Kullmann in Kroatien. Elke Schwab

Kullmann in Kroatien - Elke Schwab


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während er ihr half, heil über die letzten Stufen auf den Boden zu gelangen.

      „Einen Sonnenhut. Was glaubst du denn?“, antwortete Martha, fuhr mit der Hand über die Krempe und fügte an: „Gefällt er dir nicht? Habe ich extra für diesen Urlaub gekauft.“

      „Du siehst wie die perfekte Touristin aus.“ Kullmann lächelte seine Frau liebevoll an.

      Anke Deister folgte ihnen mit einer sportlichen Schirmmütze. Sie hielt ihre Tochter Lisa auf dem Arm, die die gleiche Kopfbedeckung trug. In ihrem Armen hielt Lisa ihren großen Teddybären fest umklammert. Ihre Augen waren ganz groß vor Aufregung und Neugierde. Sie war drei Jahre alt und hatte von der Welt bisher nur ihr Zuhause, Kullmanns Garten und die Kindertagesstätte gesehen. Große Ereignisse standen ihr bevor. Kullmann war gespannt darauf, wie sie das alles verkraften würde. Er kannte sich mit Kindern viel zu wenig aus, was er schon oft bedauert hatte. Aber seit Lisas Geburt hatte sein Leben sich von Grund auf geändert. Von Berufs wegen waren ihm als Kriminalhauptkommissar der Tod, dessen Ursachen und Verursacher sein Lebensinhalt gewesen. Seit seinem Ruhestand bestand seine Hauptaufgabe darin, auf Ankes Tochter aufzupassen, während sie weiterhin ihrer Arbeit als Kriminalkommissarin weiterging. Niemals hätte er es für möglich gehalten, in seinem Alter noch so viel Freude an einem kleinen Kind zu entdecken. Er empfand es als positive Entwicklung, dass er für Anke und ihr Kind eine so große Rolle in deren Leben spielen durfte. Die beiden entschädigten ihn für alles bisher Versäumte.

      Als Anke direkt vor Kullmann stehen blieb, wirkte ihr Gesichtsausdruck eher griesgrämig als hocherfreut.

      „Was ist mit dir?“, fragte Kullmann.

      Nachdem sein Freund Stipo ihn von dieser Reise überzeugt hatte, war ihm viel daran gelegen, dass Anke ihn und Martha begleitete. Er wollte Anke eine Freude machen. Aber ihre Miene verriet genau das Gegenteil. „Du hast deinen Entschluss, mit Martha und mir zu verreisen, hoffentlich nicht schon bereut?“

      Auf diese Frage antwortete Anke mit einem Lachen, was Kullmanns Bedenken sogleich zerstreute.

      „Im Flugzeug hatte ich leider das Vergnügen, vor einem Ehepaar aus Berlin zu sitzen. Die Gespräche der beiden waren laut und verdorben. Ich kann nur hoffen, dass die Berliner nicht im gleichen Hotel untergebracht sind wie wir.“

      Kullmann schaute sich nach den Transfer-Bussen um, die sie vom Flughafen Pula aus nach Rovinj weitertransportieren sollten, ihr Urlaubsziel. Schon bald hatte er den Richtigen entdeckt.

      Es gab nur vier Busse. Einer fuhr Pula an, einer Poreć, der andere Umag. Blieb nur der Letzte in der Reihe, auf dem Rovinj stand.

      Als Anke, Martha und Lisa das Fahrzeug ansteuerten, schaute Kullmann sich fragend in der Gegend um, bis er endlich aussprach, was ihn beschäftigte: „Wie kommen wir an unser Gepäck?“

      Der Busfahrer hatte ihn gehört und wie es schien, auch verstanden. Er erklärte in gebrochenem Deutsch, dass die Koffer vom Reiseunternehmen zum Hotel gebracht würden.

      „Das ist ja ein Luxus.“ Kullmann grinste zufrieden. „Wir brauchen uns nur in den Bus zu setzen, der Rest erledigt sich von allein.“

      Anke konnte nicht in seine Schwärmerei einstimmen. Kaum hatten sie sich durch den engen Gang auf einen freien Platz durchgekämpft, da sah sie durch die Fensterscheiben das Berliner Ehepaar auf sie zukommen. Unförmig und dick schob der Mann sich behäbig über den großen Platz. Seine schwarzen Haare glänzten fettig in der Sonne. Die Frau an seiner Seite war klein, zierlich und blond. Mit breitbeinigem Gang, ihre Arme weit vom Körper weggestreckt trippelte sie neben ihrem Mann her. Suchend schauten sie sich um, bis sich Ankes Befürchtungen bewahrheiteten. Als ihr Blick auf den Bus fiel, in dem sie gerade mit Kullmann und Martha Platz genommen hatte, nickten sie mit ihren Köpfen und eilten darauf zu. Nun konnte Anke nur noch hoffen, dass sie in einem anderen Hotel wohnten.

      Der Bus fuhr an. Er rüttelte die Fahrgäste durch. Die Fahrgeräusche dröhnten unerträglich laut. Die Klimaanlage funktionierte nicht. Die Sitzplätze waren eng und unbequem.

      Anke vertrieb sich die Zeit damit, durch das Fenster zu schauen. Nachdem sie den Flugplatz verlassen hatten, sah sie nur Baustellen. Sie fühlte sich wie zu Hause. Erst nach langer Fahrstrecke kamen grüne Wiesen, Felder und vereinzelte kleine Häuschen, was ein Gefühl von Idylle vermittelte. Vom Meer nicht die geringste Spur. Nach einer halben Stunde passierten sie das Schild „Rovinj 10 Kilometer“.

      Erleichtert atmeten die Fahrgäste auf.

      Dann ging es rasend schnell. Der Bus fuhr mit großer Geschwindigkeit durch enge Kurven. Wie von Zauberhand offenbarte sich vor ihnen plötzlich das Meer.

      Ein lautes „Oh.“ zollte ihm den nötigen Respekt.

      Schon bald blieb der Bus vor dem ersten Hotel stehen. Einige Familien stiegen aus. Die Fahrt ging weiter. Anke, Kullmann, Martha und Lisa hatten das Pech, dass sie bis zum Schluss in dem ungemütlichen Bus ausharren mussten, zusammen mit den Berlinern, zwei jungen Frauen, die sich an den Händen hielten, und zwei ältere Herren, deren Frauen häufig verstohlene Blicke auf Lisa warfen.

      Der Bus hielt an einer einsamen Stelle an, die außer einem Sandplatz und einigen Sitzbänken nichts zu bieten hatte. Dort wurden sie gebeten, auszusteigen.

      Verwundert schaute sich Anke um und entdeckte zwei Kleinbusse mit der Aufschrift „Hotel Villa Angelo D’oro“. So hieß ihr Hotel.

      Der Rest der Fahrt ging schneller und komfortabler. Die Kleinbusse fuhren ins Zentrum der Stadt Rovinj, schlängelten sich durch enge Gassen, dass Anke schon befürchtete, darin steckenzubleiben, hupten die Touristen auf die Seite, die stur ihren Weg fortsetzen wollten, bis sie am Ziel ankamen.

      Zwischen grauen, farblosen und verwahrlosten Häuserfronten, deren Klappläden entweder verschlossen waren oder schief an den Angeln hingen, stach ein Barock-Gebäude aus dem 17. Jahrhundert mit seiner weinroten Front, den grünen Fensterläden und den in goldener Farbe aufgemalten Löwenköpfen, die mit Lorbeerzweigen und auslaufenden geschwungenen Linien miteinander verbunden waren, als besonderes Schmuckstück hervor. Der Anblick inmitten der engen Gassen brachte die Gäste ins Staunen. Der erste, der etwas anmerkte, war die Berlinerin: „Hoffentlich iss dett nischt alles nur Fassade.“

      Der Fahrer des Kleinbusses verstand sie nicht, konnte also nichts darauf erwidern.

      Sie stiegen aus.

      Sengende Hitze schlug ihnen entgegen.

      Neugierig traten sie durch den Eingang, über dem fünf Sterne prangten. Das erste, was sie spürten, war eine gut funktionierende Klimaanlage. Der Temperaturunterschied war beachtlich.

      Die Innenausstattung hielt, was die Fassade versprach. Alles war im Barockstil gehalten. Sessel mit geblümtem Chintzstoff mit geschwungenen Lehnen aus dunklem Holz, runde Tische auf kunstvoll gewundenen Streben, bunt gewebte Teppiche auf dem Boden und Ölgemälde an den Wänden. Im gegenüberliegenden Treppenaufgang waren die Decken mit Fresken verziert.

      Anke, Kullmann und Martha gerieten so sehr ins Staunen, dass sie vom Hotelangestellten an der Rezeption an ihre Anmeldung erinnert werden mussten. Während ihre Namen bei der Anmeldung überprüft wurden, trafen die Koffer ein. Darunter befand sich ein Schrankkoffer, der so groß war, dass alle ins Staunen gerieten. Noch größer wurde die Überraschung, als sie sahen, zu wem er gehörte: zu der kleinsten erwachsenen Frau unter ihnen, der Berlinerin, deren Körpergröße dieses überdimensionale Gepäckstück kaum überragte.

      „Wad glotzt ihr so dämlich?“, fauchte sie mit dunkler, kratziger Stimme. „Ded Ding haben mein Manni und ikke für all unser Gelumps. Ikke gloob, ik spinne.“

      Nachdem die Formalitäten erledigt waren, verteilte der Hotelangestellte die Zimmerschlüssel, ging den Touristen voraus, um ihnen den Weg zu zeigen.

      „Wenn die Zimmer auch so schön sind, kann der Urlaub nur noch gelingen“, schwärmte Kullmann.

      „Ikke wees nich“, ergriff nun der männliche Part des Berliner Ehepaars das Wort. „Wad hab ik von dem Schnörkel an den Decken. Ikke will hier Spaß haben und wad ordentliches zu fressen. Nisch war,


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