Raban und Röiven Eine magische Freundschaft. Norbert Wibben

Raban und Röiven Eine magische Freundschaft - Norbert Wibben


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»Wie geht es dir?«

      »Krch. Es brummt in meinem Kopf. Gibt es hier einen Bären? Wer spricht zu mir? Ich kann kaum etwas verstehen.«

      »Ich bin’s, Raban« ist die lautere Antwort. »Mach doch deine Augen auf. Du wirst mich doch hoffentlich noch kennen?«

      »Das mach ich lieber nicht. Wenn ich meine Augen öffne, sehe ich wieder diese große Steinmauer vor mir. Dann geht es wieder abwärts, in die Dunkelheit!«

      »Ach komm schon. Mach die Augen auf. Das Brummen in deinem Kopf wird dann sicher auch besser. Du solltest etwas Wasser trinken. Kühles und klares Wasser! Eine Mauer gibt es hier nicht, versprochen.«

      »Ehrenwort?«

      »Ehrenwort!«

      Der Junge muss grinsen, als der Kolkrabe vorsichtig erst nur ein Auge öffnet. Sofort darauf öffnet sich das zweite auch.

      »Warum grinst du so? Du lachst mich doch nicht aus?«, knarzt es.

      »Nein, ich freu mich nur so, dass es dir gut geht. Erzähl, was passiert ist. Ich bin in der Nähe von Erdmuthes Grab angekommen, aber du?«

      »Ja, wie war das noch?« Ein kurzes Zittern läuft durch den kleinen Körper. »Ich kam direkt vor einer Mauer an und merkte, dass es plötzlich abwärts ging. Ich versuchte mit den Flügeln zu schlagen, um den Sturz abzufangen. Mit dem blöden Verband war das völlig unmöglich. Ich drehte mich und sah die Erde schnell auf mich zukommen, dann war alles dunkel.«

      »Ich glaube, du hast großes Glück gehabt. Darf ich dich abtasten, ob nichts gebrochen ist?«

      »Wenn du vorsichtig bist. Aber nicht kitzeln!«

      Die Untersuchung ist schnell aber gründlich. Jedenfalls so gründlich, wie ein 14-jähriger Junge, mit den Kenntnissen über Vögel aus dem Schulunterricht, das kann.

      »Es scheint alles in Ordnung zu sein. Möchtest du noch etwas liegen bleiben oder kannst du dich aufrichten?«

      »Mit deiner Hilfe werde ich sicher hochkommen. Gut so. Danke!«

      »Alles gut, soweit?«, erkundigt sich Raban besorgt. »Es dreht sich nichts und das Brummen wird nicht schlimmer?«

      »Nein. Es geht mir gut. Jetzt gib mir nur keine guten Ratschläge, so wie es deine Eltern mit dir gemacht haben.«

      »Du alter Schlingel. Ich glaube, du grinst bereits wieder!«

      »Ha, ha. Ich und grinsen? Wie geht denn das? Es geht mir wirklich gut. Aber vor dem nächsten magischen Sprung nimm mir bitte den vertrackten Verband ab. Es könnte sonst weitaus Schlimmeres als bisher passieren.«

      »Einverstanden«, antwortet Raban, während er an den Wolf denken muss. Mit dem Raben bei vollem Bewusstsein wäre die Auseinandersetzung sicher einfacher gewesen. Schließlich kann der ja zaubern.

      Raban geht mit seinem Freund auf dem Arm zu Royas Grab hinüber. Er setzt den Kolkraben ab und entfernt den provisorischen Erdhügel und die Abdeckung aus Ästen. Traurig blicken der Vogel und der Junge auf die leblose Gestalt.

      »Ich habe eine Idee. Wenn du damit einverstanden bist, werde ich jetzt Moos und viele Blüten über Roya streuen!«

      »Ist gut«, knarzt es traurig.

      Schnell sind Moosflocken und Blüten von Wiesenblumen auf einem Haufen zusammengetragen und vermischt. Der Junge bedeckt damit vorsichtig das tote Kolkrabenmädchen. Jetzt rollen zwei Tränen über Röivens Schnabel und tropfen in das Grab. Vorsichtig wird Erde darauf gehäufelt und nur ganz sachte festgeklopft.

      »Ich werde dich nicht vergessen!« verspricht der Kolkrabe.

      Raban schluckt einen Kloß in seinem Hals hinunter.

      »Der Platz hier ist gut gewählt. Die Sonne wärmt ihn und durch die klare Luft sind die Lieder vieler Vögel zu hören. Das würde Roya sicher gefallen!«, hofft der Junge.

      »Sicher!«, ist alles, was er nach einem Moment von seinem Freund hört.

      »Wir müssen überlegen, wie wir das Vorhaben von Baran – verfluchter Zauberer – verhindern können«, fordert der Vogel. »Bisher haben wir noch nichts erreicht.«

      »Leider! Kannst du mir sagen, wo wir weitere Trupps junger Fithich finden könnten? Ich kenne eure Lieblingsplätze oder Reviere nicht.«

      »Nun ja. Lass mich überlegen. Ich habe bisher nicht alle Plätze gesehen, dann wäre ich vermutlich auch schon steinalt, oder? Hm, hm. Wenn möglich versuchen junge Fithich so leicht wie möglich an Futter zu kommen. Das ist für sie, die noch relativ unerfahren sind, gar nicht so einfach. Da ihre Trupps manchmal groß sind, können sie anderen das Futter gut abjagen. Wo gibt es aber viel Futter? Hm. Wenn Tiere geschlachtet werden und Menschen nicht gut aufpassen, können sie dort etwas ergattern. Oder wenn Menschen andere Vögel halten, füttern sie diese. Dort gibt es auch etwas zu holen.«

      »Die Idee ist gut. In Zoos und Tierparks werden Vögel gehalten, je nach Art auch in offenen Gehegen. Außerdem gibt es andere Tiere dort, denen das Futter durch schnelle Aktionen stibitzt werden kann. Wo gibt es solche großen Anlagen? In der Nähe der Hauptstadt und anderer großer Städte. Gut. Damit beginnen wir.«

      »Du solltest mir jetzt aber besser den Verband abnehmen. Wir wollen ja nicht in einem Gehege mit gefährlichen Tieren landen. Möglicherweise bei einem Bären, Tiger oder Wolf!«

      »Ja, besser nicht.«

      Raban entfernt vorsichtig den Verband. Röiven schüttelt sein Gefieder.

      »Das geht schon ganz gut und schmerzt auch nicht«, knarzt dieser. »Die Federn sind aber so komisch verklebt. Das Fliegen ist so nicht gut möglich.«

      »Verzeihung. Das sind Reste der Salbe. Hätten wir jetzt warmes Wasser, könnte ich das reinigen.«

      »Das ist unnötig«, antwortet der Rabe und gibt knarrende Laute von sich. Der Junge versteht sie nicht. Es sind aber offensichtlich Zauberworte, denn das Gefieder ist plötzlich völlig normal. Die Reste der Salbe sind verschwunden. Der Kolkrabe schlägt kräftig mit beiden Flügeln und erhebt sich vom Boden.

      »Es klappt. Ich kann wieder fliegen.« Der Vogel jauchzt mehrmals und fliegt hoch hinauf. Der Junge folgt ihm mit seinen Augen.

      »Jetzt zeige ich es dir, du blöde Mauer!«, knarzt es. Er sieht, wie der Kolkrabe direkt auf die Reste des Giebels zufliegt, an dessen Fuß er ihn gefunden hat.

      »Halt! Bist du verrückt geworden?«, ruft Raban seinem Freund hinterher.

      »Nein, bin ich nicht. Ich schaffe das!«

      Jetzt fängt sich der Vogel knapp vor der Mauer ab und lässt sich nach unten fallen. Kurz vor dem Aufprall breitet er seine Flügel aus, fliegt zu Raban zurück und landet auf dessen ausgestrecktem Arm. Der Junge war dem Vogel gefolgt und hatte seinen Haselstab im Gras liegen sehen. Er hebt ihn auf, um ihn mitzunehmen.

      »Du siehst. Ohne diesen blöden Verband kann ich gut fliegen!«, knarzt Röiven selbstbewusst.

      »Das hätte ich auch nicht bezweifelt. Darum war diese Flugeinlage völlig unnötig!«

      »Nein, war sie nicht! Ich musste doch probieren, ob meine Flügel voll in Ordnung sind. Jetzt kann es losgehen. Lass uns die jungen Fithich retten!«

      »Achte aber darauf, dass wir nicht sofort gesehen werden. Menschen reagieren komisch, wenn andere Menschen aus dem Nichts auftauchen.«

      »Keine Sorge! Ich weiß was ich tue.«

      Die Luft flirrt und sie sind verschwunden.

      Im selben Moment hört Raban protestierende Stimmen.


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