Endlich gefunden. Anna Katharine Green

Endlich gefunden - Anna Katharine Green


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der Ausgang – wie seltsam dies auch erscheinen mag – war offenbar durch das Fenster genommen worden. Haben Sie die Türe heute früh verschlossen gefunden? fragte ich.

      Ja, aber eine Nebentüre führt von meinem Zimmer in das ihrige; es stand nur ein Stuhl davor, welchen wir leicht fortschieben konnten.

      Ich trat an das Fenster und sah hinaus. Für einen Mann war es selbst bei dunkler Nacht nicht allzuschwierig, von hier aus die Straße zu erreichen, denn das Dach des Neubaus lag fast auf gleicher Höhe mit dem Fenster.

      Nun, rief sie gespannt, kann man sie nicht hier hinunter getragen haben?

      Es sind wohl schon gefährlichere Wagnisse ausgeführt worden, versetzte ich und schickte mich an, auf das Dach hinauszusteigen. Da fiel mir ein, Frau Daniels zu fragen, ob von den Kleidern des Mädchens etwas vermißt werde.

      Sie stürzte sogleich nach den Schränken und von da zur Kommode, an der sie die Schublade hastig aufzog. Nein, es fehlt nur ihr Hut und Mantel und – sie hielt verwirrt inne.

      Und was? drängte ich.

      Nichts, erwiderte sie, rasch die Kommode schließend, nur einige Kleinigkeiten.

      Kleinigkeiten – wiederholte ich; vielleicht ihre Schmucksachen? Wenn sie sich mit dergleichen aufgehalten hat, kann sie doch nicht sehr gegen ihren Willen fortgegangen sein.

      Ich machte aus meiner Verstimmung kein Hehl und stand im Begriff, das Zimmer zu verlassen. Der unentschlossene Ausdruck in Frau Daniels Gesicht hielt mich jedoch zurück.

      Ich begreife es nicht, murmelte sie, ihre Hand gegen die Stirn pressend, das geht über mein Verständnis. Aber, fuhr sie aus innerster Ueberzeugung fort, glauben Sie mir, der Fall ist ernst – das Mädchen muß gefunden werden.

      Ich beschloß zu ergründen, was dies Muß zu bedeuten habe, welches sie mit so ungewöhnlichem Nachdruck betonte. Wenn das Mädchen aus eigenem Antrieb fortgegangen ist, wie verschiedene Umstände anzudeuten scheinen, sagte ich, weshalb dringen Sie nur so eifrig darauf, daß man ihr folgen soll, um sie zurückzuholen, zumal Sie gar nicht mit ihr verwandt sind, wie Sie sagen?

      Genügt es nicht, wenn ich verspreche, alle Kosten zu tragen, welche die Nachforschungen verursachen werden? rief sie aufgeregt. Ich liebe das Mädchen und bin überzeugt, daß man schändliche Mittel angewendet hat, um sie zu entführen. Alles was ich besitze, stelle ich denen zur Verfügung, welche sie zurückbringen.

       Aber Herr Blake wäre doch derjenige, welcher sich der Sache zuerst annehmen müßte.

      Ich habe Ihnen schon gesagt, daß Herr Blake sich sehr wenig um seine Dienerschaft kümmert. Sie war bleich geworden, während sie diese Worte sprach.

      Ich blickte mich nochmals im Zimmer um. Wie lange sind Sie schon in diesem Hause? fragte ich.

      Bei Lebzeiten von Herrn Blakes Vater war ich bereits hier. Er starb vor einem Jahr.

      Und seitdem sind Sie bei dem Sohn geblieben?

      Jawohl.

      Wann ist denn jene Emilie hier in Dienst getreten?

      Vor etwa elf Monaten – sie ist aber keine gewöhnliche Dienerin, kein gewöhnliches Mädchen.

      Wieso? War sie ungewöhnlich klug, sein gebildet oder hübsch?

      Ich kann es nicht recht beschreiben. Gebildet war sie, ja, aber nicht wie eine vornehme Dame. Doch wußte sie mancherlei, wovon wir andern keine Ahnung hatten. Sie las gern und – ach Herr, fragen Sie lieber die Mädchen danach; ich weiß nie, was ich antworten soll, wenn man mich ins Verhör nimmt.

       Ich betrachtete mir die schon bejahrte Frau noch genauer als zuvor. War sie wirklich eine so harmlose, unbedeutende Person, wie es den Anschein hatte, oder lag noch ein tieferer Grund hinter ihrem vielen Zaudern und Zagen?

      Wie find Sie zu dem Mädchen gekommen? fragte ich. Wo hat sie gelebt, bevor sie bei Ihnen eintrat?

      Das kann ich nicht sagen; ich habe sie nie über ihre Person befragt. Sie bat mich um Arbeit, und da sie mir gefiel, nahm ich sie ohne besondere Empfehlung.

      Und Sie waren mit ihr zufrieden?

      Außerordentlich.

      Ist sie viel ausgegangen? Hat sie Besuche erhalten?

      Sie schüttelte den Kopf. Nein, niemals.

      Ich drängte sie nun nicht weiter mit Fragen, sondern stieg, ohne noch ein Wort zu verlieren, auf das Dach des Anbaus hinaus.

      Dabei überlegte ich, ob es wohl erforderlich wäre, nach Herrn Gryce zu schicken. Bis jetzt lag kein Beweis vor, daß dem Mädchen ein Unglück zugestoßen sei. War sie aber einfach, mit oder ohne Beistand eines Geliebten, auf- und davongegangen, so hatte die Sache keine so außerordentliche Wichtigkeit, daß man deswegen die ganze Polizeimannschaft in Bewegung setzen mußte. Indessen mit Gryce war nicht zu spassen. Er hatte gesagt, man solle ihn holen, wenn er gebraucht werde, und ein etwas verwickeltes Ansehen hatte die Sache ja immerhin. Ich war noch unentschlossen, als ich den Rand des Daches erreichte.

      Der Abstieg war steil, aber einmal unten, konnte man mit Leichtigkeit aus dem Hof entkommen. Für einen Mann war leine Gefahr dabei – aber wie sollte eine Frau das Unternehmen wagen?

      Mit diesen Gedanken beschäftigt ging ich nachdenklich zurück – da stutzte ich plötzlich. Was ich dort auf dem Dache gewahrte, konnte nichts anderes sein als ein Tropfen geronnenes Blut; mehr nach dem Fenster hin sah ich noch einen, dann einen dritten und vierten. Selbst auf dem Fenstersims befand sich ein roter Fleck. Ich sprang ins Zimmer und suchte auf dem Teppich nach weiteren Spuren. In dem verwirrten Muster von rot und braun ließ sich nichts leicht unterscheiden, und ich mußte mich tief hinunterbücken.

      Was suchen Sie denn? rief Frau Daniels.

      Ich deutete auf den Fleck am Fensterbrett.

      Blut! rief sie, erschrocken nähertretend; ihre Lippen waren bleich, ihre Glieder bebten. Man hat sie umgebracht, und er wird niemals – Sie stockte, und ich sah zu ihr auf.

      Glauben Sie, daß es ihr Blut ist? flüsterte sie schaudernd.

      Das läßt sich kaum anders annehmen, erwiderte ich auf eine Stelle deutend, wo ich jetzt eine Menge roter Tropfen entdeckt hatte, welche über die Rosen im Teppichmuster gespritzt waren und so feurig glühten wie diese.

      Das ist weit schlimmer, als ich fürchtete, stöhnte sie. Was wollen Sie tun? Was kann geschehen?

      Ich werde nach einem zweiten Detektiv schicken, versetzte ich und trat an das Fenster, um Harris das Zeichen zu geben, damit er Gryce herbeihole.

      Nach dem, welchen ich im Bureau sah? fragte sie.

      Ich verbeugte mich bejahend.

      O, das freut mich, rief sie sichtlich erleichtert, dann wird gewiß gleich etwas geschehen.

      Für mein Selbstgefühl war das etwas kränkend; doch unterdrückte ich meinen Unwillen und benützte die Zeit zu weiteren Beobachtungen. In der offenen Schreibmappe fanden sich weder Briefe noch andere Schriften, nur einige Bogen Papier, daneben Feder, Tinte und dergleichen. Bürste und Haarnadeln lagen auf der Kommode verstreut, als sei das Mädchen beim Ordnen ihres Haares überrascht worden; nirgends aber bemerkte ich die vorrätige Näharbeit, welche sich in einem Zimmer anzuhäufen pflegt, das ausschließlich zum Flicken und Schneidern benützt wird. Alle diese Ermittelungen konnten uns jedoch nur wenig helfen, wenn es sich um einen wirklich schwierigen Fall handelte, das wußte ich recht gut.

      Glücklicherweise gewann die Sache durch Gryces Ankunft bald ein besseres Aussehen.

      Ich selbst ließ ihn durch die Hintertüre herein, und es dauerte keine Minute, so konnte er alles, was ich bisher ausgekundschaftet, an den Fingern herzählen. Er eilte in das Zimmer hinauf, blieb jedoch nicht lange oben.

      Wie sah denn das Mädchen aus? fragte er, mit lebhaftem Interesse auf Frau Daniels zueilend, die sich, während dies alles vor sich ging, in eine Nische des unteren Hausflurs zurückgezogen hatte. Beschreiben Sie sie mir


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