Raban und Röiven Eine magische Freundschaft. Norbert Wibben

Raban und Röiven Eine magische Freundschaft - Norbert Wibben


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hier übernachten. Ich kann dir zwar kein Bett, aber trockenes Heu zum Schlafen anbieten. Es liegt unter dem Abdach neben dem Hühnerhaus. Essen bekommst du im Haus.« Er wartet lange auf die Antwort und fügt dann schnell hinzu: »Keine Angst, ich will dir nichts tun. Wir sind auch nicht allein. Meine Frau wird jeden Moment nach Hause kommen. Sie ist in der nahen Stadt, um einzukaufen. Was meinst du?«

      »Das ist nett von ihnen. Ich nehme die Einladung gerne an. Ich muss aber vorher in die Stadt, da ich meine Eltern abends telefonisch unterrichte, wo ich in der Nacht bin. Sie machen sich sonst Sorgen«, ergänzt er.

      »Das ist gut. Ein Telefon habe ich leider nicht, aber wenn du möchtest, kannst du dir mein Fahrrad ausleihen. Zu Fuß dauert der Weg in die Stadt zwei Stunden. Mit dem Rad kannst du in weniger als einer zurück sein.«

      »Das mach ich, Danke. Meinen Rucksack und das Zelt lasse ich hier. Den Raben nehme ich mit, er ist sehr an mich gewöhnt.«

      »Ha, ha, dass ich nicht lache. Wo willst du mich mitnehmen, auf einem Fahrrad?«

      »Genau. Oder möchtest du zu den Federbällen zurück?«

      Er setzt den schwarzen Vogel auf die Lenkerstange, steigt auf und grüßt den alten Mann kurz. Vorsicht fährt er an. Nach Umrundung des Internatsgebäudes und eines Blumenrondells durchfährt er das offene Tor.

      »Das ist nicht schlecht. Nicht so schnell wie Fliegen, aber besser als Laufen«, knarzt es.

      »Halt dich gut fest, ich werde gleich schneller.«

      Als der Fahrtwind dem Jungen um die Ohren und dem Vogel durchs Gefieder rauscht, jauchzt dieser knarzend.

      »Das ist gut, das ist wirklich gut. Hoppla, beinahe wäre ich abgerutscht. Ich muss mich mit einem Zauber stabilisieren.« Die nächsten Laute versteht Raban nicht. Die Fahrt macht ihm aber genau so viel Spaß wie Röiven.

      Das Meer tost laut und weiße Gischt spritzt hoch. Schreie vieler Seevögel durchschneiden das Brausen des Windes. Es ist recht ungemütlich hier, obwohl es Sommer ist und die Temperaturen im Sonnenschein angenehm sind. Ein zufriedenes Grinsen ist im Gesicht eines hageren Mannes zu sehen. Die schulterlangen, schwarzen Haare flattern im Wind. Baran denkt an seinen Plan, dessen Umsetzung voranschreitet.

      »Die ersten Raben wären erledigt! Sie gelten vielen als Unglücksvögel. Für mich sind sie das nicht!« Sein Gesicht verzieht sich zu einer hässlichen Fratze. »Für mich bereiten sie große Freude, wenn sie sterben. Wenn sie alle gestorben sind, ist das allerdings ein Unglück. Aber nicht für mich!«, lacht er lauthals. »Für die verfluchten Elfen ist es das AUS. Sie werden endlich vernichtet sein. Dann werde ich das Erbe meiner Vorfahren antreten können!«

      Seine bisher frohe Miene verdüstert sich. Sein Blick sucht und findet eine ehemals stolze Burganlage. Sie steht oberhalb einer steil ansteigenden Felswand. Aus der Ferne sieht er nur eine dunkle Masse. Die Türme und die starken Mauern kann er nicht genau erkennen, also auch nicht, dass diese mit Wehrgängen versehen sind. Aber er weiß genau, diese Burganlage ist gewaltig.

      »Von Rechts wegen müsste sie mir gehören. Ich bin der Erbe Bearachs, dem sie zuletzt gehörte. Nach der Niederlage gegen andere Zauberer und deren Unterstützer, die Elfen, wurde dieser eingekerkert. Seine Burg Munegard wurde ihm genommen. Das war völlig ungesetzlich! Der Erlös vom Verkauf dieser historischen Anlage wurde für die Versorgung vieler unnützer Armen ausgegeben. Jetzt ist dort ein Hotel eingerichtet. Pah! Ich werde mir mein Eigentum zurückholen!«

      Seine Züge erhellen sich.

      »Die vergifteten Beeren haben gute Dienste geleistet. Ich werde es noch einmal damit versuchen. Wo gibt es weitere Schwärme junger Raben? Ich weiß es. Also weiter. Es sollte nicht mehr lange dauern, dann werde ich von dort oben herrschen. Über das ganze Land!« Er blickt grimmig zur fernen Burg.

      Die Luft flirrt kurz.

      Er ist verschwunden.

      Vor dem Einschlafen überlegen Raban und Röiven, welchen Ort sie als nächsten aufsuchen sollen.

      »In dem Roman gibt es doch eine Priorei, in der Sören wohnte. Wäre das ein möglicher Ort, an dem sich junge Fithich wohlfühlen würden?«

      »In welchem Roman?«, knarzt der schwarze Vogel.

      »Du weißt schon. In der Geschichte über Eila, die Elfen und…«

      »War doch nur Spaß«, krächzt der Rabe glucksend zurück. »Natürlich kenne ich die Handlung. Großmutter hat mir die wahre Geschichte erzählt. Die Priorei wurde von seinem damaligen Besitzer Mynyddcaer genannt. Ich bin auch mal dort gewesen, so aus Neugier. Ich habe dort viele ältere Menschen gesehen.«

      »Sag schon, könnten sich dort Jungvögel wohlfühlen?«

      »Es gibt viele Bäume dort, einen richtig kleinen Wald. Ja, ich glaube schon.«

      Also wählen sie diesen Ort als nächstes Ziel.

      Nach einer angenehmen Nacht im duftenden Heu und einem guten Frühstück, verabschiedet sich Raban von dem freundlichen Gärtnerehepaar. Er schultert seinen Rucksack und nimmt den Kolkraben auf seinen linken Arm. Im Park dreht er sich noch einmal um und winkt zurück.

      Mit schnellen Schritten verlässt er den Park und das Internatsgelände. Auf dem Weg in Richtung Stadt hat er gestern Abend eine Bushaltestelle gesehen. Dort gibt es ein Wartehäuschen. Es ist jetzt in den Schulferien niemand dort. Im Inneren ist er gegen zufällige Beobachtungen geschützt. Von hier können sie also mittels Zauber verschwinden. Die Luft glitzert und sie sind weg.

      Raban befindet sich jetzt hinter einer kleinen Kapelle. Er wundert sich. In dem Roman war das Bauwerk doch eingestürzt. Es sieht aber ganz in Ordnung aus. Aus dem Inneren dringt Orgelmusik und leiser Gesang. Sollte Röivens Zauber wieder missglückt sein?

      »Nein. Wir sind natürlich an dem richtigen Ort«, protestiert der Vogel. »Die Menschen haben das Gebäude wohl wieder hergerichtet. Ich weiß schon, was ich tue.«

      »Das stimmt sicher. Aber deine Magie wird ja manchmal etwas fehlgeleitet. Du weißt schon, durch den blöden Verband.« Bei den letzten Gedanken versucht er die beleidigte Stimme des Kolkraben nachzumachen.

      »Ha, ha. Selten so gelacht!«

      »Jetzt aber ernsthaft. Ich habe fast den Eindruck, dass wir auf einer Vergnügungsfahrt sind.«

      »Du hast Recht. Wir müssen meine Verwandten retten. Also mach schon.«

      »Ich mach ja schon.« Der Junge umrundet langsam das Gebäude. Von der Kapelle schleicht er über den Innenhof, der mit Sandsteinplatten ausgelegt ist. Der Boden weist keine Risse und Lücken auf, wie in dem Roman.

      »Ob das hier wohl ein Heim für alte Leute ist?«, überlegt Raban. »Das würde dazu passen, dass die Kapelle nicht nur wieder gerichtet ist. Auch die frühe Morgenmesse passt dazu.«

      »Das mag schon stimmen«, knarzt Röiven als Antwort. »Aber gehe bitte weiter, damit wir zu dem Wäldchen dort drüben kommen.«

      »Ich beeile mich ja. Ach nein. Nicht auch hier!« Der Junge beginnt zu rennen. Auch der Rabe krächzt verzweifelt:

      »Wir sind zu spät. Der Wahnsinnige hat wieder zugeschlagen!«

      Außer Atem steht Raban am Rand des Wäldchens. Hier liegen verstreut viele tote Vögel. Es sind diesmal aber nicht nur Kolkraben, auch mehrere Krähen sind darunter.

      Der Junge setzt den Vogel auf den Boden. Langsam


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