwa?“ Maria machte es riesigen Spaß, die Situation auszunutzen.

      „Nein, ich habe keinen Termin. Trotzdem muss ich unverzüglich Herrn Krohmer sprechen, es ist sehr dringend.“

      „Ich sehe zu, was ich machen kann. Setzen Sie sich!“ Frau Rettermaier rief ihren Chef an, wie sie es tat, seit sie am ersten Januar ihre Stelle angetreten hatte. Krohmer hatte sie mehrfach gebeten, in sein Büro zu kommen und persönlich mit ihm zu sprechen, aber das lehnte sie ab. Wenn sie ihn anrief, blieb eine Distanz zwischen ihr und dem Chef, was ihr sehr lieb war. Ihren vorigen Job hatte sie gekündigt, da sie ihren damaligen Chef mit dessen neuer Assistentin in einer eindeutigen Situation überrascht hatte – und das war ihr eine Lehre. Nie wieder wollte sie in eine solch pikante Situation geraten, das war ihr zu peinlich und daran hatte sie immer noch zu nagen.

      Krohmer hatte hinter der Tür den Streit mit angehört. Anfangs wollte er einschreiten, aber dann hörte er, dass die anfangs sehr zurückhaltende, schüchtern wirkende Maria Rettermaier alles im Griff hatte. Er war inzwischen sehr zufrieden mit der neuen Sekretärin, die er auf Empfehlung seiner Frau notgedrungen eingestellt hatte, nachdem sich diejenigen, die sich auf die Stelle beworben hatten, allesamt als indiskutabel herausstellten. Frau Rettermaier gefiel ihm eigentlich überhaupt nicht, was vor allem an ihrem ruhigen, fast unterwürfigem Verhalten lag. Er befürchtete, dass sie sich nicht durchsetzen könnte, was ab und zu notwendig war. Schon allein die Kollegen waren oft nicht zimperlich in ihrem Auftreten und der Wortwahl, was ein zartes Gemüt schnell aus der Fassung bringen konnte. Dazu kamen die zahlreichen Anrufe und ungebetenen Besuche, die sie abzuwimmeln hatte. Noch bis vor wenigen Tagen war Krohmer davon überzeugt, dass Maria Rettermaier nicht die Richtige für den Job war, aber dann wurde er eines Besseren belehrt. Bestimmt wies sie einen Kollegen zurecht, der ihr gegenüber pampig geworden war. Und noch am selben Tag konnte sie einen aufdringlichen, übermotivierten Journalisten mit wenigen Worten davon überzeugen, nur mit einem vorab vereinbarten Termin mit dem Chef reden zu können. Als er nun hörte, wie sie den Staatsanwalt zusammenstauchte, der wirklich kein leichter Brocken war, war er schwer beeindruckt. Seine Frau hatte wieder einmal Recht behalten, dass Frau Rettermaier genau die Richtige war. Mit einem Lächeln lehnte er sich zurück und nahm den Hörer in die Hand, nachdem er es sehr lange klingeln lassen hatte.

      „Respekt, Frau Rettermaier, gut gemacht. Hat sich der Staatsanwalt ungebührlich verhalten?“

      „Ja, aber das werde ich mit ihm klären, damit müssen Sie sich nicht befassen.“ Sie sah dabei den Staatsanwalt an, der immer mehr in sich zusammensackte. Er schämte sich dafür, dass er sich hatte so gehen lassen. Wie konnte ihm das nur passieren?

      „In


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