Kullmann in Kroatien. Elke Schwab

Kullmann in Kroatien - Elke Schwab


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lobte Drago sofort.

      „Onkel Drago kann zaubern“, erklärte Lisa stolz.

      „Und du auch“, murrte Anke ihr Kind an. „In welches Versteck hast du dich vorhin auf der Treppe weggezaubert.“

      „Verrate ich nicht.“ Verschmitzt lachte die Kleine.

      Drago zog einige Karten heraus, ließ Lisa eine aussuchen, die Anke sich ebenfalls ansehen durfte. Dann machte er einige verwirrende Handbewegungen. Als er fertig war, zog er die gleiche Karte aus Lisas Hosentasche. Lisa schrie auf vor Freude.

      Anke spürte, wie ihre innere Anspannung nachließ.

      Viel zu schnell beendete Drago seine Vorführung. Sie hätte ihm gerne noch ewig zuschaut, so gut tat ihr die Heiterkeit, die er mit seinen Kunststücken verbreitete.

      „Drago muss noch arbeiten, sonst wird Dragos Chef böse“, erklärte er mit einem bedauernden Lächeln.

      „Du kannst ihn doch wegzaubern“, schlug Lisa vor.

      Anke fühlte sich peinlich berührt. Doch als sie sah, wie herzhaft Drago über Lisas Spitzfindigkeit lachte, fühlte sie sich erleichtert.

      „Bist du jetzt beruhigt?“ Mit dieser Frage erinnerte Kullmann sie wieder an ihre wilde Verfolgungsjagd. Sie spürte, dass sie rot anlief und brachte nur ein kurzes Nicken zustande.

      Kapitel 5

      Anke und Lisa bogen in die schmale Gasse ein, die zum Hafen führte. Das geschäftige Treiben der vielen Touristen vermittelte der Stadt Lebhaftigkeit. Winzig kleine Geschäfte hatten geöffnet, die nur zu erkennen waren, weil die Klappenläden geöffnet waren, damit die Passanten ihr Warenangebot sehen konnten. Darunter gab es hauptsächlich Wurst, Käse und Wein, Drucke von Bildern, die Rovinj zeigten, Muscheln, Vasen und sonstige Souvenirs. Verträumt schlenderte Anke daran vorbei und erhaschte hier und da einen Blick auf die Verkäufer, die sich meist im dunklen Hintergrund aufhielten.

      Plötzlich hörte sie laute Stimmen zwischen den Wänden, die nichts mit dem frohgelaunten Touristentreiben zu hatten.

      „Det kannste mit mir nicht maachen. Da kannste wad erleben.“

      Berliner Dialekt.

      Das durfte nicht wahr sein, dachte Anke, der ihr Anfall von Raserei vor dem Frühstück immer noch peinlich war.

      Doch je mehr sie hörte, umso deutlicher erkannte sie, dass sie tatsächlich die Stimme des Berliners Manfred Deubler hörte.

      Dieser Mann verfolgte sie.

      Oder sie ihn?

      Suchend schaute sie sich um und fand ihn hinter einer baufälligen Mauer. Er diskutierte mit einem Fremden. Anke riss ihre Augen weit auf vor Erstaunen. Das war der nach Fisch stinkende Mann, mit dem sie den Zusammenstoß erlebt hatte. Beide Männer waren gleich groß und massig, beide Köpfe hochrot und beide hatten schwarze, fettige Haare. Das einzige, was sie unterschied, war die Tatsache, dass der Fremde ein Einheimischer war. „Du nix fertig bringen, du nix …“ dann folgte eine Salve auf Kroatisch, die aggressiv klang.

      Manfred Deublers Gesicht war durchzogen von roten Äderchen, die für zu viel Alkohol sprachen. Und sein Berliner Dialekt klang unverwechselbar. „Ikke jacher mir net umsonst ab, du Fatzke. Det Heemeken wirst de doch noch jebacken kriegen. Ikke loss mir net inwickeln.“

      Wieder eine kroatische Salve, die der Berliner mit einem: „Jewieft. Jewieft“ honorierte. „De Klafte wird kieken. Meent se doch, sie könnt sich katzbaljen.“ Die Stimmung schlug schlagartig wieder um. „Willste wohl mausen, wa? Du Kanalje.“

      Plötzlich sah Anke etwas aufblitzen. Erschrocken schaute sie genauer hin. Es war ein Messer, das der Kroate blitzschnell gezogen hatte. Zu ihrer Überraschung gelang es Manfred Deubler, seinem Gegenüber das Messer aus der Hand zu schlagen. Als Gegenzug dafür erntete er einen Fausthieb. Die beiden großen Männer griffen sich gegenseitig an, verkeilten sich, rollten über den Boden und stießen dabei unflätige Schimpfworte aus.

      Lisa zeigte mit dem Finger darauf und wollte etwas rufen.

      Zum Glück gelang es Anke, ihre Tochter rechtzeitig in eine andere Richtung zu lenken. Auf alle Fälle wollte sie verhindern, dass Lisa jetzt schon von Ankes zwanghafter Spürnase angesteckt wurde.

      Mit hastigen Schritten, denen Lisa kaum folgen konnte, steuerte Anke die Gasse an, die zum Hafen führte.

      Als sie auf den offenen Platz trat, fiel eine innere Beklemmung von ihr ab. Sofort fühlte sie sich wieder im Urlaub. Alles lag friedlich und still vor ihr. Eine wunderbare Ablenkung.

      Je weniger sie daran denken wollte, desto mehr hing sie allerdings mit ihren Gedanken weiterhin an dieser merkwürdigen Beobachtung. Sollte das Berliner Ehepaar in krimineller Absicht nach Kroatien gekommen sein? Leider verstand sie den Berliner Dialekt zu schlecht, weshalb sie nicht wusste, worüber Manfred Deubler gesprochen hatte.

      Vielleicht war das auch gut so. Denn warum sollte sie sich damit beschäftigen? Sie war hier, um Urlaub zu machen und von den Kriminellen Abstand zu nehmen. Das Leben von der schönsten Seite zu genießen. Und das würde ihr nur gelingen, wenn sie ihre Nase nicht in fremde Angelegenheiten steckte.

      Das nahm sie sich fest vor, als ihr Blick auf Alexander fiel.

      Sein Anblick, wie er mit einem Bein auf der niedrigen Kaimauer, beide Arme auf das Bein gelehnt und den Kopf in die Hände gestützt, hinaus auf das Meer schaute, ließ Anke ihre Beobachtung schlagartig vergessen. Er trug eine kurze Hose, braun gebrannte Beine kamen darunter zum Vorschein. Sein Hemd war nur zur Hälfte zugeknöpft, eine behaarte Brust lugte unter dem dünnen Stoff hervor. Die Sonnenbrille steckte locker in seinem dunklen Haarschopf.

      Mit Alexander würde Anke genau die Zerstreuung erleben, die sie nach Kroatien geführt hatte.

      Er drehte sich um und erblickte sie.

      Sofort verzog sich sein nachdenkliches Gesicht zu einem Lachen.

      Lisa lief auf ihn zu und rief: „Gehen wir jetzt wimmen?“

      „Ja, das habe ich doch versprochen“, antwortete er.

      Er nahm Lisa auf den Arm, was Anke sofort mit höchster Aufmerksamkeit beobachtete. Lisas Lachen schallte über das Hafengelände. Die akrobatischen Kunststücke, die Alexander mit ihr vollführte, brachten Ankes Herz zum Stillstand. Sofort stand sie neben ihm und bedeutete ihm, Lisa auf den Boden abzusetzen.

      Lisas Gesicht war gerötet vor Aufregung.

      „Dann wollen wir mal“, bestimmte Alexander.

      „Wo gehst du hin?“, fragte Anke. Er schlug eine Richtung ein, die auf einen Parkplatz führte – jedoch nicht zum Strand.

      „Ich habe einen Wagen gemietet“, antwortete Alexander. „Damit fahren wir zu dem Strand, der zu meinem Hotel gehört. Dort herrscht nicht so viel Betrieb, weil nur die Hotelgäste an dieser Stelle baden dürfen. Euch beide habe ich an der Rezeption bereits angemeldet.“

      „Ist es so weit bis dorthin, dass wir fahren müssen?“

      „Für Lisa wäre es zu weit zum Laufen.“

      „Ich habe einen Buggy dabei.“ Anke blieb skeptisch. „Dann muss Lisa nicht das ganze Stück zu Fuß gehen.“

      „Warum willst du es dir so schwer machen?“

      Das fragte sich Anke selbst. Entweder, es gelang ihr, ihr berufliches Misstrauen beiseite zu schieben, oder der Urlaub würde ein Flop.

      Sie stiegen in einen großen, dunkelblauen Ford ein.

      Die Fahrt ging los.

      Alexander steuerte geschickt durch das Verkehrschaos, das die Einheimischen auf den Straßen verursachten. Er fuhr landeinwärts. Zu ihrer Linken konnten Anke und Lisa das Meer sehen. Sie hefteten ihre Blicke daran, sahen viele Boote, Segelschiffe und Surfer auf dem Wasser. Dazwischen Motorboote mit Wasserskisportlern, die


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