Kullmann in Kroatien. Elke Schwab

Kullmann in Kroatien - Elke Schwab


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der langen Tischreihe ausgesucht, wo die Kellner damit beschäftigt waren, das Buffet aufzubauen. Sie wollten sich damit unnötige Wege ersparen. Direkt dahinter saß das Berliner Ehepaar. Eine dicke Rauchwolke zog über deren Tisch.

      Kullmann ließ sich mit seiner kleinen Wahl-Familie in der Nähe der Ehepaare Gebauer und Ossom nieder, die ihre Aufmerksamkeit Lisa widmeten. Die Kleine genoss es, im Mittelpunkt zu stehen. Das Essen wurde für Lisa zur Nebensache. Anke begab sich mehrere Male an das reichliche Büffet, und besorgte gleichzeitig für Lisa einige Sorten mit, deren Interesse an Agnes Gebauer und Gertrud Ossom damit nicht zu erschüttern war. Immer wieder sprang sie auf, stieß Juchzlaute aus, womit sie die Gäste zum Lachen brachte.

      Anke glaubte ihre Tochter in guter Gesellschaft, wandte ihre Aufmerksamkeit ihrem Peka - unter einer Tonglocke gedünstetes Lammfleisch - zu. Gerade führte sie sich ein großes Stück von dem zarten Fleisch in den Mund, als sie die Berlinerin hörte: „He, du da hinten: Statt zu fressen kannst dich mal um die Jöre da kümmern.“

      Anke fiel das Fleisch vor Schreck aus dem Mund.

      „Keene Erziehung, dieses Weib. Keen Wunder, bei der Alten.“

      „Ich glaube, Sie sind besser ruhig mit Ihren Anschuldigungen“, rief Anke stinksauer, stand auf und eilte zu ihrer Tochter.

      Lisa war ganz erschüttert von so viel Unfreundlichkeit. Mit großen Augen starrte sie die blonde Frau an, die so hässlich über sie gesprochen hatte.

      „Wad iss dad denn sonst, wad diese Butze hier veranstaltet?“, blaffte die unfreundliche Frau weiter.

      „Sind Sie immer so ungehobelt?“; mischte sich Agnes Gebauer ein. Anke sah deutlich, dass sie sich dafür sogar bösen Blick von ihrem Mann Hugo einhandelte. Aber das störte Agnes Gebauer nicht. „Lisa ist doch so ein liebes Kind Es stört doch niemanden, wenn sie zu einem an den Tisch kommt.“

      „Mir stört es aber“, stellte die Berlinerin klar. „Wenn die Olle kein Kind erziehen kann, soll sie sich keins anschaffen.“

      „Sie halten jetzt Ihren vorlauten Mund.“, mischte sich Kullmann in das Gespräch ein.

      „Ikke?“

      „Ja, Sie.“

      „Da jeht mir de Hutschnur hoch“; wurde die kleine Frau plötzlich so laut, dass die Kellner in den Speisesaal stürzten. Aber das störte die kleine Frau nicht im Geringsten. Sie sprach weiter, als seien die Männer gar nicht da: „Von eenem wie ….“

      Weiter kam sie nicht. Die Kellner stellten sich an ihren Tisch und drohten, sie aus dem Speisesaal zu entfernen, wenn sie so weitermachen wollte.

      Das zeigte Wirkung. Wutschnaubend erhob sich das Berliner Ehepaar und stampfte hinaus.

      Nach dem Essen betraten Kullmann, Martha, Anke und Lisa die Dachterrasse. Sie suchten sich Plätze, um in der kühlen Abendluft die Aussicht zu genießen, das von der Dämmerung langsam eingehüllt wurde. Am gegenüberliegenden Ende der Bucht zog der schwarze Himmel langsam über das Meer und senkte sich wie ein dunkles Tuch herab. Der Mond schimmerte in voller Pracht, dazu ein Sternenhimmel, der übersät war mit kleinen, funkelnden Punkten. Die vielen Lichter spiegelten sich im flachen Wasser. Stille breitete sich aus. Das Kreischen der Möwen und das Rufen der Tauben waren verstummt. Das Zirpen der Grillen hielt Einzug.

      Kapitel 4

      Der nächste Morgen begann zeitig. Für Anke zu früh. Laut knatternd fuhr ein Mofa durch die enge Gasse. Stimmen von Menschen, die die frühe Stunde nutzten, um bei angenehmen Temperaturen durch die Gassen zu schlendern. Kindergeschrei. Musik. Glockengeläut. Geräusche, die zu einem Urlaub am Mittelmeer passten.

      Lisa auf einem Stuhl am Fenster.

      Ein Anblick, der nicht zu Ankes Vorstellung von Urlaub passte.

      In Sekundenschnelle sprang sie aus dem Bett und zerrte ihre Tochter dort weg. Lisa wollte sich wehren, indem sie murrte: „Mama, guck: Das Meer.“

      „Ja, mein Schatz. Und wenn du nicht aus dem Fenster fällst, wirst du sogar noch im Meer schwimmen gehen.“

      „Au ja.“ jubelte Lisa los. „Wimmen. Wimmen.“

      „Das heißt schwimmen.“

      „Sag ich doch: wimmen.“

      Das Wort wollte ihr nicht richtig über die Lippen kommen, aber das störte Lisa nicht. Die Aussicht, im Meer zu baden, stimmte sie überglücklich. So wurde es für Anke ein Kinderspiel, ihrer Tochter die Jeanslatzhose anzuziehen, die ihr bis zu den Waden reichte. Darin sah sie so hübsch aus, dass Anke sich gar nicht an ihr satt sehen konnte. Lisa streckte ihre Händchen in die großen Hosentaschen, eine Geste, die sie ihrer Mutter nachahmte.

      Anke klopfte leise an der Zwischentür an, um nachzusehen, ob Kullmann und Martha schon wach waren. Die Vorsicht erwies sich als unnötig, denn Kullmann öffnete fertig angezogen. Martha stand hinter ihm. Die beiden wirkten, als hätten sie nur auf Ankes Lebenszeichen gewartet.

      Wie bei einer Prozession schritten sie hintereinander die enge, gewundene Treppe hinunter. Lisa hüpfte munter immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, bis sie plötzlich verschwunden war.

      „Lisa?“, rief Anke, die ihren Augen nicht traute. Eben war sie noch da, und eine Sekunde später nicht mehr.

      „Was ist?“, fragte Kullmann hinter ihr.

      Doch Anke hörte ihn nicht mehr. Panik hatte sie ergriffen. Sie rannte die Stufen hinunter, als sie plötzlich den breiten Rücken des Berliners sah.

      Das fehlte gerade noch. Das Berliner Ehepaar hatte ihr Kind entführt.

      „Halt! Bleiben Sie stehen“, rief Anke in gewohnter Polizeimanier.

      Doch der Berliner dachte nicht daran. Blitzschnell verschwand er um die nächste Treppenwindung.

      Anke beschleunigte. Manfred Deubler auch. Er eilte durch das Foyer. Anke rannte hinterher.

      „Anke. Wo willst du denn hin?“, hörte sie Kullmanns Stimme hinter sich.

      Sie hatte keine Zeit zu antworten. Sie sah, in welche Richtung Deubler rannte und steuerte die gleiche an. Wieder verschwand er, dieses Mal hinter einer der vielen Mauern. Ankes Panik wuchs ins Unermessliche. Sie hatte nicht gesehen, wohin er mit ihrer Tochter verschwunden war.

      Wie von Furien gehetzt jagte sie blind drauf los, bis sie plötzlich mit einem fremden Mann zusammenstieß, der entsetzlich nach Fisch stank. Dieser stieß einige unfreundliche Laute aus, sprach in einer Sprache, die Anke nicht verstand. Dafür kapierte sie seinen Tonfall umso besser. Mit dunklen, fast schwarzen Augen funkelte der Fremde Anke böse an. Doch Anke wollte sich nicht einfach abwimmeln lassen. Immerhin war sie Lisas Mutter. Der würde sie mal kennenlernen.

      „Anke. Bist du noch von Sinnen?“

      Kullmanns Frage machte sie stutzig. Sie drehte sich um und schaute in ein fragendes Gesicht.

      „Er hat Lisa“, stammelte sie und unterdrückte mit Mühe einen Weinkrampf. Dabei zeigte sie auf den Fremden. Doch als sie wieder nach vorn schaute, stand dort niemand mehr.

      „Lisa sitzt an der Rezeption und lässt sich von den Mitarbeitern des Hotels amüsieren.“

      Anke verstand nur Bahnhof. „Aber… Der Berliner hat sie doch entführt.“

      „Ich glaube, das Berliner Ehepaar hat eine Paranoia bei dir ausgelöst“, bemerkte Kullmann dazu. „Komm rein und überzeuge dich selbst davon, dass es Lisa gut geht.“

      Tatsächlich! Lisa saß auf der hohen Theke der Rezeption und ließ sich von einem Hotelangestellten Kunststücke zeigen. Neugierig geworden näherte sich Anke dem Treiben. Sofort hielt der Hotelangestellte inne, verbeugte sich vor Anke und stellte sich vor: „Drago Jurić, ich arbeite hier im Hotel als Kellner, vertrete zurzeit den Portier Josip Pedrović.“

      Anke gab ihm die Hand. Sie musste sich mehrfach


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